Nach Wahlkampf-Marathon Erdogan erklärt Kommunalwahl zur "Frage des Überlebens"
In der Türkei finden am Sonntag Kommunalwahlen statt. Präsident Erdogan ist unter Druck, stellt in Istanbul einen früheren Regierungschef als Kandidaten auf – derweil liegt die Inflation im Land bei 20 Prozent.
Angesichts schwerer wirtschaftlicher Probleme ist die Sorge in der Regierungspartei AKP von Erdogan groß, dass sie Stimmen einbüßt. Insbesondere in den beiden bisher von der Partei regierten Millionenmetropolen Istanbul und Ankara wird ein enges Rennen erwartet. Sollten dort die Rathäuser an die linksnationalistische Republikanische Volkspartei (CHP) fallen, wäre dies ein schwerer Schlag für die AKP und würde der Opposition erheblich Auftrieb geben.
Erdogan absolvierte in den letzten Wochen einen wahren Wahlkampfmarathon von bis zu fünf Auftritten pro Tag. Der Staatschef, der 2016 einen Putschversuch abwehrte, hat den Urnengang zur "Frage des Überlebens" stilisiert.
Früherer Regierungschef als Kommunalwahl-Kandidat
Die Kontrolle der Rathäuser erlaubt der AKP, Posten und Ressourcen zu verteilen. Kritiker werfen der Partei vor, bei der Vergabe von Aufträgen befreundete Unternehmen zu bevorzugen und ihre Anhänger mit lukrativen Posten zu versorgen. Die AKP findet Istanbul so wichtig, dass sie dort den früheren Regierungschef Binali Yildirim aufgestellt hat. Die Opposition setzt dagegen auf den jungen Bezirksbürgermeister Ekrem Imamoglu.
Für die AKP ist der wirtschaftliche Kontext nicht günstig: Nach dem dramatischen Absturz der Währung im vergangenen Sommer ist die Türkei erstmals seit zehn Jahren in die Rezession gerutscht. Die Inflation liegt bei 20 Prozent, und gerade Grundnahrungsmittel sind so teuer geworden, dass die Regierung in Istanbul und Ankara städtische Verkaufsstände eingerichtet hat, die Gemüse zu reduzierten Preisen anbieten.
Um einen neuen Einbruch der Währung kurz vor den Wahlen zu verhindern, erschwerte die Regierung den Verkauf von Lira. Nach starken Schwankungen des Lirakurses warf Erdogan dem Westen Manipulationen vor, um "die Türkei in die Ecke zu drängen". Obwohl Umfragen zufolge die Wirtschaft die Hauptsorge der Wähler ist, mied Erdogan das Thema sonst aber und beschwor stattdessen die Gefahr durch innere und äußere Feinde.
"Es ist, als ob wir vor einem Krieg stehen"
Insbesondere warf er der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker vor, die Türkei spalten zu wollen. Bei einer Kundgebung im östlichen Agri forderte Erdogan seine Anhänger auf, den "Terroristen-unterstützenden Tyrannen eine osmanische Ohrfeige" zu verpassen. Wer vorgebe, Politik speziell für die Kurden zu machen, sei ein Feind dieses Landes. Die AKP werde nicht zulassen, dass sie "unser Land spalten".
Wegen dieser Rhetorik warf der CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu der Regierung vor, selbst die Gesellschaft zu spalten und eine "ausländische Bedrohung" heraufzubeschwören. "Es ist, als ob wir vor einem Krieg stehen. Dabei sind es nur Kommunalwahlen", sagte der Oppositionsführer und versprach, die "drängendsten Probleme" der Bürger zu lösen wie die steigende Arbeitslosigkeit und die hohen Lebenshaltungskosten.
Bis 2023 keine weiteren Abstimmungen angesetzt
Wie bei der Parlaments- und Präsidentenwahl im vergangenen Juni tritt die AKP mit der ultrarechten MHP an, während die CHP ein Bündnis mit der nationalistischen IYI-Partei geschlossen hat. Die HDP verzichtet in vielen Städten darauf, eigene Kandidaten aufzustellen, und konzentriert sich auf die Kurdenregion. Allerdings fürchtet die HDP, dass die Regierung ihre Bürgermeister wieder absetzt, wie sie das 2016 getan hatte.
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Nachdem es seit 2014 jedes Jahr in der Türkei Wahlen gab, sind bis 2023 keine weiteren Abstimmungen angesetzt. Erdogan kündigte an, diese Zeit für die Umsetzung von "Strukturreformen" zu nutzen, um die Wirtschaft gegen weitere "Angriffe" von Außen zu stärken. Kilicdaroglu warnte dagegen, die Regierung sei jede Erklärung schuldig geblieben, wie sie die hohe Arbeitslosigkeit, die Lira-Schwäche und andere "ernste Probleme" angehen wolle.
- Nachrichtenagenturen afp, rtr