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Völkerrechtler über UN-Migrationspakt: "Man muss die Regelungen ernst nehmen"


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Völkerrechtsexperte zum Streit
"Man muss die Regelungen des Migrationspakts ernst nehmen"

  • Johannes Bebermeier
InterviewEin Interview von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 29.11.2018Lesedauer: 5 Min.
Migranten in Mittelamerika: Wie verbindlich ist der UN-Migrationspakt?Vergrößern des Bildes
Migranten in Mittelamerika: Wie verbindlich ist der UN-Migrationspakt? (Quelle: Kim Kyung-Hoon/reuters)
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Der UN-Migrationspakt polarisiert. Wie verbindlich sind seine Regeln? Und wo liegen die Risiken? t-online.de sprach darüber mit einem Völkerrechtler.

Nur selten bekommen Erklärungen der Vereinten Nationen so viel Aufmerksamkeit wie gerade der Migrationspakt. Kurz bevor er am 10. und 11. Dezember in Marokko von den Staaten angenommen werden soll, bricht die Debatte in Deutschland auf. Im Bundestag wird der Pakt am Donnerstag doch noch Thema sein. Und auch der CDU-Parteitag wird Anfang Dezember darüber debattieren.

Kritiker fürchten, dass Deutschland die Kontrolle über seine Migrationspolitik verliert. Verfechter bestreiten das und loben die positiven Wirkungen des Paktes gerade für Aufnahmeländer wie Deutschland. Im Interview mit t-online.de ordnet der Völkerrechtsexperte Markus Kotzur die Argumente der Debatte ein.

Professor Kotzur, der UN-Migrationspakt löst derzeit bei einigen Menschen Unbehagen aus. Können Sie das als Völkerrechtler nachvollziehen?

Die Diskussion über Migration ist immer mit Emotionen aufgeladen, weil sie die nationale Souveränität betrifft. Die Menschen möchten entscheiden, wer ins Land kommen darf und wer nicht.

Dann gehen wir nüchtern an das Thema heran. Welches Ziel hat der Pakt?

Er hat das Ziel, die Migration auf einer übergreifenden, völkerrechtlichen Ebene zu klären. Er soll Lösungen entwickeln, die gerade auch den Aufnahmeländern helfen und den Druck auf sie mindern sollen. Das ist eine sehr sinnvolle Sache. Dabei ist wichtig, dass dieser Pakt kein verbindlicher, völkerrechtlicher Vertrag ist, sondern eine unverbindliche Erklärung.

Warum schließt man überhaupt ein Abkommen ab, das rechtlich nicht bindend ist?

Es geht erst einmal um ein wichtiges Symbol. Die internationale Gemeinschaft will zeigen, dass sie sich dem Thema angenommen hat. Zugleich fehlt derzeit aber der Wille der Staaten, eine verbindliche Regelung abzuschließen. Ihm kommt politisches Gewicht zu. Die Wirkung geht aber darüber hinaus. Im völkerrechtlichen Sinne haben wir es mit sogenanntem Soft Law zu tun.

Was bedeutet Soft Law?

Soft-Law-Erklärungen geben einen Rahmen auf internationaler Ebene vor. Sie haben keine Rechtsverbindlichkeit. Soft Law kann aber etwa zur Auslegung von Rechtsfragen herangezogen werden. Aus Soft Law kann sich zudem Völkergewohnheitsrecht entwickeln oder es kann verbindliche Abkommen vorbereiten. Deshalb muss man das, was dort geregelt ist, ernst nehmen.

Wie wirkt das Soft Law eines solchen Abkommens?

Im Völkerrecht war es oft so, dass Abkommen, die politisch sehr umstritten und schwierig zu verhandeln waren, erst einmal als Soft Law in Kraft gesetzt wurden. So konnten sie erprobt und weiter diskutiert werden. Wenn sie sich bewährt haben, wurden sie teils sehr viel später in verbindliches Recht gegossen. Der Migrationspakt soll die Staaten zudem politisch in die Pflicht nehmen. Die Migrationsfrage soll auf die politische Agenda gesetzt und politische Rahmendaten vorgegeben werden. Es geht darum zu zeigen, dass die Migrationsproblematik nur kooperativ gelöst werden kann und einzelne Staaten damit völlig überfordert sind.

Der Pakt enthält 23 "Ziele und Verpflichtungen". Viele Sätze beginnen mit: "Wir verpflichten uns …" oder "Wir werden …". Wie passt das mit der rechtlichen Unverbindlichkeit zusammen?

Solche Soft-Law-Pakte bedienen sich typischerweise einer Sprache, die später auch in verbindlichen Pakten gebraucht würde. Deshalb klingt es dann so, als seien sie verbindlich. Aber die Beteiligten machen im Pakt ganz klar, dass es jedenfalls zunächst nicht verbindlich sein soll und dass es für eine verbindliche Regelung Neuverhandlungen und einen neuen Vertragsabschluss geben muss.

Gibt es dabei Risiken?

Man erlebt im Völkerrecht häufig, dass Gerichte oder internationale Organisationen Soft-Law-Erklärungen zur Deutung von rechtlich verbindlichen Regelungen heranziehen. Der Migrationspakt könnte zum Beispiel dafür genutzt werden, die Genfer Flüchtlingskonvention zu interpretieren. Und aus unverbindlichen Erklärungen können sich eben gewohnheitsrechtliche Verpflichtungen ergeben.

Wie funktioniert Gewohnheitsrecht?

Völkergewohnheitsrecht entsteht dadurch, dass die Staaten über einen längeren Zeitraum hinweg eine gewisse Praxis an den Tag legen und zugleich davon überzeugt sind, dass sie zu dieser Praxis rechtlich verpflichtet sind. Das ist ein Prozess, den man schrittweise anzustoßen versucht. Beim Migrationspakt wird sich ein solches Gewohnheitsrecht eher in fernerer Zukunft entwickeln. Das Soft Law ist dafür ein Fahrplan, den man den Mitgliedstaaten mit auf den Weg gibt.

Markus Kotzur (50) ist Professor für Völkerrecht und Europarecht an der Universität Hamburg und am Europa-Kolleg. Er forscht unter anderem zu EU-Recht, Menschenrechten und internationalen Verträgen.

Der Migrationspakt soll also durchaus wirken. Wird er auch Auswirkungen auf den deutschen Umgang mit Migranten haben?

Er wird sicherlich eine politische Wirkung haben. Aber in Deutschland und vor allem in der Europäischen Union haben wir schon umfassende Regeln für Migration. Dieses verbindliche Regelungswerk ist prägend. Allerdings wird der Migrationspakt als Gesamtrahmen dienen. Und auch das europäische Recht wird sich in Zukunft an dem Pakt messen lassen müssen.

Es gibt die Befürchtung, Migranten könnten sich vor Gericht auf den Pakt berufen und sich gewissermaßen einklagen. Geht das?

Der Pakt ist rechtlich nicht verpflichtend und gewährt vor allem keine Individualrechte, auf die sich ein Migrant berufen könnte. Was aber möglich ist und was Juristen sicherlich auch tun werden: Wenn sich Migranten auf verbindliches Migrationsrecht berufen, das in Deutschland und der EU gilt, kann der Migrationspakt als Interpretationshilfe dienen. Einer Argumentation vor Gericht könnte man etwa hinzufügen: "Und die Bundesrepublik hat sich in dieser politischen Erklärung dazu verpflichtet, dass …" Deshalb sollte man auch in einen unverbindlichen Pakt keine Dinge hineinschreiben, die man partout nicht haben will oder für gefährlich hält.

Eine weitere Befürchtung ist, Deutschland könnte durch diesen Pakt einen Teil seiner Souveränität als Staat aufgeben. Stimmt das?

Ein Stück weit schränkt ein solcher Pakt die Souveränität ein. Das ist immer so, wenn man Kooperationspflichten zustimmt. Aber der UN-Migrationspakt achtet schon sehr stark darauf, dass in der hochsensiblen Frage, wer zu einem Staat gehören soll und wer nicht, keine allzu großen Souveränitätseinbußen stattfinden. Die grundsätzliche Kompetenz zur Regelung von Migrationsrecht verbleibt bei den Staaten und wird nicht auf eine internationale Organisation übertragen. Da muss man sich keine allzu großen Sorgen machen.

Die große Koalition hat verabredet, einen Entschließungsantrag zum UN-Migrationspakt im Bundestag zu debattieren und zu verabschieden. Darin wird unter anderem festgehalten, dass der Migrationspakt "keine einklagbaren Rechte und Pflichten" begründe, "keinerlei rechtsändernde oder rechtssetzende Wirkung" habe und "keinerlei deutsche Regelungen eingeschränkt oder ausgeweitet werden". Wie ist das völkerrechtlich zu bewerten. Bringt das etwas?

Das hat schon Einfluss. Rechtlich ist es zunächst eine Bekräftigung dessen, was schon im Migrationspakt steht, der ja nicht rechtlich verbindlich ist. Staaten tun so etwas, um völkerrechtlich nach außen hin sehr deutlich zu machen, dass das nur ein erster und zunächst ganz unverbindlicher Schritt ist. Das ist wichtig etwa bei der Entstehung des Völkergewohnheitsrechts. Der Entschließungsantrag macht ganz deutlich, dass die Bundesrepublik nicht davon überzeugt ist, rechtlich verpflichtet zu sein. Man betont damit, dass man souverän entscheiden kann. Deshalb ist das sinnvoll und nicht nur Symbolpolitik.

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Der CDU-Parteitag soll dann anschließend Anfang Dezember über diesen Entschließungsantrag diskutieren und abstimmen – also erst, wenn der Bundestag schon darüber abgestimmt hat. Bewirkt das noch irgendetwas?

Das ist eine parteiinterne Diskussion. Die Frage, ob die Bundesrepublik diesem Migrationspakt zustimmt oder nicht, wird nicht von der CDU entschieden. Dass die Diskussion dort noch einmal aufgegriffen wird, halte ich dennoch für sinnvoll. Die Migrationspolitik sollte kontrovers diskutiert werden, da mit ihr weitreichende gesellschaftliche Veränderungen verbunden sein können. Zudem hilft eine Debatte dabei, sich klar zu machen, dass Migration nicht die große Ausnahme ist. Sie wird uns weiter betreffen, dem können wir uns nicht entziehen. Wir müssen uns politisch damit auseinandersetzen. Die internationale Gemeinschaft muss etwas tun. Und das Völkerrecht hat auf die Migration bisher keine befriedigenden Antworten.

Professor Kotzur, vielen Dank für das Gespräch.

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