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Russland zerstört seinen wertvollsten Schatz – und damit auch seine Zukunft?


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Zukunft des Riesenreichs
So zerstört Russland seinen wertvollsten Schatz

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 04.06.2023Lesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin beim Urlaub (Archivbild): Für Russlands Präsidenten ist die Natur zum Ausbeuten da, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin im Urlaub (Archivbild): Für Russlands Präsidenten ist die Natur zum Ausbeuten da, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Alexei Druzhinin/imago-images-bilder)
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Russland plündert seine Naturschätze. Nicht aus Ahnungslosigkeit, sondern mit Kalkül. Denn so rollt der Rubel in die Kassen des Kreml. Dabei wird eine Ressource in Zukunft besonders wertvoll werden. Meint Wladimir Kaminer.

Im vergangenen Mai wurde Greenpeace in Russland zu einer "Unerwünschten Organisation" erklärt, ihre Tätigkeit auf dem Gebiet der Russischen Föderation verboten. Der Status "unerwünscht" gilt in der russischen Gesetzgebung als äußerst toxisch, er kriminalisiert jegliche Handlung, jeden Kontakt, schlichtweg alles, was direkt oder indirekt mit Greenpeace zu tun hat.

Er ist auch nicht vergleichbar mit dem Status "Ausländischer Agent", denn "Agenten" werden unter Auflagen trotzdem geduldet, die "Unerwünschten" hingegen nicht. Jede Person, die mit einer "Unerwünschten Organisation" in Berührung kommt, macht sich im Sinne des Strafgesetzbuches schuldig. Die Entscheidung kam nicht unerwartet, immerhin setzt sich Greenpeace laut Eigenbeschreibung neben dem Naturschutz auch für den Frieden ein – und Frieden ist in Russland zu einem gefährlichen Wort geworden.

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neues Buch "Wie sage ich es meiner Mutter. Die neue Welt erklärt: von Gendersternchen bis Bio-Siegel".

Jeder, der heute zum Frieden aufruft, gilt als Staatsfeind. Mit dieser Erklärung ist der langjährige Kampf der Putin hörigen Partei Russisch Ökologische Partei und des Naturministeriums (so ein Ministerium gibt es in Russland tatsächlich) gegen Greenpeace erfolgreich zu Ende gegangen. Greenpeace hat es binnen relativ kurzer Zeit in Russland geschafft, ziemlich jedem Oligarchen, jedem Gouverneur und jeder Staatsfirma über den Weg zu laufen, damit ist jetzt endlich Schluss, das Naturministerium reibt sich die Hände.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass der russische staatlich gelenkte Kapitalismus hauptsächlich von der Ausbeutung der Ressourcen und deren Verkauf ins Ausland lebt. Kein Krieg, keine Sanktionen und kein Greenpeace haben das Abpumpen von Öl und Gas, das Abholzen der Wälder wesentlich beeinflussen können. Der Illusion, dass das große Land in absehbarer Zukunft auf die Produktion von technischen Geräten, Getränken oder Klamotten umsteigen würde, gibt sich niemand mehr hin.

Immer da, wo es am schönsten ist

Wenn man vor dem Krieg noch die russischen Waffensysteme für wettbewerbsfähig hielt, ist nun auch damit Schluss – nachdem die ganze Welt sie im Einsatz "bewundern" konnte. Die Ausschlachtung der Ressourcen war und bleibt die makroökonomische Stütze der Macht in Russland, ganz egal, wer regiert. Die Ausbeutung der Natur wird von der Mehrheit der Bevölkerung nicht als Verbrechen begriffen, sondern als der Preis für erfolgreiches Handeln.

Die Russen mögen ihre Natur, so wie man im Kaukasus die Lämmchen mag, nicht zum Kuscheln, sondern zum Essen. Sobald die Menschen Macht besitzen oder ans Geld kommen, wollen sie ihre großen Schlösser am liebsten mitten in die Bioreservate bauen, sie wollen jagen und angeln und im Wald grillen, die Sommerwaldbrände Sibiriens sind legendär.

Das Naturministerium setzt sich entsprechend permanent dafür ein, die von den Ökologen gesetzten Maximalwerte für chemische Abfallprodukte im Wasser und in der Luft zu lockern. Besser noch: Weit, weit nach unten zu revidieren, denn je mehr Gifte eine Chemiefabrik ins Wasser spülen darf, desto höher werden ihre Gewinne sein.

In den Regionen waren noch vor dem Überfall auf die Ukraine mehrere Gouverneure während der Jagd aus dem Hubschrauber gefallen. Es war die heißeste Mode der Saison: die Hubschrauberjagd auf Bergziegen im Naturschutzgebiet, sie sind eine seltene, geschützte Tierart. Doch vor den Gouverneuren waren die Ziegen nicht geschützt.

Ich glaube, es lief so: Jeder einzelne Landesfürst stellte sich, kaum an die Macht gekommen, als Erstes die Frage, was ihm eben diese Macht persönlich einbringen könnte. Er wollte etwas tun, was einem Normalsterblichen verboten war, zum Beispiel vom Hubschrauber aus mit automatischen Waffen auf die Bergziegen schießen, eine spannende und gefährliche Russen-Safari.

Dann ging es abwärts

Weil aber kaum ein Gouverneur Erfahrung im Umgang mit automatischen Waffen hatte – und den starken Rückstoß entsprechend nicht erwartete –, fielen regelmäßig nicht angeschnallte Landesfürsten aus dem Hubschrauber zu den Ziegen runter. Der Gerechtigkeit halber muss jedoch gesagt werden: Auch die einfachen Bürger, die in der Nähe der Naturschutzzonen leben, haben keine große Lust auf den Naturschutz.

Auch sie wollen jagen und angeln, so wie es ihre Vorfahren gemacht haben, und sie verstehen nicht, warum sie es nicht dürfen. Die Klimaerwärmung ist in Russland keine Selbstverständlichkeit, sondern nur eine Theorie, die von einem Teil der Wissenschaft bestätigt, von einem anderen Teil bestritten wird. Die gesellschaftliche Meinung im Land geht dahin zu sagen: Die Natur ist zu mächtig und zu komplex, um auf etwas so Kleines und Unbedeutendes wie das menschliche Treiben auf Erden zu reagieren.

Die Natur regelt ihre Angelegenheiten von alleine, ohne unsere Hilfe, sie bemerkt uns möglicherweise nicht einmal, und das ist auch gut so. Mit dieser Sichtweise steht Russland nicht alleine da. Wenn wir auf die ökologische Landkarte blicken, sehen wir, dass vor allem die Länder mit hohem Wohlstand einen Wertewandel erleben, für sie ist die tägliche Essensration eine Selbstverständlichkeit: Entsprechend machen sie sich Gedanken über Feinstaub und saubere Luft.

Die ärmeren Nationen, die in ihrem täglichen Überlebenskampf keinen Gedanken an Feinstaub verschwenden, machen sich keine Mühe, die Belange der "Letzten Generation" hier etwa aus Deutschland zu verstehen, die ihre Väter – die Porsche-Fahrer – zum Stehen bringen möchte.

Quo vadis, Russland?

Eine Bewegung wie die "Letzte Generation" wäre in Indien oder in Russland heute unvorstellbar. Im Übrigen machen sich die Russen keine Sorgen, dass ihre Öl- und Gasvorräte bald nicht mehr gebraucht werden. Süßwasser soll nach Einschätzung der Ökologen zum neuen Gold des Jahrhunderts werden, und die größten Vorräte davon besitzt die Russische Föderation. Die aktuelle europäische Debatte zum Klimaschutz lässt offen, wen und was genau wir retten wollen.

Retten wir auch die Menschen oder nur den Planeten ohne oder mit deutlich weniger Menschen? Können wir beides gleichzeitig retten? Die Frage der Klimakrise stößt an die Frage der Armutsbekämpfung. Die Ökologie reibt sich an der Ökonomie, in der Hoffnung, dass aus dieser Reibung ein neues, gescheites Konzept für alle entstehen kann. Bis jetzt ist aber nur eine Menge Feinstaub herausgekommen.

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