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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Eklat bei Baerbocks Israel-Besuch Es kracht gewaltig
Bei ihrem Besuch in Israel gab es offenbar zwischen Außenministerin Baerbock und Ministerpräsident Netanjahu hinter verschlossenen Türen heftigen Streit. Dass der Disput überhaupt öffentlich wurde, offenbart ein größeres Problem.
Auch in der internationalen Politik fliegen ab und zu die Fetzen. Besonders in dieser Krisenzeit, wenn die Lage ohnehin angespannt ist und die Nerven blank liegen. Trotzdem werden Unstimmigkeiten zwischen Staaten meist hinter verschlossenen Türen ausgetragen. Öffentlich sprechen Diplomaten dann von einem "offenen Austausch". Die Logik dahinter: Zu harsche Kritik könnte zu einem Gesichtsverlust und damit zu einem nachhaltigen Schaden in den bilateralen Beziehungen führen.
Vor diesem Hintergrund ist es durchaus ein Tabubruch, was nach dem Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vergangene Woche in Israel geschah. Laut dem israelischen Nachrichtensender Channel 13 gab es heftigen Streit zwischen der deutschen Außenministerin und dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu über die humanitäre Lage im Gazastreifen. Danach veröffentlichten israelische Journalisten am Donnerstag ein Gesprächsprotokoll des Streits. Der diplomatische Schaden ist immens, der Ärger groß, auch bei Baerbock.
Bei ihrem Treffen soll Baerbock angesichts der humanitären Krise im Gazastreifen auf Konfrontationskurs zum israelischen Ministerpräsidenten gegangen sein. Es gilt als wahrscheinlich, dass Teile des Gesprächs von Netanjahus Umfeld an die Presse durchgestochen wurden. Der deutsche Botschafter Steffen Seibert und das Auswärtige Amt machten am Freitag auf der Plattform X mehrfach klar: "Wesentliche Punkte dieser Darstellung sind falsch und irreführend." Demnach ist der Vorfall gleich in doppelter Hinsicht ein Eklat: Das veröffentlichte Gesprächsprotokoll stammt nicht nur aus einer vertraulichen Unterredung, sondern es soll auch in Teilen falsch sein.
Dass aber überhaupt Teile eines vertraulichen Gesprächs öffentlich wurden, offenbart ein viel größeres Problem als den Konflikt zwischen Netanjahu und Baerbock. Der israelische Regierungschef steht aufgrund der humanitären Krise im Gazastreifen massiv unter Druck, innen- wie außenpolitisch. Sollte er seine Militärtaktik nicht anpassen und stattdessen seine internationalen Partner verprellen, droht der internationale Rückhalt für seine Politik weiter zu bröckeln.
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Zwei Welten prallen aufeinander
Eines war schon vor dem Eklat klar: Wenn Baerbock auf Netanjahu trifft, prallen Welten aufeinander. Die erste Außenministerin in der Geschichte der Bundesrepublik verfolgt einen wertegeleiteten Kurs. Als israelischer Ministerpräsident führt Netanjahu dagegen sein Land seit 1996 schon zweimal. Er gilt als Machtpolitiker, der jahrzehntelange Erfahrung mit taktischen Manövern hat. Kritiker werfen ihm vor, sich an die Macht zu klammern, auch um einer eigenen Verurteilung wegen Korruption zu entgehen.
Netanjahu verstand sich in der Vergangenheit oft mit den Staats- und Regierungschefs, die ähnlich politisch ticken wie er: rechtskonservativ, mit Hang zu einem autoritären Führungsstil. Er hatte etwa gute Beziehungen zum ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump oder zu Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, aber auch mit Kreml-Chef Wladimir Putin hatte er keine Berührungsängste.
Der israelische Regierungschef gilt nicht als Politiker, der sich gerne belehren lässt. Aber die Kritik an ihm und seiner Kriegsführung wächst: Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 hatte Israel noch einen sehr großen internationalen Rückhalt, doch das kompromisslose Vorgehen und das Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zehren immer mehr an der Legitimität dieses Krieges. Israel sieht sich mittlerweile nach einer Klage Südafrikas mit einem Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Völkermordes konfrontiert.
Israelische Führung bestreitet Hunger im Gazastreifen
Netanjahu ist darüber empört, erklärte mehrfach, dass er die Vorwürfe für haltlos hält. Immerhin führe Israel einen legitimen Krieg gegen die Hamas, nicht gegen die palästinensische Bevölkerung. Aber der Druck auf ihn wird immer größer, auch weil seine engsten Verbündeten – die USA und Deutschland – angesichts Tausender ziviler Opfer in Gaza die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt sehen. Auch Baerbock übte deutliche Kritik. "Keine Ausreden mehr", sagte sie mit Blick auf die humanitäre Hilfe im Gazastreifen, die laut UN-Angaben von Israel verzögert wurde.
Das missfällt der israelischen Führung. Westliche Diplomaten erklärten t-online, dass Netanjahu Baerbocks Forderungen nach Frieden und Waffenruhe im Nahen Osten wahrscheinlich als "Ausdruck von Naivität" sieht. Aber ist Baerbock wirklich naiv? Oder schadet es tatsächlich israelischen Sicherheitsinteressen, wenn die desolate humanitäre Lage im Gazastreifen die Wut der Palästinenser und der gesamten muslimischen Welt weiter befeuert?
Sollte die israelische Regierung versuchen, das Leid im Gazastreifen herunterzuspielen, wäre das eine umstrittene Strategie. Eben ein solcher Moment soll zum aktuellen Streit zwischen Baerbock und Netanjahu geführt haben. Eine Journalistin des israelischen TV-Senders Channel 13 schilderte am Donnerstag auf X, Baerbock seien bei ihrem Treffen mit Netanjahu Aufnahmen aus dem Gazastreifen gezeigt worden, auf denen mit Lebensmittel gefüllte Märkte zu sehen waren. Die Außenministerin habe im Gegenzug auf den Hunger der Menschen in dem Küstengebiet hingewiesen und dem Regierungschef angeboten, Bilder hungernder Kinder auf ihrem Handy zu zeigen. Netanjahu soll erwidert haben, sie solle sich Fotos der Märkte und auch von Menschen am Strand anschauen, es gebe keine Fälle von Hunger dort.
Dabei ist klar: Internationalen Experten zufolge droht in Teilen des Gazastreifens eine Hungersnot. Doch der Streit soll noch weitergegangen sein.
Nazi-Vergleich verärgert Deutschland
Baerbock riet ihm dem Medienbericht zufolge dazu, die Bilder nicht zu zeigen, da sie nicht der Realität im Gazastreifen entsprächen. Israels Regierungschef wiederum soll darauf lautstark erwidert haben, dass die Fotos echt seien und Israel nicht wie die Nazis eine erfundene Realität zeige. Die Nazis hatten 1942 ein Filmteam einen Propagandafilm mit gestellten Szenen des Alltags im Warschauer Ghetto drehen lassen.
Ein Vergleich mit der Nazizeit auf internationalem Parkett – für jeden deutschen Politiker ist das eine schwierige Situation, auch hinter verschlossenen Türen. Baerbock soll Netanjahu daraufhin gefragt haben, ob er sagen wolle, dass etwa Mediziner im Gazastreifen sowie internationale Medien nicht die Wahrheit berichteten, heißt es in dem Bericht der israelischen Journalistin Moriah Asraf Wolberg.
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Welche Teile aus dem veröffentlichten Gesprächsprotokoll stimmen und welche nicht, ist unklar. Das Auswärtige Amt nannte in einer Stellungnahme am Freitag keine Details, und auch Baerbock erklärte am Rande des G7-Treffens der Außenministerinnen und Außenminister auf einer Pressekonferenz, dass Deutschland keine Inhalte aus vertraulichen Gesprächen veröffentliche. Den Nachsatz "im Gegensatz zur israelischen Führung" verkniff sie sich.
"Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, war mit dem Stab des Premierministers in Kontakt und hat klargemacht, was wir von solchen verzerrenden Veröffentlichungen halten", sagte die Grünen-Politikerin auf die Frage eines Journalisten, ob sie über den Vorgang bereits mit Netanjahu gesprochen habe. "Uns gegenüber wurde Bedauern über die Veröffentlichung, deren Quelle unklar sei, ausgedrückt und wir haben genau dem nichts weiter hinzuzufügen."
Belastungsprobe für deutsch-israelische Beziehung
Doch eines ist klar: Es gibt großen Ärger auf deutscher Seite. Baerbock erreichte die mediale Berichterstattung über das Gespräch während eines informellen Abendessens mit ihren Kolleginnen und Kollegen der G7-Runde im Restaurant "Il Geranio" auf Capri am späten Donnerstagabend. Später in der Nacht soll die israelische Armee Ziele im Iran angegriffen haben. Das stellte den deutsch-israelischen Streit zunächst einmal in den Schatten.
Aber es geht in internationalen Beziehungen auch immer um Vertrauen. Und dieses Vertrauen ist nun stark angeschlagen durch die Indiskretion über das angebliche Streitgespräch.
Auch Netanjahu zieht aus dieser Veröffentlichung keinen Nutzen – im Gegenteil. Er steht unter Zugzwang: kein Fortschritt bei der Befreiung israelischer Geiseln, nur geringe Fortschritte bei der humanitären Lage im Gazastreifen. Außerdem berichtete das US-Nachrichtenportal "Axios" am Samstag unter Berufung auf drei mit der Angelegenheit vertraute Personen, dass US-Außenminister Antony Blinken in den nächsten Tagen Sanktionen gegen ein Bataillon der israelischen Streitkräfte wegen Menschenrechtsverletzungen im Westjordanland ankündigen werde. Es wäre das erste Mal, dass die USA Sanktionen gegen eine israelische Militäreinheit verhängen. Die israelische Regierung reagierte empört auf den Bericht – Netanjahu bezeichnete die Absicht, Sanktionen zu erlassen, als "Gipfel der Absurdität" und "moralischen Tiefpunkt".
Israels Regierungschef spricht selten über Moral – im Gegensatz zu Baerbock. Mit der Veröffentlichung seines angeblichen Streits mit der deutschen Außenministerin könnte nun allerdings der internationale Fokus wieder mehr auf der Lage im Gazastreifen liegen. Immerhin wurde durch das Gesprächsprotokoll die deutsche Position noch einmal deutlich. Auch die USA und Großbritannien vertreten ähnliche Sichtweisen. Sollte sich also die humanitäre Katastrophe aufgrund eines Angriffes auf Rafah verschärfen, werden auch Deutschland und die USA weiter unter Druck geraten, ihren warnenden Worten auch Taten folgen zu lassen. Daran wird ein Video, das Märkte mit Essen im Gazastreifen zeigen soll, vermeintlich nichts ändern.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- spiegel.de: Baerbock und Netanyahu geraten heftig aneinander
- Begleitung von Außenministerin Baerbock auf dem G7-Treffen auf Capri