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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Generalinspekteur a. D. Schneiderhan "Putin hat es offensichtlich todernst gemeint"
Den Frieden will Wolfgang Schneiderhan vorantreiben, doch seit Russlands Angriffskrieg ist dies umso schwerer geworden. Im Gespräch erklärt der einst ranghöchste Offizier der Bundeswehr, wie Versöhnung möglich werden könnte.
Russland führt Krieg gegen die Ukraine, Menschen sterben, Landstriche werden verwüstet. Wolfgang Schneiderhan, früher Generalinspekteur der Bundeswehr, erklärt im Gespräch, welche Verantwortung Deutschland für die Region trägt – und was der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge für die Versöhnung tun kann, dessen Präsident Schneiderhan heute ist.
t-online: Herr Schneiderhan, Ihre Organisation sucht nach deutschen Kriegstoten, bestattet sie und pflegt ihre Gräber im Ausland. Wie schwer ist diese Arbeit seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 geworden?
Wolfgang Schneiderhan: Unsere Arbeit in Russland ist fraglos schwieriger geworden. Im vergangenen Jahr konnten wir die sterblichen Überreste von rund 5.800 deutschen Soldaten im Land bergen. Die offiziellen Kontakte auf höherer Ebene liegen auf Eis, darunter gibt es aber weiterhin eine Zusammenarbeit.
Wie wird die Arbeit des Volksbunds generell aufgenommen in Russland – immerhin kamen die deutschen Soldaten einst als Invasoren ins Land?
Es ist immer wieder sehr bewegend, dass uns die Menschen erlauben, die toten deutschen Soldaten in russischer Erde zu bestatten, obwohl diese Männer einst ihr Land in Diensten eines verbrecherischen Systems überfallen haben. Wo wir Gräberfelder anlegen, existiert ein unglaubliches Entgegenkommen seitens der Zivilbevölkerung und auch der Veteranen, die heute noch leben. Das gibt zumindest etwas Hoffnung in diesen Zeiten, in denen erneut ein Angriffskrieg in Europa herrscht.
Wolfgang Schneiderhan, Jahrgang 1946, ist seit 2017 Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Zuvor war der General a. D. unter anderem von 2002 bis 2009 Generalinspekteur der Bundeswehr.
Der Volksbund versteht nicht nur die Bestattung der Toten und die Pflege von Grabstätten als seine Aufgabe, sondern auch die Friedensarbeit. Ist das weiterhin möglich?
Es hat sich einiges geändert, seit Russlands Präsident bekannt hat, dass er das Ende der Sowjetunion für die "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" hält. Wir hätten damals besser zuhören sollen, denn Putin hat es offensichtlich todernst gemeint. Junge Russinnen und Russen können wir in der derzeitigen Lage nicht mehr in unsere Jugendarbeit einbeziehen, das ist mehr als bedauerlich. Ich mache mir auch große Sorgen um die jungen Menschen, die ich in den vergangenen Jahren kennengelernt habe – sowohl in Russland als auch in der Ukraine. Putin macht so vieles kaputt.
"Soldatengräber sind die großen Prediger des Friedens", hat der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer einmal gesagt.
Das ist unser Leitspruch, genau wie der Satz des früheren EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker: "Wer an Europa zweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen." Der Volksbund betreut Friedhöfe in 46 Ländern mit rund 2,8 Millionen deutschen Kriegstoten, um nur einmal die Dimension der Weltkriege zu verdeutlichen, die Deutschland geführt hat. Dies sollte uns Mahnung und zugleich Ansporn sein, Frieden nicht nur als die Abwesenheit von Krieg zu verstehen. Sondern dass es um die Herstellung von Lebensverhältnissen geht, in denen die Menschen ein würdiges Leben unter demokratischen und rechtsstaatlichen Bedingungen führen können. Jüngeren zu vermitteln, was Krieg ist und was er anrichtet, ist ein wichtiger Schritt dabei.
Haben Sie ein Beispiel, wie Sie dabei vorgehen?
2018 war ich mit deutschen und russischen U-18-Fußballmannschaften in Wolgograd…
… das unter seiner früheren Bezeichnung Stalingrad Schauplatz einer der grausamsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs gewesen ist.
Genau. Ich bin mit diesen jungen Männern auch auf dem Gefallenenfriedhof gewesen. Dort konnte ich beobachten, was immer wieder geschieht, wenn Menschen von 17, 18 oder auch 19 Jahren einen der Friedhöfe besuchen – beim Betrachten der Grabsteine fällt ihnen schnell auf, dass die Gefallenen in den Gräbern im Moment ihres Todes genauso alt waren wie sie jetzt. Das stimmt nachdenklich.
Nun nutzte Wladimir Putin kürzlich am 80. Jahrestag des Endes der Schlacht um Stalingrad Wolgograd als Schauplatz seiner Propaganda gegen die Ukraine und den Westen.
Für die Menschen Russlands ist die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg, wie der Abwehrkampf gegen das nationalsozialistische Deutschland genannt wird, überaus wichtig. Einerseits ist dies verständlich aufgrund des unvorstellbaren Leids, das Deutsche dort verursacht haben, andererseits zeigt es aber, mit was für einem Mann wir es in der Person Putins zu tun haben.
Der 1919 gegründete Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein. Seine Aufgabe besteht darin, Kriegstote im Ausland zu suchen und zu bergen, sie anschließend zu bestatten und die Pflege der Gräber sicherzustellen. Darüber hinaus widmet sich der Volksbund der historisch-politischen Bildung. Im Jahr 2022 konnte der Volksbund mehr als 5.800 Kriegstote auf dem Territorium der Russsischen Föderation ausfindig machen, insgesamt sucht er in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion weiterhin nach den sterblichen Überresten von rund 1,3 Millionen deutschen Kriegstoten aus dem Zweiten Weltkrieg.
Deutschland hat das Kriegsgräberabkommen mit Russland im Jahr 1992 geschlossen. Was bedeutet es für Sie, dass die Zusammenarbeit nun von einem neuen Krieg überschattet wird?
Zunächst einmal ist das ein schrecklicher Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten. Ich kann mich noch gut daran erinnern – auch während meiner Zeit als Generalinspekteur der Bundeswehr –, wie ermutigend die Kooperation lange Zeit gewesen ist. Nun müssen wir alles dafür tun, dass nach einem Frieden der Wiederaufbau gelingt. An dieser Stelle möchte ich eine Sache betonen: Immer wieder heißt es, dieser und jener Krieg sei ausgebrochen. Nein, Kriege brechen nicht aus, Kriege werden von Menschen vorbereitet und durchgeführt. Der Zweite Weltkrieg begann 1939, aber geplant wurde er schon Jahre zuvor. Das bedeutet, dass wir mit unserer Gedenk- und Versöhnungsarbeit gar nicht früh genug beginnen können.
Wie haben Sie als Generalinspekteur der Bundeswehr die Begegnung mit russischen Soldaten erlebt?
In Russland merkt man schnell, dass die Würde des Menschen in der Verfassung nicht an erster Stelle steht, das gilt auch für die russische Armee. Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben bei uns selbstverständlich das gleiche Recht auf eine menschenwürdige Behandlung wie jede Bürgerin und jeder Bürger. Als Generalinspekteur habe ich mehrmals erlebt, wie erstaunt russische Soldaten waren, als sie bei der gemeinsamen Arbeit auf Berliner Gefallenenfriedhöfen sahen, mit welchem Respekt Angehörige der Bundeswehr durch ihre Vorgesetzten behandelt wurden. Da muss man selbst gar nicht mehr viel sagen.
Wie ist Ihre Erfahrung mit Soldaten der ukrainischen Armee?
Das ist ein Rückblick auf mein früheres Leben als Generalinspekteur. Ich bin in dieser Funktion öfters in der Ukraine gewesen, weil die Bundeswehr bei der Neuorganisation der Logistik und dem Aufbau eines Korps beteiligt gewesen ist. Dass sich die heutige ukrainische Armee in zahlreichen Bereichen sehr stark von der russischen unterscheidet, hat sich seit dem Februar 2022 deutlich gezeigt. Wir haben übrigens Glück, dass weder unsere russischen noch die ukrainischen Mitarbeiter bislang zu ihrer jeweiligen Armee eingezogen worden sind. Sonst würden sich Angehörige des Volksbundes an der Front gegenüberstehen. Das wäre unerträglich.
Wir haben bereits über die Situation in Russland gesprochen, aber wie gestaltet sich die Arbeit des Volksbunds in der umkämpften Ukraine?
Die Lage ist verständlicherweise schwierig. Der ganze Wahnsinn dieses Krieges drückt sich darin aus, dass ukrainische Soldaten immer wieder auf deutsche Kriegstote stoßen – beim Anlegen von Schützengräben und Befestigungen. Diese Toten sind im Zweiten Weltkrieg dort gefallen. Das zeigt auch auf, welche Verantwortung Deutschland in dieser Region zukommt.
Hatten Sie persönlich den russischen Überfall vom 24. Februar 2022 für möglich gehalten?
Einerseits konnte ich mir aus der militärischen Perspektive heraus nicht vorstellen, dass Russland derart viele Truppen aufmarschieren lässt, ohne sie dann auch einzusetzen. Andererseits konnte und wollte ich mir nicht vorstellen, dass entgegen allen Regeln des Völkerrechts mitten in Europa ein Land ein anderes überfällt. Putin war auf Erpressung aus, das war meine Hoffnung. Die sich als Irrtum herausstellen sollte.
Wenn in der Zukunft die Waffen zwischen der Ukraine und Russland schweigen sollten, wie könnte eine Versöhnung gelingen?
Vielleicht wird die Versöhnung wieder auf den Friedhöfen beginnen. So wie es leider so oft nach Kriegen ist.
Herr Schneiderhan, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Wolfgang Schneiderhan via Videokonferenz