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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Baerbock prallt auf Lawrow Ein Sturm zieht auf
Der russische Außenminister Sergej Lawrow wird beim OSZE-Treffen in Nordmazedonien erwartet. Während Außenministerin Annalena Baerbock nach Skopje reist, sagen andere Länder aus Protest ab. Ein Dilemma.
Es ist eine Einladung, die für die Ukraine und einige ihrer Unterstützerstaaten zur Belastungsprobe wird. Der russische Außenminister Sergej Lawrow kommt am Donnerstag zum Treffen der OSZE-Außenministerinnen und Außenminister in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa steht vor einer großen Herausforderung: Es müssen Kompromisse mit Russland und Belarus gefunden werden.
Doch in Nordmazedonien zieht ein Sturm auf, Streit ist vorprogrammiert. Die Ukraine, Polen und die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland haben schon vor dem Treffen ihre Teilnahme abgesagt. Aus Protest. Sie wollten nicht mit Russland an einem Tisch sitzen, da Kremlchef Wladimir Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit unverminderter Härte führt.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) dagegen ist nach Skopje gereist. Sie erwartet eine heikle Mission, denn ohne Russland und Belarus ist die OSZE nicht handlungsfähig. Es wird zu einem Schlagabtausch mit Lawrow kommen.
"Im rauen Wind"
Zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen wolle sie alles dafür tun, "dass der russische Außenminister sein Ziel, die OSZE kaputtzumachen, nicht erreichen kann", sagte Baerbock am Mittwoch im Vorfeld des Treffens. Wenn die OSZE weiterhin für die Sicherheit der 1,3 Milliarden Menschen in ihren 57 Mitgliedstaaten sorgen solle, "müssen wir ihr auch das Rüstzeug und die Lotsen dafür geben, damit sie halbwegs arbeitsfähig bleibt und weitermachen kann – auch im rauen Wind".
Die OSZE ist eine 1975 gegründete Organisation mit Sitz in Wien. Ihr gehören die europäischen Staaten, die Türkei, die ehemaligen Sowjetrepubliken, die Mongolei, die USA und Kanada an. Nordmazedonien hat aktuell den jährlich wechselnden Vorsitz inne.
"Halbwegs arbeitsfähig": Es ist das Minimalziel des Treffens. Die OSZE-Staaten müssen unter anderem einen neuen Vorsitz für 2024 bestimmen. Erst am Montag konnte sich die Gruppe auf Malta einigen, denn Russland hatte Estland wegen der Mitgliedschaft in der Nato abgelehnt. In Skopje stehen darüber hinaus aber auch wichtige Personalentscheidungen an: Die Amtszeiten der Generalsekretärin Helga Schmid und der OSZE-Vertreter für Demokratie, Medienfreiheit und Minderheiten sollen verlängert werden. Schmid und ihre drei Kolleginnen und Kollegen müssten andernfalls Anfang Dezember ihre Posten räumen.
Das Dilemma: Russland und Belarus müssen bei diesen Entscheidungen zustimmen, es gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Dementsprechend geht es aus Perspektive der OSZE nicht ohne einen Kompromiss mit dem Kreml.
Unmut in Osteuropa
Eben das sorgt vor allem in Osteuropa für heftige Bauchschmerzen. "Wir können die Tatsache nicht ignorieren, dass der russische Außenminister am Tisch der Organisation anwesend sein wird, die Frieden und Sicherheit in Europa schaffen soll", sagte der polnische Außenminister Szymon Szynkowski vel Sęk am Mittwoch. Polen werde – genauso wie Lettland, Litauen und Estland – aus Protest nicht einmal einen Vertreter nach Nordmazedonien schicken.
Der Rest der OSZE sieht das Aufeinandertreffen mit Lawrow eher pragmatisch. Schließlich können russische Vertreter auch zu Versammlungen der Vereinten Nationen in New York reisen. Verhandlungen und Dialog sind wichtig – darüber ist man sich in diplomatischen Kreisen einig.
Trotzdem ist das Erscheinen von Lawrow im Baltikum für den Westen ein Rückschlag. Das Treffen fällt in eine Zeit, in der Russland im Ukraine-Krieg zunehmend die Initiative zurückgewinnt. Hinzukommt, dass in Moskau zuletzt erst Putins Teilnahme an einem virtuellen G20-Treffen zelebriert wurde. Mehr dazu lesen Sie hier.
Es deutet also viel darauf hin, dass Putin – trotz seiner Kriegsverbrechen in der Ukraine – langsam auf die internationale Bühne zurückkehrt. Das wird von der russischen Führung als Triumph gewertet. Zumal das EU- und Nato-Mitglied Bulgarien für Lawrow den Luftraum öffnen musste.
Ein Spagat für Baerbock
Der offizielle Teil des OSZE-Treffens findet am Donnerstag und Freitag statt. Schon am Mittwochabend gab es ein Abendessen, zu dem die nordmazedonischen Gastgeber die Außenminister aus Russland und Belarus nicht eingeladen haben. Dieser Rahmen bietet den restlichen OSZE-Mitgliedern die Möglichkeit, ihre Strategie für das Treffen zu besprechen. Neben Baerbock ist auch US-Außenminister Anthony Blinken vor Ort.
Dabei ist für den Westen kaum planbar, welche Strategie Lawrow im Auftrag von Putin verfolgen wird. Es kann sein, dass der russische Außenminister eine seiner Propagandareden führt, die gegen die USA, die Nato und die Ukraine gerichtet sind. Es könnte allerdings auch russische Strategie sein, sich nun in der Sprache gemäßigter zu geben – ähnlich wie Putin zuletzt im Kreis der G20. So könnte der Kreml versuchen, sich weiterhin als kompromissbereiter Partner zu inszenieren, um den Westen zu spalten.
Diese Spaltung ist allein schon durch Lawrows Anwesenheit geschehen. Baerbock ist sich des Unmuts der Ukraine und ihrer osteuropäischen Verbündeten bewusst. Es wird ein Spagat zwischen der Verurteilung des russischen Überfalls auf die Ukraine und einem Minimum an Zusammenarbeit. Die Außenministerin kritisierte, Putin versuche seit mehr als 650 Tagen, den Sicherheitsanker OSZE von seinen Grundfesten zu trennen. "Trotz dieses massiven Gegenwinds haben wir die OSZE als zentrales Puzzlestück unserer Sicherheitsarchitektur in Europa bewahren können." Mit Pragmatismus habe man viele Projekte retten können, die wegen des fehlenden regulären OSZE-Haushalts vor dem Aus gestanden hätten – "dank Sonderbeiträgen gerade auch aus Deutschland und von Freunden wie Japan".
Aber der Westen weiß auch: Die Welt wird durch die Anwesenheit von Lawrow in den kommenden Tagen mit besonders scharfem Blick nach Skopje schauen. Für Baerbock wird es ein sensibler Balanceakt zwischen Diplomatie und Schlagabtausch. Denn die westlichen Vertreter werden auch weiterhin zu betonen versuchen, dass der Konflikt mit Russland keineswegs überwunden ist. Alles andere wäre ein fatales Signal für die Ukraine.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP