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Ex-Ministerpräsident von Finnland: "Das Veto Erdogans hat andere Gründe"


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Nato-Erweiterung
"Das Veto Erdoğans hat andere Gründe"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

Aktualisiert am 21.05.2022Lesedauer: 5 Min.
Recep Tayyip Erdoğan: Der türkische Präsident will einer Nato-Mitgliedschaft von Schweden und Finnland nicht zustimmen.Vergrößern des Bildes
Recep Tayyip Erdoğan: Der türkische Präsident will einer Nato-Mitgliedschaft von Schweden und Finnland nicht zustimmen. (Quelle: Sergey Karpuhin/imago-images-bilder)
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Finnlands Ex-Regierungschef Alexander Stubb hält den Nato-Beitritt seines Landes für den richtigen Schritt. Für die Blockade durch die Türkei sieht er eine Lösung. An die Bundesregierung richtet er eine eigene Botschaft.

Alexander Stubb ist momentan ein gefragter Gesprächspartner. Mehr als 350 Interviewtermine hatte der heutige Hochschuldozent, der zwischen 2014 und 2015 Ministerpräsident von Finnland war, nach eigenen Angaben in den letzten Wochen. Immer ging es um eines seiner wichtigsten Themen: Seit 30 Jahren kämpfte Stubb in seinem Heimatland für den Beitritt zur Nato – und musste dafür lange Zeit viel Kritik einstecken.

Doch seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat sich die Stimmung in Finnland und Schweden gedreht: Beide Länder wollen nun schnellstmöglich in das Verteidigungsbündnis. Vor dem Krieg war das Thema in seiner Heimat ähnlich beliebt wie der Ausbau der Atomkraft in Deutschland, verriet er kürzlich in einem Interview. Im Gespräch mit t-online erklärt der Ex-Politiker, warum Finnland im Gegensatz zu Deutschland eine echte "Zeitenwende" vollzogen hat, was hinter der Blockade der Türkei bei den Beitrittsplänen steckt und warum ein russischer Umsturz für ihn keine Bedrohung darstellt.

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t-online: Russland hat nach der Ankündigung Schwedens und Finnlands, der Nato beitreten zu wollen, Kritik geäußert. Sie fiel aber deutlich milder aus, als das von vielen Seiten erwartet wurde. Waren Sie überrascht darüber?

Alexander Stubb: Die ersten Äußerungen waren in der Tat moderat. Ich glaube, wir werden in der Zukunft sehen, dass die Sprache zwischen aggressiven und ruhigen Äußerungen pendeln wird. Aber aus meiner Sicht hat Russland beide Staaten ohnehin schon zur Nato gezählt.

Bevor der Krieg in der Ukraine begann, hatte der Kreml immer wieder einen möglichen Nato-Beitritt der Ukraine als Bedrohung genannt. Zeigt diese Reaktion nicht endgültig: Es ging Russland in diesem Krieg nie um die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine?

Ich glaube, Russland wollte eher das Aufkommen europäischer Gedanken in der Ukraine verhindern. Putin wollte das Land "russifizieren". Die Nato-Mitgliedschaft diente ihm nur als Vorwand. Die Situation der Ukraine lässt sich ohnehin mit der von Finnland oder Schweden nicht vergleichen. Betrachtet man die militärische Ausstattung, sind beide Länder vermutlich noch besser auf die Nato eingestellt als Deutschland. Finnland gibt unter anderem zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für sein Militär aus und besitzt weiter eine Wehrpflicht. Zudem sind wir seit Jahren an Nato-Einsätzen beteiligt gewesen, wie in Afghanistan oder im Kosovo.

Trotzdem hat die Türkei angekündigt, dass man einem Nato-Beitritt der beiden Länder nicht zustimmen will. Wie könnte aus Ihrer Sicht eine Lösung gefunden werden?

Ich sage immer: Wir Finnen sind ruhig, kühl und gelassen. Deshalb bin ich sicher, dass man gemeinsam mit der Nato im Gespräch mit Präsident Erdoğan eine Lösung finden wird. In meiner Zeit als Außenminister habe ich mit meinem damaligen türkischen Kollegen Ahmet Davutoğlu eine UN-Initiative gegründet, die sich für die Mediation bei Konflikten einsetzt. Früher oder später wird es eine Lösung geben.

Alexander Stubb (54) war zwischen 2014 und 2015 Ministerpräsident von Finnland. Er gehört der konservativen Nationalen Sammlungspartei an. Zudem war er in der finnischen Regierung bereits Außenminister, Finanzminister oder Minister für Handel und Europa. Zwischen 2017 und 2020 war er Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg. Aktuell ist er als Dozent am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz tätig.

Die Türkei wirft beiden Ländern die Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der kurdischen Miliz YPG vor. Sind diese Einwände berechtigt – oder handelt es sich nur um eine Gelegenheit, um Dinge einzufordern, die Erdoğan ansonsten nicht bekommen hätte?

Ich glaube, das Veto Erdoğans hat andere Gründe. Es hängt mit seinem geplanten Kauf von amerikanischen Kampfjets zusammen. Die USA hatten den Kauf blockiert, nachdem die Türkei ein russisches Raketenabwehrsystem erworben hat. Es gibt hier zahlreiche Verflechtungen, die sich vermutlich auflösen lassen.

Auch wenn die Türkei ihre Position ändert: Es wird eine Übergangsphase geben, in der Finnland und Schweden noch keine vollständigen Mitglieder sein werden. Wie gefährlich schätzen Sie diese Phase für beide Länder ein?

Darüber mache ich mir nicht allzu viele Sorgen, denn die Phase wird ziemlich kurz sein. Außerdem gibt es Sicherheitsgarantien, etwa aus Großbritannien, Dänemark, Island oder Norwegen. Wir sollten auch nicht vergessen: Finnland besitzt eine der größten und stärksten Armeen in ganz Europa.

Ist die russische Armee im Moment überhaupt in der Lage, im Norden einen Angriff zu starten?

Was sie bisher in der Ukraine gezeigt haben, war jedenfalls nicht sonderlich beeindruckend. Putin dachte, er könne innerhalb von 48 Stunden das Land erobern. Jetzt dauert der Krieg schon mehr als 80 Tage. Das Letzte, was Russland wohl gerade braucht, ist eine weitere Front. Es heißt, dass ein Drittel des russischen Kriegsgeräts bereits zerstört wurde – und weder die Nato noch Finnland oder Schweden haben bisher eingegriffen.

Sie hatten in der Vergangenheit als Außenminister Ihre eigenen Erfahrungen mit Russland gemacht: 2008 haben Sie als damaliger OSZE-Vorsitzender einen Waffenstillstand zwischen Georgien und Russland mitverhandelt. Jüngst sagten Sie, dass das zwischen der Ukraine und Russland nicht mehr möglich sei.

Wir müssen das Ganze in einem größeren Zusammenhang sehen. Die jüngste russische Aggression hat ihren Ursprung auch in diesem Krieg: 2008 konnten wir einen Waffenstillstand aushandeln, da Putin nichts zu verlieren hatte. Er wollte austesten, wie weit er gehen kann und erhielt dadurch die Kontrolle über Südossetien und Abchasien. Auch 2014 hat er mit der Annexion der Krim den Westen getestet und erkannt, dass niemand ihn stoppt. Dann kam der Donbass und er glaubte, er könne auch in Kiew einmarschieren. Aber Putin hat den Westen unterschätzt. Trotzdem ist ein Waffenstillstand im Moment unmöglich. Dafür liegen Russland und die Ukraine viel zu weit auseinander. In Georgien konnten wir dagegen abschätzen, wie ein Kompromiss aussehen könnte.

Wie wird der Krieg dann weiter verlaufen, wenn ein Waffenstillstand unmöglich ist?

Ich gehe jedenfalls von einem langwierigen Konflikt aus. Ich wäre überrascht, wenn der Krieg bis zum Ende des Sommers vorbei ist.

Sie haben auch mehrfach darüber gesprochen, dass sich die Beziehungen zu Russland nur mit einem Regimewechsel verbessern können. Aber ist das Risiko nicht sehr groß, dass nach Putin das Land noch unberechenbarer wird – mit einem möglicherweise noch radikaleren Präsidenten?

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In der russischen Geschichte ist es sehr selten, dass Führer des Landes ermordet oder eingesperrt werden. Chruschtschow, Gorbatschow, Jelzin: Alle konnten unbeschadet weiterleben, nachdem sie die Macht abgegeben hatten. Auch Putin könnte einen Regimewechsel aus dem Land heraus überleben. Sicher ist allerdings: Russland ist in eine Phase eingetreten, in der es sehr isoliert sein wird.

Vielen in Deutschland geht das nicht schnell genug: Bundeskanzler Olaf Scholz wird oftmals Zögerlichkeit vorgeworfen. Wie sehen Sie die deutsche Rolle, seit der Krieg begonnen hat?

Grundsätzlich haben Finnland und Deutschland eine ähnliche Beziehung zu Russland. Trotzdem zogen beide Länder unterschiedliche Schlüsse aus dem Krieg. Zuerst verkündete Deutschland die "Zeitenwende". In Finnland gab es aber die echte "Zeitenwende" mit der Entscheidung für die Nato. Als ein Freund Deutschlands möchte ich ein engagiertes Land sehen. Scholz fährt nur "Zeitenslalom". Mich hat auch der offene Brief von sogenannten Intellektuellen sehr alarmiert. Deutschland muss jetzt eine Führungsrolle übernehmen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Alexander Stubb am 18.5.2022
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