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Nach dem Zerfall des IS: Was geschieht mit den Terroristen?


"Kalifat" ist am Ende
Wohin kommen die inhaftierten IS-Terroristen?

dpa, Von Jan Kuhlmann und Carsten Hoffmann

06.04.2019Lesedauer: 4 Min.
Der IS wurde zurückgedrängt: Auf einem Schild in der Iranischen Stadt Ba'aj wurde das Logo des IS durchgestrichen. (Symbolbild)Vergrößern des Bildes
Der IS wurde zurückgedrängt: Auf einem Schild in der Iranischen Stadt Ba'aj wurde das Logo des IS durchgestrichen. (Symbolbild) (Quelle: getty-images-bilder)

Das "Kalifat" des IS ist endgültig zerfallen. Im Norden Syriens sitzen nun Hunderte frühere IS-Kämpfer in Gefangenenlagern der Kurden. Deutschland will sie nicht haben – doch wo sie sind, können sie nicht bleiben.

Sie waren aufgebrochen, weil sie von einem mächtigen "Staat" träumten, der in ihrer Ideologie "Kalifat" heißt. Stattdessen aber sitzen sie nun seit Monaten in einem Gefangenenlager irgendwo im Norden Syriens, wo niemand weiß, was mit ihnen geschehen soll. Hunderte ausländische Kämpfer der IS-Terrormiliz sind dort in die Hände der Syrischen Demokratischen Kräfte gefallen, darunter auch Dutzende Deutsche.

Kämen sie frei, hätten sie ein Recht auf Rückkehr in ihr Heimatland. Doch weder Berlin noch die anderen europäischen Regierungen sind erpicht darauf, sie aufzunehmen. Schließlich müssen die Sicherheitsorgane damit rechnen, dass viele von ihnen der radikalen Ideologie des Islamischen Staates bis heute treu geblieben sind und ein Sicherheitsrisiko darstellen können, auch wenn die Terrormiliz ihr gesamtes Gebiet in Syrien und im Irak verloren hat.

G7-Staaten kommen nicht zu Ergebnissen

Die Innenminister der G7-Staaten berieten am Freitag in Paris darüber, wie sie mit den IS-Anhängern umgehen sollen. Zu Ergebnissen kamen sie jedoch nicht – außer zu der Erkenntnis, dass Uneinigkeit vor allem mit den USA herrscht, die wollen, dass die Dschihadisten in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden.

Frankreich ist dieses Problem in mehreren Fällen mit der Hilfe von Syriens Nachbarn Irak losgeworden. Über die Schuld von 13 Franzosen, die sich dem IS angeschlossen hatten, sollen Richter in Bagdad entscheiden. Die von Kurden angeführten SDF haben sie dazu irakischen Behörden übergeben, wie Iraks Staatschef Barham Salih Ende Februar in Paris zugab.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte zu der Auslieferung aus Syrien an den Irak, er habe das nicht im Einzelfall zu kommentieren. "Der Austausch (von Gefangenen) mit den irakischen Streitkräften ist Teil der bilateralen Beziehungen, die sie (die SDF) mit dem Irak im Kampf gegen die Dschihadisten unterhalten", sagte er. Nur konsularische Betreuung sicherte er zu.

Einige Deutsche wurden bereits im Irak verurteilt

Wäre ein solches Verfahren auch für deutsche IS-Kämpfer möglich? Das Auswärtige Amt will sich dazu nicht äußern. Konkrete Pläne gibt es jedenfalls bisher offensichtlich nicht. Aus Kreisen der Regierung in Bagdad heißt es, diese habe noch keine endgültige Haltung zu der Frage, ob sie weitere europäische IS-Kämpfer aufnehmen wolle.

Grundsätzlich abgeneigt dürfte die irakische Regierung nicht sein. Denn die Führung in Bagdad will – wie viele Iraker – harte Urteile gegen IS-Kämpfer, die so viel Tod und Zerstörung über das geschundene Land gebracht haben. Das Vertrauen des Iraks in die deutsche Justiz ist dabei gering. Die Regierung befürchtet, die Extremisten könnten mit eher milden Strafen davonkommen und früher oder später wieder im Irak auftauchen.

Mehrere Deutsche sind von Gerichten im Irak bereits verurteilt worden, meistens zu harten Strafen. Gegen Levent Ö. aus Gladbeck etwa hat ein Richter das Todesurteil gesprochen. Er kann jetzt noch auf das Berufungsverfahren hoffen. Lamia K. aus Mannheim und ihre Tochter erhielten lebenslänglich, genauso wie weitere deutsche Frauen. Insgesamt sitzen derzeit noch acht deutsche Staatsangehörige in irakischer Haft, wie das Auswärtige Amt in Berlin erklärte. Eine als Gefährderin eingestufte Frau ist unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus Syrien am Donnerstag von den deutschen Behörden wegen Kindesentziehung in Haft genommen worden.

Auch dutzende Kinder sind inhaftiert

Deutsche Sicherheitsbehörden gehen nach Angaben des Bundesinnenministeriums von 66 mutmaßlichen IS-Angehörigen aus Deutschland aus, die sich in Gefangenschaft im syrischen Kurdengebiet befinden. Gegen 21 davon liegen demnach Haftbefehle vor. Als "islamistische Gefährder" werden 19 Gefangene eingestuft. Insgesamt gehen die Behörden nach dpa-Informationen von rund 100 Personen mit IS-Hintergrund aus, die im deutschen Fokus sind. Darunter seien auch Frauen, hinzu kämen noch Dutzende Kinder, heißt es aus Sicherheitskreisen. Bei etwa 60 sei die Identität relativ klar.

Nach diesen Informationen kommen die meisten Erkenntnisse über die im Kurdengebiet festgehaltenen IS-Anhänger vom Bundesnachrichtendienst. Der deutsche Auslandsgeheimdienst ist demnach schon länger in Syrien mit der Aufklärung der Lage befasst.

Den europäischen Regierungen scheint es ganz recht, dass die gefangenen IS-Kämpfer in den Händen der Kurden sind – und nicht in denen ihrer eigenen Truppen. Alles andere würde die Lage verkomplizieren oder sogar juristische Tatsachen schaffen.

Internationales Sondertribunal wird gefordert

Deutschland beruft sich im Fall der in Syrien inhaftierten Deutschen darauf, dass sie die diplomatischen Beziehungen zur Regierung in Damaskus abgebrochen hat und eine Rücknahme deshalb kompliziert wäre. Doch für Syriens Kurden stellen die inhaftierten IS-Kämpfer eine große Bürde dar. Sie haben im Norden des Landes eine Selbstverwaltung errichtet, doch fehlt es ihnen an Gerichten, die die Extremisten verurteilen könnten.

Deswegen fordern sie ein internationales Sondertribunal, weil ihre Rufe nach einer Rückkehr der Gefangenen in die Heimat keinen Widerhall fand. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kann der Idee eines Sondergerichtes etwas abgewinnen, dennoch sind solche Tribunale eher unwahrscheinlich.


Die Kurden haben deshalb schon vor einer anderen Gefahr gewarnt: Die IS-Kämpfer könnten wieder freikommen. Etwa wenn die Türkei ihre Drohung wahr machen sollte und auf Syriens Kurden-Gebiet vorrückt.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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