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Olympia: "Falls dies rauskommen sollte, wäre die Blamage für China gewaltig"


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Olympia in Peking
"Falls dies rauskommen sollte, wäre die Blamage für China gewaltig"

InterviewVon Patrick Diekmann und Marc von Lüpke

Aktualisiert am 04.02.2022Lesedauer: 7 Min.
Xi Jinping: Olympia in Peking muss ein Erfolg werden für Chinas Präsidenten.Vergrößern des Bildes
Xi Jinping: Olympia in Peking muss ein Erfolg werden für Chinas Präsidenten. (Quelle: Yoan Valat/reuters)

China will Olympia feiern, aber die Ukraine-Krise stört. Warum Peking Putins Drohgebärden irritieren, erklärt Experte Klaus Mühlhahn. Und wieso Chinas Sportler nicht scheitern dürfen.

t-online: Professor Mühlhahn, mit dem Beginn der Olympischen Winterspiele soll die Aufmerksamkeit der Welt gen Peking gerichtet sein. Stattdessen sorgt der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine für Unruhe. Kommt der Konflikt für Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping zur Unzeit?

Klaus Mühlhahn: Russlands Säbelrasseln missfällt Peking mit Sicherheit. China will und braucht einen Erfolg bei den Olympischen Spielen – alles andere wäre ein Desaster für Xi Jinping. Er hat bei Olympia sehr viel zu verlieren. Eine verunsicherte Weltgemeinschaft, die statt Peking und Sport nur die Ukraine und Truppenaufmärsche beobachtet, ist sicher nicht in Chinas Sinne.

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Aber sieht es das aufstrebende China nicht mit einer gewissen Genugtuung, wie Putin den Westen in Sachen Ukraine in Schwierigkeiten bringt?

Das mag sein. Die Ukraine-Krise trifft China aber zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Denn das Land befindet sich in einer prekären Lage: Olympia muss ein Erfolg werden, die Omikron-Variante des Coronavirus stellt zugleich eine große Bedrohung dar und auch die Wirtschaftslage ist keineswegs so gut, wie es die kommunistische Führung will und braucht. Kurzum, China würde eine Entspannung im Ukraine-Konflikt derzeit sicher begrüßen.

Wladimir Putin wird – im Gegensatz zu vielen hochrangigen Politikern aus dem Westen – in China zum Besuch erwartet: wegen der Eröffnung der Olympischen Spiele und Gesprächen mit Xi Jinping. Wird letzterer Putin zur Mäßigung aufrufen?

Das ist durchaus denkbar. Wenn Putin gut beraten ist, wird er China nicht auch noch verärgern. Das Verhältnis zwischen Moskau und Peking ist alles andere als herzlich – aber in gewisser Weise sind beide aufeinander angewiesen.

Bitte erklären Sie das näher.

Zahlreiche Konflikte und Streitigkeiten mit dem Westen haben Russland in Richtung China getrieben. Tatsächlich ist die Lage mittlerweile sogar so, dass Putin Xi Jinping mehr braucht als umgekehrt. Das Gleiche gilt für den Iran: Gerade Donald Trumps Politik in Bezug auf das Atomabkommen führte zu einer Annäherung zwischen Teheran und Peking.

Klaus Mühlhahn, Jahrgang 1963, ist Professor für Sinologie und zugleich Präsident der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Zuvor war er Vizepräsident der Freien Universität Berlin. Mühlhahn gilt als führender China-Experte, 2009 wurde der Forscher mit dem John-King-Fairbank-Preis der American Historical Association ausgezeichnet. Im vergangenen Jahr erschien Mühlhahns neuestes Buch "Geschichte des modernen China. Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart" in der "Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung".

Dabei sind all diese Staaten nicht gerade natürliche Alliierte.

Überhaupt nicht. Der Warenaustausch zwischen China und Russland ist relativ gering, dazu gibt es in Russland starke antiasiatische Ressentiments. Auch mit den Ajatollahs im Iran haben die chinesischen Kommunisten eigentlich wenig gemeinsam. Aber trotz aller kulturellen und politischen Hindernisse entstehen strategische Partnerschaften zwischen diesen ungleichen Staaten. So kann Peking seine langjährige Isolation überwinden.

China profitiert also von den Fehlern des Westens?

Selbstverständlich. Der Westen hat die Fähigkeit verloren, auf internationaler Ebene Realpolitik zu betreiben …

… also vor allem schnelle, effektive Entscheidungen zu treffen.

Genau. Wenn der Westen Chinas zunehmendes militärisches Gewicht tatsächlich so sehr fürchtet, könnte er etwa mit Pekings Nachbarstaaten Bündnisse schließen. Eine vorausschauende westliche Politik müsste sich etwa viel mehr um Indien bemühen.

Nun boykottieren zahlreiche westliche Spitzenpolitiker aber erst einmal einen Besuch bei den Olympischen Spielen in Peking. So werden etwa keine Regierungsvertreter aus den USA anreisen, auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat ihren Verzicht angekündigt. Ist das klug?

Es ist halbherzig. Was soll ein diplomatischer Boykott schon bringen? Der westliche Nadelstich wird schon schmerzhaft sein für Xi Jinping, denn die Bilder von Olympia sollen perfekt werden. Aber der mögliche Schaden könnte viel größer sein.

Wie meinen Sie das genau?

Die staatliche Propaganda behauptet immer wieder, dass der Westen China den Erfolg neiden würde. Wenn nun viele westliche Politiker Olympia fernbleiben werden, liefern sie der Regierung die perfekte Vorlage für derlei Behauptungen. Der Schuss könnte also für den Westen nach hinten losgehen. Das eigentliche Problem besteht doch darin, dass die Olympischen Spiele überhaupt nach China vergeben worden sind. Es war keine Frage, dass Xi Jinping dieses Ereignis dann zur Selbstdarstellung nutzen würde.

Wie wichtig ist das Gelingen von Olympia für Xi Jinping insgesamt?

Die Bilder der Spiele müssen makellos sein, für die Organisation gilt das Gleiche. Mehrere Male hat Xi Jinping die Baustellen besucht, um sich einen persönlichen Eindruck von den Fortschritten zu verschaffen. Kein Wunder. Dann alles, was schiefgeht, fällt auf ihn zurück. Xi Jinping hat sicher schlaflose Nächte zurzeit.

Dieses Jahr ist es die Winterolympiade, 2008 wurden die Sommerspiele in Peking ausgetragen. Wie hat sich China zwischen diesen beiden Ereignissen verändert?

2008 gab es eine weitaus höhere Begeisterung im Land für dieses Ereignis. Heute herrscht eher eine ängstliche Stimmung. Im Vorfeld der Sommerspiele 2008 war es auch zu Unruhen in Tibet gekommen, anderorts waren Protestaktionen möglich. Wie ist heute? Es herrschen Friedhofsruhe und Zensur.

Sie haben bereits gesagt, dass die Vergabe der Spiele nach Peking aus politischen Gründen heikel war. Aber die Hauptstadt Chinas ist doch auch anderweitig wenig geeignet als Austragungsort?

Nichts spricht für Peking als Austragungsort der Winterspiele. Es gibt dort praktisch keinen Schnee. Zugeben, zurzeit ist es der Jahreszeit entsprechend in Peking überaus kalt und es sind auch ein paar Berge vorhanden. Aber das war es auch schon. Das ganze Wasser, das nun in Schnee verwandelt wird, muss über große Entfernungen herbeigeholt werden. Nachhaltig ist das sicher nicht.

Andere Gegenden Chinas wären also geeigneter gewesen?

Der Norden Chinas in Richtung Russland wäre in der Tat besser gewesen.

Im Bereich des Wintersports hat China auch auf internationalem Parkett noch Aufholbedarf. Wie hoch ist der Druck auf die chinesischen Athleten?

Chinas Sportler sind zum Erfolg verdammt, der Druck ist gewaltig. Schließlich soll der Medaillenspiegel zum Schluss auch stimmen.

Woher stammen denn aber die vielen Sportler, die nun in den Winterdisziplinen für China Gold, Silber und Bronze holen sollen? Bislang hatten eher andere Nationen die Nase vorn bei Winterspielen.

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Oft wurden talentierte Kinder direkt aus den Schulen rekrutiert – sie kommen dann in spezielle Ausbildungsstätten. Dort wird eisern trainiert, Tag für Tag. Persönliche Bedürfnisse und Interessen der Athleten müssen zurückstehen, stattdessen wird die totale Hingabe an den Sport erwartet.

Woher stammt diese Verbissenheit, wenn wir es so nennen wollen?

China leidet unter einem starken Minderwertigkeitskomplex dem Westen gegenüber.

Weil es vor allem von europäischen Kolonialmächten im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder gedemütigt worden ist?

Richtig. Diese Demütigung empfindet China bis heute nicht nur auf der politischen Ebene, sondern auch im Bereich der Technologie. Sportliche Erfolge sind ein gutes Mittel, verletzte Nationalgefühle wieder zu heilen. Wenn Sie so wollen.

Will China denn mit dem Westen gleichziehen? Oder gar der bessere Westen sein?

China will die bessere Moderne sein. Das Land möchte effizienter, ökologischer und fortschrittlicher sein als jedes andere. Niemand soll etwa besser bei der Bekämpfung von Krankheiten sein. Wie es nun bei Covid-19 der Fall ist.

In Sachen Technik und Wirtschaft ist China nun ohne Zweifel ein sogenannter Global Player. Aber politisch wirkt das Land alles andere als modern.

Das ist ein wichtiger Punkt. Gerade weil China eine politische Erneuerung ablehnt, kommt es immer wieder zu schwerwiegenden Fehlentwicklungen. Der anfängliche Umgang mit dem neuartigen Coronavirus wäre ein Beispiel. Stattdessen herrscht eine fast kurios anmutende Technikgläubigkeit. Wie es sich nun mit der Ausrichtung der Olympischen Winterspiele im ziemlich ungeeigneten Peking zeigt.

Stichwort Corona: Wird es China gelingen, die Spiele nicht von einem massiven Ausbruch des Virus überschatten zu lassen?

Ich möchte jedenfalls mit keinem der Verantwortlichen die Rolle tauschen. Die Nervosität ist sicherlich gewaltig. Tatsächlich sollen sich die Sportler nur in einer Art Blase bewegen können, weitgehend isoliert, um einen hohen Grad an Sicherheit zu gewährleisten. Diese Maßnahme verhindert selbstverständlich die grandiosen Bilder, die sich die Regierung erhofft. Aber es ist immer noch besser als ein Corona-Ausbruch.

Verschiedene Athleten aus dem Ausland fürchten nicht nur eine medizinische Überwachung, sondern die Ausspähung durch chinesische Geheimdienste.

Der Überwachungsstaat in China ist sehr weit gediehen. Das ist keine Frage. Ob statt der eigenen Bürger nun aber die ausländischen Sportler ausgeforscht werden sollen? Da bin ich skeptisch. Auf der einen Seite sind die Chinesen sehr gastfreundlich. Auf der anderen Seite würde das ganze Land das Gesicht verlieren, wenn eine solche Spionage entdeckt werden würde.

Der frühere deutsche Skirennläufer Felix Neureuther hat auch den Verdacht geäußert, dass chinesische Offizielle die Spiele manipulieren könnten. Etwa durch Corona-Tests für zu starke westliche Konkurrenten, die "plötzlich" positiv ausfallen würden.

Falls dies rauskommen sollte, wäre die Blamage für China gewaltig. Ob die Regierung dieses Risiko eingehen würde, halte ich für fraglich. Auch gegenüber der eigenen Bevölkerung wäre ein derartiger Verlust an Respekt bedenklich.

Sie haben bereits von Friedhofsruhe gesprochen: Gibt es in China denn überhaupt noch eine Form von Kritik an der Regierung?

Das ist schwer zu sagen. Im Westen leiden wir massiv darunter, dass wir den Kontakt zu China verloren haben. Es gibt nicht mehr viele ausländische Journalisten im Land, auch die Zahl der Studierenden aus dem Westen ist rückläufig. Momentan erhalten wir Informationen vor allem aus den öffentlichen Medien Chinas – in denen es keinerlei Kritik an der Regierung gibt.

Aber kommt es in der Kommunistischen Partei selbst nicht bisweilen zu Konflikten?

Es gibt immer wieder Gerüchte, dass die Partei nicht so einheitlich denkt, wie es nach außen hin behauptet wird. Auch deshalb braucht Xi Jinping einen Erfolg durch die Olympischen Spiele – immerhin möchte er im kommenden Herbst seine Amtszeit verlängern.

Wäre Xi Jinping nicht besser beraten, wenn er Kritik zumindest in kleinerem Maßstab zulassen würde? So baut sich doch sicherlich enormer gesellschaftlicher Druck auf.

Das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall. Und die durch die schwierige wirtschaftliche Lage verursachten sozialen Verwerfungen sind auch bereits da. Millionen Wanderarbeiter aus dem Landesinneren finden etwa an der Küste keine Arbeit mehr. Dazu hat China faktisch kein staatliches soziales Sicherungssystem.

Warum steuert Xi Jinping nicht gegen?

Xi Jinping leidet unter dem klassischen Problem aller Autokraten: Er bekommt nur noch Erfolgsmeldungen. Jeder Beamte, der etwas gegen die Regierung sagt, fällt der 2012 von Xi eingeführten Antikorruptionskampagne zum Opfer. Anderthalb Millionen Chinesen sind bislang angeklagt worden.

Ruhe im Inneren, Provokation nach außen, so kann man Xi Jinpings Vorgehen zusammenfassen: So verletzten kürzlich wieder einmal zahlreiche chinesische Kampfflieger den Luftraum Taiwans. Warum tut China so etwas im Vorfeld der Spiele?

Das ist eine gute Frage. Wahrscheinlich will China gegenüber Taiwan noch einmal Stärke zeigen. Denn Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen betont trotz der Einschüchterungsversuche immer wieder die Eigenständigkeit ihres Landes.

Wird Taiwan denn wenigstens während der Olympischen Spiele von Provokationen verschont bleiben?

Das können wir nur hoffen.

Professor Mühlhahn, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Klaus Mühlhahn via Videokonferenz
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