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Bergkarabach-Konflikt: Wie Russland als "Schutzmacht" versagt


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Dramatische Blockade im Kaukasus
Wie Russland als "Schutzmacht" versagt


27.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Russische Friedenssoldaten in Bergkarabach: Seit zwei Wochen sind 120.000 Menschen in der Region von der Außenwelt abgeschnitten. (Quelle: Stringer)
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Eigentlich sollten russische Soldaten in Bergkarabach für Ordnung sorgen. Doch nun sind 120.000 Menschen von der Außenwelt abgeschnitten.

Es ist ein Video, das so symbolisch für den Konflikt steht: Eine angebliche Umweltaktivistin aus Aserbaidschan steht in einer Straßenblockade, in ihrer Hand hält sie eine weiße Taube – das Symbol für Frieden. Doch während sie "Karabach ist Aserbaidschan" in ein Megafon schreit, hängt die Taube nur noch tot in ihrer Hand. Sie bemerkt es nicht und schleudert das Tier in die Luft, in der Hoffnung es würde losfliegen. Wie ein Stein fällt der Vogel zu Boden.

Das Video stammt aus den Anfangstagen der Blockade des Latschin-Korridors, die mittlerweile seit mehr als zwei Wochen anhält. 120.000 vorrangig armenische Bewohner Bergkarabachs sind von der Außenwelt abgeschnitten, eine humanitäre Katastrophe steht bevor. Denn über den Latschin-Korridor werden die Menschen von Armenien aus mit Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff versorgt.

Dabei sollten eigentlich russische Soldaten für ihre Sicherheit garantieren. Wie konnte das also passieren?

Appelle finden bei Aserbaidschan kein Gehör

Auf Appelle, der Korridor müsse geöffnet werden, reagiert Aserbaidschan nicht. Offiziell will das Land auch nichts mit der Blockade zu tun haben: Angeblich handle es sich um Umweltaktivisten, die die Straßen aus Protest gegen den Abbau von Bodenschätzen blockieren. Auch der Vorwurf, Aserbaidschan würde "eine humanitäre Krise heraufbeschwören", entbehre jeder Grundlage.

Experten gehen allerdings davon aus, dass die Blockierer Anhänger der Regierung sind, die von aserbaidschanischer Seite unterstützt werden. Armenischen Angaben zufolge sind auch Mitarbeiter des Geheimdienstes beteiligt.

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Um zu verstehen, was dort passiert, bedarf es eines Blicks zurück. Bergkarabach, das sich selbst als unabhängig sieht und als Republik Arzach bezeichnet, wird mehrheitlich von Armeniern bewohnt, gehört aber völkerrechtlich zu Aserbaidschan. Vor zwei Jahren kam es zum wiederholten Mal zu einem Krieg in der Region. Aserbaidschanische Truppen eroberten Territorium zurück, welches das Land in einem früheren Konflikt verloren hatte. Mithilfe Russlands herrscht seitdem ein Waffenstillstand, der jedoch überaus brüchig ist.

Russische Friedenssoldaten schreiten nicht ein

Seit Ende des Kriegen sollen 2.000 russische Friedenssoldaten für Ordnung sorgen – eigentlich. Denn seitdem Russland die Ukraine überfallen hat, sind dort nicht nur die Kräfte gebunden. Russlands Ruf als starke Führungsmacht in der Region ist zudem angeschlagen. Bislang zumindest haben die Truppen der Blockade größtenteils tatenlos zugeschaut.

Zwar sieht sich Kremlchef Wladimir Putin noch immer als Vermittler zwischen den Ex-Sowjetrepubliken. Doch in Armenien wird sich mittlerweile immer offener und lauter über die Schutzmacht empört. "Die russische Friedensmission erfüllt ihre Aufgaben zur Kontrolle des Latschin-Korridors nicht", sagte etwa der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan.

Keine Fortschritte bei Gesprächen in St. Petersburg

Als sich Paschinjan an diesem Dienstag in St. Petersburg mit Putin traf, wiederholte er seine Kritik deutlich. Es sei mittlerweile klar, so Paschinjan zu Putin, dass Russland keine Kontrolle mehr über den Korridor habe. So berichteten zumindest armenische Medien von dem Gespräch. Russische Nachrichtenagenturen verbreiteten hingegen, Paschinjan habe sich bei Putin für die Gelegenheit bedankt, über die Lage in Bergkarabach sprechen zu können.

Am Tag zuvor war bereits ein Treffen zwischen Putin, Paschinjan und dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev zu Ende gegangen, ohne dass bedeutende Fortschritte verkündet wurden.

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Der Kreml wies die Vorwürfe zwar als unbegründet zurück. Die russischen Friedenstruppen würden alles Mögliche tun, um die Ordnung und Ruhe in den Territorien zu gewährleisten, auf denen sie arbeiten, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow bereits vergangene Woche. Blockiert ist der Korridor aber dennoch.

Videos von den Absperrungen zeigen, wie die aserbaidschanischen Blockierer teils russischen Militärkonvois die Durchfahrt verweigern, andere dürfen passieren. Die Untätigkeit könnte aber noch einen weiteren Grund haben, den der Vorsitzende des armenischen Sicherheitsrats im Fernsehen erläuterte: Armen Grigoryan erzählte, Russland dränge Armenien dazu, der russisch-belarussischen Union beizutreten.

Russland hatte dieses Bündnis mit Belarus erst vor rund einem Jahr deutlich vertieft: Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum soll geschaffen werden, und auch in der Verteidigungspolitik wachsen beide Länder weiter zusammen. Die belarussische Opposition warnt schon lange davor, dass Russland Schritt für Schritt versuche, sich Belarus einzuverleiben.

Lage für Menschen spitzt sich zu

Unterdessen spitzt sich die Lage für die Menschen in Bergkarabach zu. Kaum ein Auto oder Lastwagen scheint durchzukommen. Armenische Medien berichten, dass Medikamente bereits knapp werden, darunter Antibiotika, Schmerzmittel und spezielle Mittel für Kinder, die an Epilepsie leiden. Wie die Journalistin Anush Ghavalyan aus Stepanakert berichtet, müssen Operationen verschoben werden. Menschen auf den Intensivstationen seien teilweise in kritischem Zustand und müssten dringend in Spezialkliniken in Armenien verlegt werden.

Zehntausende gingen am Wochenende auf die Straße, forderten die Öffnung des Korridors. Der Staatsminister der selbst ernannten Republik Arzach, Ruben Vardanyan, forderte im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) Unterstützung von der Europäischen Union und die Einrichtung einer Luftbrücke. "Wir haben einen Airport, aber wir dürfen ihn nicht benutzen, weil Aserbaidschan es nicht genehmigt", sagte er.

Der Konflikt um Bergkarabach

Der Konflikt ist einer der ältesten der Neuzeit. Die Führung der Sowjetunion sprach das überwiegend armenisch bewohnte Gebiet 1921 Aserbaidschan zu. Dagegen gab es in Bergkarabach immer wieder Proteste, bis Ende der 1980er Jahre ein blutiger Konflikt ausbrach, in den schließlich auch Armenien einstieg und gemeinsam mit der Armee Bergkarabachs die Region unter ihre Kontrolle brachte. 2020 startete Aserbaidschan eine Offensive, um die Region zurückzuerobern. Bergkarabach selbst bezeichnet sich als unabhängig, in einer UN-Resolution wurde das Gebiet bis zu einer endgültigen Lösung des Konflikts Aserbaidschan zugesprochen.

Das aber wäre wichtig, um eine Luftbrücke umzusetzen: "Was wir uns wünschen würden, wäre eine Luftbrücke zwischen Jerewan und unserer Hauptstadt Stepanakert. So wie sie die Deutschen von 1948/49 kennen, als britische und amerikanische Flugzeuge Westberlin aus der Luft versorgten, nachdem die Sowjets eine Blockade verhängt hatten", sagte Vardanyan.

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Doch nicht nur die russischen, auch die europäischen Versuche zu vermitteln waren bislang nicht von Erfolg gekrönt. Eigentlich hätten noch im Dezember Gespräche zwischen Aserbaidschan und Armenien stattfinden sollen. Doch diese wurden abgesagt, nachdem Aserbaidschan Frankreich vorgeworfen hatte, Armenien zu unterstützen.

Nicht nur wird dadurch eine schnelle Lösung für die 120.000 eingeschlossenen Menschen unwahrscheinlicher – auch ein tatsächlicher Frieden in dieser Region rückt in weite Ferne.

Verwendete Quellen
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