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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Historiker Frankopan über Klimakrise "Wir müssen Angst vor der Zukunft haben"
Die Klimakrise verschärft sich, die Erde wird immer heißer. Eine weitere Weltklimakonferenz soll gegensteuern. Historiker Peter Frankopan rät, Lehren der Vergangenheit zu beherzigen.
Die Menschheit lebt dramatisch über ihre Verhältnisse: Klimakrise, Artensterben und Umweltverschmutzung bedrohen unsere Existenzgrundlagen. Und das nicht erst in unserer Gegenwart, wie Peter Frankopan bestens weiß. Der britische Historiker ist Autor des aktuellen Buches "Zwischen Erde und Himmel. Klima – eine Menschheitsgeschichte", in dem er analysiert, wie wir an diesen kritischen Punkt gelangt sind.
Im Gespräch erklärt Frankopan, warum die anstehende Weltklimakonferenz COP28 keineswegs sinnlos sei, welche Warnungen die Menschen seit Jahrtausenden ignorieren und wovon die größte Gefahr für uns ausgehe.
t-online: Professor Frankopan, wie stehen die Chancen, dass die Menschheit die Klimakrise halbwegs einzudämmen vermag?
Peter Frankopan: Menschen sind im Allgemeinen ziemlich gut darin, Probleme zu lösen. Allerdings gilt diese Regel leider nicht immer – die Klimakrise ist bislang so ein Fall. Wir müssen Angst vor der Zukunft haben, aber wir sind nicht wehrlos. Es braucht Optimismus, dann können wir das Schlimmste vermeiden.
In Kürze beginnt in Dubai die nächste Klimakonferenz der Vereinten Nationen, es ist die 28. ihrer Art. Setzen Sie Hoffnung in diese Veranstaltung?
Jede Klimakonferenz wird von einer grundlegenden Wahrheit überschattet. Diejenigen Länder, die mittels Industrialisierung reich und einflussreich geworden sind, haben durch ihre Emissionen an Treibhausgasen in die Atmosphäre am meisten zur Klimakrise beigetragen. Das ist der entscheidende Knackpunkt – denn andere Länder möchten aus nachvollziehbaren Gründen ebenfalls zum Kreis der wohlhabenden Nationen aufschließen. Kürzlich war ich in Indien, eine Frage war bei den Gesprächen dort dominant: Wie kann die indische Wirtschaft in Zeiten wie diesen fair behandelt werden?
Ja, wie? Ohne die Kooperation Indiens ist globaler Klimaschutz kaum möglich, zugleich kauft das Land derzeit russisches Öl in riesigen Mengen.
Es gibt keine einfache Antwort für dieses Problem. Wir sitzen in unserem globalen Ökosystem zwar alle im selben Boot, teilen aber die Gefahren und Bedrohungen keineswegs in gleichem Maße. Nehmen Sie uns beide als Beispiel: Wir leben in wohlhabenden Staaten und sind in der Lage, uns für den Fall eines Klimaschocks zu wappnen. Sei es Sturm, Hitze oder ein anderes Extremwetterereignis, wir werden schon zurechtkommen. Für Menschen in ärmeren Weltregionen gilt dies nicht. Es wäre also dringend zu klären, wie die reichen Staaten denjenigen helfen können, die sich in einer weniger privilegierten Lage befinden.
Peter Frankopan, Jahrgang 1971, lehrt Globalgeschichte an der University of Oxford in Großbritannien und ist Direktor des Oxford Centre for Byzantine Research. Der Historiker und Byzantinist ist Autor der Bestseller "Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt" (2016) und "Die neuen Seidenstraßen. Gegenwart und Zukunft unserer Welt" (2018). In diesem Jahr erschien Frankopans neuestes Buch "Zwischen Erde und Himmel. Klima – eine Menschheitsgeschichte".
Eben diese reichen Staaten des Nordens knausern bei den Klimahilfen für die Länder des Globalen Südens, die am meisten unter dem Klimawandel leiden.
Das ist auch furchtbar falsch. Die Politik muss erkennen, dass sie belastbare Kompromisse schließen muss, das ist der einzige Weg. Diese bittere Wahrheit wird auch Putin einsehen müssen, ebenso wie Donald Trump. Die Neigung zur Kooperation ist aber noch gering in dieser Zeit offener Konfrontation und sich zuspitzender Rivalitäten – das ist mir bewusst. Aber das Klima lässt uns keine andere Wahl.
Das klingt jetzt aber doch pessimistisch?
Überhaupt nicht. Menschen neigen dazu, sich in die Krise hineinzureden, in ein Gefühl, das scheinbar alles katastrophal sei. Zugegeben, die Lage ist ernst. Aber schauen wir doch auf unsere Errungenschaften: Hohe Lebenserwartung, wachsender Wohlstand, technologischer Fortschritt, so viel hat die Menschheit in den letzten Jahrzehnten erreicht. Niemand sollte unsere Spezies unterschätzen, wir haben auch schon so manche Schwankung des Klimas überstanden.
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Wie Ihr aktuelles Buch "Zwischen Himmel und Erde" über die Geschichte von Menschheit und Klima deutlich zeigt. Es umfasst rund 1.000 Seiten.
Der bekannte Physiker Carlo Rovelli aus Italien hielt es einmal in der Hand und sagte mir: "Sie sollten kürzere Bücher schreiben!" Aber ich mag nun einmal dicke Bücher, zumal es ein aufwendiges Unterfangen ist, die Geschichte der Menschheit entlang des Klimas zu erzählen.
Der Blick ins Buch verrät, dass der Mensch bereits vor gut 5.000 Jahren das globale Klima verändert haben könnte.
Dabei handelt es sich um die sogenannte Ruddiman-Hypothese. Darauf basierend wird von manchen Forschern argumentiert, dass der menschliche Einfluss damals sogar eine neue Eiszeit verhindert haben könnte. Die Beweisführung ist allerdings überaus komplex, es bleiben Zweifel. Fest steht aber, dass seit dieser Zeit verstärkt Treibhausgase wie Methan und Kohlendioxid in die Atmosphäre kamen. Dies mag am Anbau von Reis in Ostasien gelegen haben oder auch an Brandrodungen an anderen Orten der Welt. Daran zeigt sich, dass Eingriffe in die Kreisläufe der Natur damals wie heute Folgen haben.
Wie kamen Sie auf die Idee, überhaupt ein solches Buch zu schreiben? Zuvor hatten Sie sich mit etwa mit Seidenstraße und Oströmischem Reich, dann unter anderem mit den meteorologischen Aufzeichnungen eines Thomas Jefferson beschäftigt.
In gewisser Weise ist das Fernsehen schuld. Als Kind durfte ich die BBC-Sendung "John Craven's Newsround" anschauen, dadurch sah ich zum ersten Mal die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf Umwelt und Klima. Es gab Ereignisse wie den sauren Regen in den 70er- und 80er-Jahren, der den Wäldern schadete, und über allem schwebte ohnehin die Gefahr eines Nuklearkrieges, der die Welt, wie wir sie kennen, zu zerstören drohte. Nicht zuletzt wollte ich mit meinem Buch als Historiker ergründen, wie wir an diesen gefährlichen Punkt geraten konnten, an dem sich die Welt gerade befindet.
Denn die Klimakrise ist nicht unser einziges Problem, sie verstärkt zudem bestehende wie Umweltverschmutzung, Raubbau an der Natur und die Zunahme von Infektionskrankheiten. Wie wir es gerade bei Corona erlebt haben.
Genau so ist es. Wir verbringen wenig Zeit damit, darüber nachzudenken, wie wir die Natur benutzen. Denn es geht nicht nur um das Klima, wenn wir auch in vielerlei Hinsicht darauf Einfluss nehmen. Der Blick in die Geschichte hilft uns, den Blick für die Probleme unserer Gegenwart zu schärfen. Nehmen wir das Römische Reich als Beispiel: Fast jeder interessiert sich dafür, wie ausschweifend dieser oder jener Kaiser gewesen ist und wen sie alles haben umbringen lassen. Ich finde es hingegen spannend zu ergründen, wie die Caracalla-Thermen in Rom funktioniert haben.
Aus welchem Grund?
Weil sie einen gewaltigen Verbrauch an Holz hatten, um den Gästen das Wasser angenehm zu erhitzen – neben allen anderen energiehungrigen Betrieben im Römischen Reich. Die Römer produzierten etwa Glas und Metall in rauen Mengen, all das erforderte Energie in Form von Holz. Deswegen wurde massiv abgeholzt. Diese Eingriffe in die Natur veränderten Umwelt und Klima nachhaltig.
Allerdings gab es auch frühe Mahner derartiger Praktiken. Warum blieben sie ungehört?
Im 1. Jahrhundert vor Christus warnte der Dichter Lukrez davor, die Natur über Gebühr zu beanspruchen, da ihre Ressourcen begrenzt seien. Jahrzehnte später äußerte sich ein anderer Römer, der Schriftsteller Columella, ähnlich: Ernteausfälle wären nicht "durch die Ungunst des Klimas, sondern eher durch unser eigenes Versagen" bedingt. Diese Worte haben heute weiterhin Gültigkeit. Aufrufe zum sorgsamen Umgang mit der Umwelt finden sich aber auch bereits weit früher. In einer der heiligen Schriften des Hinduismus, dem vor etwa 3.000 Jahren verfassten Yajurveda, heißt es: "Lebe in völliger Harmonie mit der Natur". Wahrscheinlich liegt es aber nicht in der menschlichen Natur, frühzeitige Warnungen ausreichend ernst zu nehmen.
Womit wir beim Garten Eden aus dem Alten Testament ein bezeichnendes Beispiel finden?
Bemerkenswert an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass Adam und Eva eine Art ökologische Strafe in Form ihrer Verbannung aus dem Paradies erhielten. Denn sie hatten Gott nicht gehorcht, also mussten sie das stabile Ökosystem Garten Eden verlassen und sich den Launen der Natur außerhalb ausliefern.
Welchen Einfluss aber hatte das Klima beim Aufstieg und Niedergang großer Reiche wie Rom?
Während der sogenannten Römischen Warmzeit von etwa 100 vor Christus bis etwa 200 nach Christus gab es nahezu klimatische Perfektion. Es war überdurchschnittlich warm, aber vor allem stabil – und Stabilität war das Erfolgsrezept vorindustrieller Gesellschaften, die von Handel und Landwirtschaft lebten. Das Römische Reich hat stark davon profitiert. Klimaschocks sind wiederum brandgefährlich.
Führen sie aber auch zum Zusammenbruch von Zivilisationen?
Das Klima allein bewirkt weder Aufstieg noch Ende einer Gesellschaft. Aber Klimaveränderungen verschlimmern sehr wohl bestehende Probleme – das wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Das kann dann sehr wohl in den Untergang führen. Erst recht, wenn es sich um stark hierarchisierte Gesellschaften handelt mit Eliten, die wenig Kontrolle unterliegen.
Und immer mehr Reichtum in ihren Händen konzentrieren? Zurzeit steigt die Zahl der Superreichen, ohne einen Elon Musk bekommen die USA keine Astronauten mehr in den Weltraum.
Das ist ein gewaltiges Problem. Wenn Sie mir ein weiteres Beispiel aus der Geschichte gestatten: Die Tang-Dynastie beherrschte China zwischen 618 und 907, zu ihrem Ende trug nicht zuletzt die enorme Konzentration des Reichtums in Händen weniger Vermögender bei. Verheerende Wetterereignisse wirkten dabei als der bereits erwähnte Brandbeschleuniger. Insofern lässt sich durchaus aus der Geschichte etwas lernen. Insbesondere, wenn neben dem menschengemachten Klimawandel weitere Ereignisse dazukommen.
Wie etwa ein Vulkanausbruch?
Das ist eine gewaltige Gefahr für das Weltklima. Als der Vulkan von Santorin um 1.600 vor Christus ausbrach, entfesselte er die Sprengkraft von zwei Millionen Atombomben des Hiroshima-Typs. Der Ausbruch des Tambora in Indonesien 1815 verursachte in Europa für das "Jahr ohne Sommer" – Missernten und Seuchen waren die Folge. Wir machen uns viel zu wenig bewusst, wie fragil unser Klima ist. Und tragen selbst zur erhöhten Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen großen Vulkanausbruchs bei.
Wie das?
Ausbrüche von Vulkanen hängen mit verschiedenen Faktoren zusammen, wie aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Anstieg des Meeresspiegels durch das Schmelzen der Eisschilde etwa oder die massive Entnahme von Grundwasser. Wussten Sie, dass die Herstellung einer einzigen Jeans rund 7.500 Liter Wasser benötigt? Diese Erkenntnis hat mich nachdenklich gemacht.
Nun könnten Leugner des Klimawandels Teile Ihres Buches für ihre Zwecke instrumentalisieren: Wenn das Klima ohnehin schwankt, könne der menschliche Einfluss darauf kaum ins Gewicht fallen. Was halten Sie dem entgegen?
Ich kann niemandem vorschreiben, was er zu denken hat. Selbst wenn es falsch ist. Die Fakten sprechen allerdings für sich. Dieses Frühjahr erlebte Südasien eine furchtbare Hitzewelle, in China wurden Bodentemperaturen von mehr als 70 Grad Celsius gemessen. Manche Menschen mögen es für normal halten, dass der Rhein im Sommer nahezu verschwindet und in den Alpen Temperaturen von über 40 Grad herrschen. So ist es aber nicht. Das Klima hat sich selbstverständlich bereits gewandelt, bevor wir Menschen eingegriffen haben. Aber für die 2.000 Jahre vor der Industriellen Revolution gibt es eben keine belastbaren Beweise für global kohärente Kalt- oder Warmzeiten, wie wir Letzteres gerade erleben.
Also Klimaveränderungen von globaler Tragweite?
Genau. Die globale Erwärmung betrifft gegenwärtig 98 Prozent der Erdoberfläche. Das ist ein Fakt, ob Klimawandelleugnern das gefällt oder nicht. Der Glaube an die Unendlichkeit von Ressourcen und ewiges Wirtschaftswachstum ist einfach irrig.
Woher stammt er aber?
Spätestens mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hielt diese Ansicht, zumindest in den westlichen Gesellschaften, Einzug – was viel mit wirtschaftlichem und technologischem Aufstieg zu tun hat. Seitdem glauben wir, dass die Natur sich unserer Kontrolle beugen wird. Was auf gewisse Weise erstaunlich ist, denn seit damals verfügt die Menschheit in Form der Nuklearwaffen ebenfalls über die Fähigkeit, sich selbst zu zerstören. Nicht einmal allein durch die Vernichtungskraft der Waffen selbst, sondern durch den nuklearen Winter, der sich anschließen würde. Dann wäre Schluss mit der Menschheit.
Was ist aber Ihr Ratschlag in Bezug auf die Klimakrise im Vorfeld der COP28 in Dubai?
Wir müssen lernen, mit Schocks umzugehen. Das ist die zentrale Lehre aus der Geschichte wie auch der Religion. Erinnern Sie sich an die Josefgeschichte aus dem Alten Testament?
Sie spielen auf die darin prophezeiten "sieben fetten und sieben mageren Jahre" im alten Ägypten an?
Genau. Entsprechend der Warnung, dass die berühmt-berüchtigten "sieben mageren Jahre" folgen würden, legten die alten Ägypter rechtzeitig Vorräte für die Zeit der Not an. Diese Lehre sollten wir beherzigen.
Also ist die COP28 in Dubai ein Schritt in die richtige Richtung? Sage und schreibe 80.000 Teilnehmer werden dort erwartet.
Auf solchen Konferenzen passiert viel hinter den Kulissen, darüber hinaus sind sie eine gute Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen und Standpunkte auszutauschen. Insofern ist es doch eine gute Sache.
Professor Frankopan, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Peter Frankopan via Videokonferenz