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Nahost-Krieg: Warum sich der Kampf im Gazastreifen im Kreise dreht


Meinung
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Naher Osten
Er hat die Geduld verloren

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

01.04.2024Lesedauer: 5 Min.
Joe Biden (Archivbild): Ein Video zeigt ein Bild von ihm, gefesselt auf der Ladefläche eines Trucks.Vergrößern des Bildes
Joe Biden (Archivbild): Der US-Präsident wendet sich mittlerweile entschieden gegen die Regierung Netanjahu. (Quelle: Elizabeth Frantz)

Der Ton, den Joe Biden gegenüber der israelischen Regierung anschlägt, wird schärfer. Benjamin Netanjahu behauptet, es gebe keine Alternative zum rücksichtslosen Vorgehen. Gibt es doch.

Der Krieg im Gaza dreht sich im Kreis. Die Verhandlungen über eine Feuerpause samt Gefangenenaustausch sind erneut gescheitert. Die israelische Regierung gibt Feuer frei für eine neue Offensive im Süden. Die amerikanische Regierung ist massiv dagegen, lässt Carepakete aus Flugzeugen niederregnen, hat sich im Uno-Sicherheitsrat der Stimme enthalten und ließ somit eine Resolution "für eine sofortige und dauerhafte Waffenruhe" passieren.

Benjamin Netanjahu beschwört nach wie vor, die Führung der Hamas zu töten. Diesem Ziel ist die Befreiung der Geiseln untergeordnet. Ungefähr 100 von ihnen sind seit dem 7. Oktober Gefangene der Hamas – Stand heute sind seither 177 Tage vergangen. Die Angehörigen verzweifeln daran, dass die Aussicht auf Heimkehr von Tag zu Tag sinkt. Dafür machen sie die Regierung verantwortlich. Zu Recht.

(Quelle: Privat)

Zur Person

Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in "Der Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.

Damit sich nicht auch meine Argumentation im Kreis dreht, versuche ich heute ein Resümee aus größerer Distanz zu ziehen. Die Grundfrage lautet, was eigentlich daraus folgt, wenn wir beklagen, dass dieses militärische Vorgehen der israelischen Streitkräfte inhuman geworden ist. Gibt es eine Alternative, um die Hamas zu besiegen, eine andere militärische Strategie, ohne so viele zivile Opfer?

Ein unterirdischer Krieg

Dass die Hamas nach diesem Krieg nicht mehr im Gaza herrschen soll, ist unbenommen. Dass es nicht sinnvoll wäre, wenn Israel dort dauerhaft als Besatzungsmacht aufträte, wie es Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beabsichtigt, ist auch so gut wie unbenommen. Ohnehin sehen die Regierungen in den USA, Frankreich und vielleicht sogar heimlich in Deutschland mittlerweile Netanjahu als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung.

Momentan durchkämmen israelische Soldaten den Untergrund zweier Krankenhäuser im Gaza. Ohnehin liegen die Schlachtfelder in den Tunneln, welche die Hamas grub. Das Prinzip ist seit dem Vietnam-Krieg bekannt, denn auch die Vietkong entzogen sich dem Zugriff der US-Bomber und -Truppen unterirdisch.

Vor dem Krieg, so schrieb die "New York Times", hätten die Israelis die Länge der Tunnel auf rund 160 Kilometer geschätzt. Die Hamas habe sich gebrüstet, die Strecke sei viel größer "und jetzt erweist sich, sie hatte recht", schreibt das Blatt. Neue Berechnungen belaufen sie sich auf 550 bis 800 Kilometer unter der Erde. Dort lebt die Hamas, dort hält sie die Geiseln fest, dort sind ihre Waffenlager, dort baut sie Raketen und dort bewegt sie sich wie Fische im Wasser.

Hilflos ausgeliefert

Die wichtigsten militärischen und strategischen Objekte liegen unter Krankenhäusern oder Schulen, so viel ist klar. Die Vietkong hatten das Tunnelsystem erfunden. Die Hamas aber haben es auf beispiellose Weise ausgebaut und nutzen es konsequent für ihren asymmetrischen Krieg gegen Israel.

Vermutlich kostete der Bau dieses Netzwerkes tief in der Erde eine Milliarde Dollar. Die vielen Millionen, die aus Europa und den Golf-Staaten nach Gaza flossen, wurde zum größeren Teil in diese Infrastruktur investiert anstatt in Schulen oder den Aufbau von Industrie und Wirtschaft. Die Serverfarm, das digitale Rechenzentrum der Hamas, hatte sich zum Beispiel unterhalb der Büros des Uno-Flüchtlingswerks befunden.

Die Kämpfer der Hamas sind unten und kämpfen von dort. Die Israelis sind oben. Zwischen denen dort oben und denen unten sind die Zivilisten hilflos ausgeliefert. Je mehr von ihnen sterben, desto besser ist es für die Sache der Hamas, da sich die öffentliche und auch die politische Meinung im Westen dreht, das ist die zynische Logik.

Der Westen verliert die Geduld

Für die Hamas liegt das Optimum darin, dass Israel, isoliert in der Welt, den Krieg beenden muss. Für Israel liegt das Optimum in der Ausschaltung der Hamas als politischer Kraft im Gaza.

Ist die israelische Strategie erfolgreich? Weniger als die Hälfte der Tunnel sind zerstört. Die israelischen Streitkräfte behaupten, sie hätten knapp die Hälfte der 30.000 Hamas-Kämpfer ausgeschaltet – getötet oder gefangen genommen. Taktisch gesehen ist das keine schlechte Bilanz. Politisch betrachtet, sieht es anders aus.

Der Blickwinkel hat sich vor allem in den USA verändert. Joe Biden, ein überzeugter Freund Israels seit einem halben Jahrhundert, hat die Geduld verloren und wendet sich entschieden gegen die Regierung Netanjahu. Äußerungen von Emmanuel Macron schlagen in dieselbe Richtung. Selbst Außenministerin Annalena Baerbock hat den Ton leicht verschärft.

Verzicht auf Bodenoffensive?

Die Frage lautet also: Kann Israel die Hamas im Krieg unter Vermeidung vieler ziviler Opfer ausschalten? Gibt es eine militärische Strategie, die aus der politischen Isolation herausführt?

Eine notwendige Alternative ist der Aufhebung der Hungerblockade. Es ist schon erstaunlich, wie wenig Netanjahu und seine nationalreligiösen Koalitionspartner in Verlegenheit geraten, wenn Jordanien und die USA Gaza aus der Luft versorgen und dazu an einer Seebrücke arbeiten.

Eine andere militärische Möglichkeit besteht darin, gezielter gegen die Anführer der Hamas vorzugehen. Dafür wären weitaus weniger Soldaten nötig. Momentan sind ohnehin nur noch rund 50.000 im Gaza im Einsatz. Die Voraussetzung ist der Verzicht auf eine Bodenoffensive in Rafah, die sicherlich ein neues Blutbad unter Zivilisten anrichten würde.

Wäre ein Verzicht klug?

Eine weitere Option wäre der Übergang von Krieg auf gezielte Mordaktionen, zumal sich nicht alle bekannten Figuren der Hamas noch im Gaza aufhalten dürften. So ging Israel nach dem Olympia-Attentat 1972 vor. Es dauerte Jahre, bis der letzte Attentäter von Mossad-Agenten umgebracht worden war.

Dass die Hamas bedingungslos kapituliert, glaubt niemand. Aus ihrer Sicht läuft der Krieg gut und Israel handelt wie kalkuliert. So gesehen, kann es weitergehen wie bisher – Luftangriffe mit Dutzenden Toten inklusive, natürlich auch mit dem Angriff auf Rafah, wo der israelische Geheimdienst 5.000 bis 8.000 Hamas-Kämpfer vermutet.

Eine weitere Alternative sähe so aus: Israel beendet den Krieg, begnügt sich mit dem Erreichten und verzichtet auf eine Invasion in Rafah. Diesen Rationalismus verlangt nun der amerikanische Präsident Israel ab. Ist das klug?

Was passiert mit den Geiseln?

Natürlich birgt jede Lösung eigene Tücken. In Gaza könnte ein Machtvakuum entstehen. Die Führung der Hamas könnte überleben, die Vormacht im Gaza behalten und nichts hätte sich durch den Sieg verändert. Kann sich Israel damit zufriedengeben? Sicherlich nicht.

Am besten wäre es, wenn die Regierung Netanjahu erheblich mehr daran setzen würde, die 100 Geiseln freizubekommen. Noch besser wäre es, wenn der Ministerpräsident zum Rücktritt gezwungen würde. Sein Nachfolger könnte die Lastwagen mit den Lebensmitteln wieder in den Gaza fahren lassen. Und er könnte die Autorität für eine neue Strategie gegen die Hamas erlangen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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