Kritik an Visavergabe Baerbock und Faeser reisen zu türkischen Erdbebenopfern
In den Erdbebenregionen wollen sich Ministerinnen Baerbock und Faeser ein Bild von der Zerstörung machen. In Deutschland gibt es Kritik an der Visa-Vergabe.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) wollen an diesem Dienstag in der südosttürkischen Erdbebenregion weitere Hilfsgüter übergeben und sich ein Bild von der Lage der Menschen machen. Nach Angaben eines Sprechers des Auswärtigen Amtes in Berlin sind auch Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen geplant, die in der Türkei und in Syrien arbeiten. In der weiter nordwestlich gelegenen und ebenfalls stark betroffenen Region Kahramanmaras wollen die Ministerinnen in einer Zeltstadt mit Erdbebenopfern und Helfern sprechen.
Am 6. Februar hatten zwei starke Beben die Südosttürkei und den Norden Syriens erschüttert. Das Epizentrum lag jeweils in der südtürkischen Provinz Kahramanmaras. Mehr als 47.000 Menschen sind ums Leben gekommen, davon mehr als 41.000 in der Türkei.
Türkische Ärzte haben Zweifel an Zahlen
Die türkische Ärztekammer geht derweil davon aus, dass die Zahl der Toten weit höher liegen könnte. "Wir haben Zweifel an den Zahlen", sagte Vedat Bulut von der Ärztekammer TTB der Deutschen Presse-Agentur. Man wolle die Zahl der Bestattungen bis Anfang März bei den Kommunen abfragen und so die Regierungsangaben überprüfen.
"Als in Kahramanmaras 6.000 Todesfälle gemeldet wurden, gab es beispielsweise Bestattungsunterlagen zu 11.000 Menschen." Grund dafür könne entweder sein, dass die offiziellen Zahlen zu niedrig angegeben würden. Es könne theoretisch aber auch sein, dass Tote von ihren Angehörigen aus anderen Provinzen nach Kahramanmaras gebracht worden seien.
Tote bei weiteren Beben
Am Montag erschütterten weitere Beben die Region mit Stärken von 6,4 und 5,8. Die Epizentren lagen in der Provinz Hatay, wie die Erdbebenwarte Kandilli in Istanbul mitteilte. Mindestens drei Menschen wurden dadurch getötet, sagte Innenminister Süleman Soylu am Abend. Mehrere Menschen seien unter Trümmern eingeschlossen worden. Hier lesen Sie mehr dazu. Gesundheitsminister Fahrettin Koca teilte auf Twitter mit, 294 Menschen seien verletzt worden, 18 davon schwer. Bilder zeigten, wie Menschen im Moment des Bebens in Panik auf die Straße liefen.
Das Beben war auch in den umliegenden Provinzen, im Norden Syriens und bis in den Libanon zu spüren. Auch in Syrien wurden Verletzte registriert: Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte zählte am Montagabend 470 Verletzte in dem Land, die meisten davon im Raum Aleppo.
Auf die beiden Beben folgten erneut zahlreiche Nachbeben. Es habe sich nicht um Nachbeben der großen Beben von vor zwei Wochen gehandelt, sagte der türkische Vize-Präsident Fuat Oktay.
"Fühlen sich zum zweiten Mal im Stich gelassen"
Die Welthungerhilfe mahnte kurz vor dem Besuch der Ministerinnen mehr Hilfe für die betroffenen Syrer an. "Insbesondere in Nordwestsyrien kommt bisher immer noch zu wenig von der dringend benötigten Unterstützung an", sagte der Generalsekretär der Hilfsorganisation, Mathias Mogge, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Öffnung weiterer Grenzübergänge zwischen der Türkei und Syrien sei ein Anfang. "Aber nun müssen endlich Hilfsgüter wie Wasser, Medikamente, Nahrung und Zelte schnell in ausreichenden Mengen geliefert werden."
Mitarbeiter vor Ort berichteten, "dass sich die Menschen in den syrischen Erdbebengebieten zum zweiten Male von der internationalen Staatengemeinschaft im Stich gelassen fühlen", sagte Mogge. Die Welthungerhilfe leiste mit lokalen Partnern Überlebenshilfe, aber die Not sei riesig. "Wir werden einen langen Atem brauchen, um den Opfern des Erdbebens nicht nur beim Überleben, sondern auch in der ersten Phase des Wiederaufbaus zur Seite zu stehen", sagte er voraus.
Baerbock und Faeser wollten sich gut zwei Wochen nach den Erdstößen zunächst am Flughafen der Stadt Gaziantep über mögliche Probleme bei der Abwicklung der Hilfslieferungen informieren. Dort sollen auch weitere Hilfsgüter des Technischen Hilfswerks (THW) an den türkischen Katastrophenschutz übergeben werden. Von dem Flughafen aus werden die Hilfslieferungen sowohl für die Türkei als auch für den ebenfalls stark betroffenen Nordwesten Syriens abgewickelt. Ob es auch ein Treffen mit türkischen Regierungsvertreter gibt, war zunächst unklar.
Kritik am deutschen Visa-Verfahren
Die beiden deutschen Ministerinnen planten auch den Besuch eines der wiedereröffneten Visaannahmezentren und eines neu eingerichteten mobilen Visaannahmebusses. Erdbebenopfern soll mit Drei-Monats-Visa ermöglicht werden, übergangsweise bei nahen Angehörigen in Deutschland unterzukommen.
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes hat Deutschland gut eine Woche nach der Einführung des vereinfachten Visa-Verfahrens einer "zweistelligen Zahl" von Menschen aus der Türkei Einreiseerlaubnisse erteilt. Weitere Anträge seien in Bearbeitung, hieß es. Bis Freitagnachmittag seien demnach 20 Visa ausgestellt worden.
Kritik am Verfahren war laut geworden, weil trotz des Versprechens einer unbürokratischen Hilfe für die Visaerteilung etwa ein gültiger Pass und ein biometrisches Foto benötigt werden. Kritiker monieren, diese seien angesichts der Zerstörung oft nicht zu beschaffen.
58 Millionen Euro aus Deutschland
Bisher stellt Deutschland Hilfen in Höhe von 58 Millionen Euro für die Erdbebenopfer zur Verfügung – davon 8,2 Millionen Euro für Sachlieferungen, hieß es aus der Bundesregierung. Darunter seien etwa 200 Zelte für je zwölf Personen sowie Zeltausstattung wie Feldbetten, Schlafsäcke, Generatoren, Zeltheizung und Beleuchtung.
Laut Bundesregierung waren bisher 52 Helferinnen und Helfer sowie vier Rettungshunde des THW in dem Erdbebengebiet, 38 Einsatzkräfte und 3 Rettungshunde der NGO @fire, 43 Einsatzkräfte und 7 Rettungshunde von I.S.A.R. Germany sowie die Bundespolizei mit 25 Einsatzkräften und 5 Rettungshunden. Deren Einsätze seien abgeschlossen. Es seien noch weitere deutsche Hilfsorganisationen vor Ort. Eine abschließende Übersicht über die dort aktiven deutschen Nichtregierungsorganisationen liegt nicht vor.
- Nachrichtenagentur dpa