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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ukraine-Verhandlungen "Er bietet Trump die Mousse au Chocolat an"

Das Verhältnis zwischen Wladimir Putin und Donald Trump ist gut. Was die beiden Männer verbindet, erklärt ein Experte.
Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten nähern sich die USA und Russland vorsichtig aneinander an. Am Dienstag kommen Regierungsvertreter aus Washington und Moskau im saudi-arabischen Riad zusammen, um gemeinsam über mögliche Wege zu Friedensverhandlungen in der Ukraine zu beratschlagen.
Europäische Regierungsvertreter sind in Saudi-Arabien nicht dabei. In den Parlamenten der EU-Staaten schrillen deshalb die Alarmglocken, Europa fürchtet um seine Relevanz in der Welt. Wie wichtig wird Europa in den kommenden Jahren auf der Weltbühne sein? Welchen Einfluss übt Putin auf Donald Trump aus? Und warum entscheidet der US-Präsident so, wie er es tut? Diese Fragen beantwortet der Politikwissenschaftler und Geheimdienstexperte Prof. Dr. Helmut Müller-Enbergs im Interview mit t-online.
t-online: Herr Professor Müller-Enbergs, vor drei Jahren griff Russland die Ukraine an. Nun könnte es Friedensverhandlungen geben – allerdings wollen Donald Trump und Wladimir Putin über die Köpfe der Ukraine und ihrer europäischen Verbündeten hinweg über die Zukunft des Landes sprechen. Was bringt den beiden diese Strategie?
Prof. Dr. Helmut Müller-Enbergs: Trump ist für Putin das größte Geschenk seines politischen Lebens. Er befindet sich im Krieg. Wenn die Medienlage zutreffend ist und er nur mit Trump über Bedingungen für den Frieden in der Ukraine verhandeln kann, spart er langfristig viel Geld. Das würde er sonst für den Krieg in der Ukraine einsetzen.
Was gewinnt Trump?
Trump löst – falls Verhandlungen mit Putin zunächst erfolgreich sein sollten – ein Wahlversprechen ein. Wenn auch nicht nach 24 Stunden, wie er es eigentlich versprochen hatte. Außerdem gibt es in der Ukraine einige Vorkommen an Seltenen Erden, auf die es Trump abgesehen haben könnte.
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Zur Person
Prof. Dr. Helmut Müller-Enbergs (*1960) ist ein deutscher Politikwissenschaftler und Historiker. Er gilt als Experte für die Forschung zur Staatssicherheit der DDR und inoffizielle Mitarbeiter der Stasi. Er arbeitete für die Stasi-Unterlagen-Behörde und lehrte an mehreren europäischen Universitäten. Von 2015 bis 2021 leitete er die Abteilung Spionageabwehr des Berliner Verfassungsschutzes. Derzeit ist er Professor an der Universität Süddänemark.
Die Vorkommen befinden sich allerdings meist in den Gebieten, die derzeit völkerrechtswidrig von Russland besetzt sind oder bereits annektiert wurden. Trump könnte auch mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj verhandeln, um im Austausch für militärische Hilfe Ansprüche auf diese Rohstoffe geltend zu machen. Warum tut er das nicht?
Trumps Verhandlungsmethoden sind zugleich ein Affront und ein Tabubruch. Seine Botschaft an Selenskyj ist im Vergleich zur US-Außenpolitik unter Biden extrem ernüchternd. Und Putin setzt genau dort an. Er bietet Trump sozusagen die Mousse au Chocolat an – also die Rohstoffe und die Aussicht auf ein erfülltes Wahlversprechen –, obwohl er völkerrechtlich gar keinen Anspruch darauf hat.
Trotzdem scheint Trump aus seiner Sicht erste Erfolge zu erzielen. Ein Treffen mit russischen und ukrainischen Vertretern findet am Dienstag in Saudi-Arabien statt. Wie macht er das?
Trump hat das Format, mit wenig Lametta und Barock in der Sprache unmittelbar die US-amerikanischen Interessen zu formulieren. Das ist eine politische Reinkultur, die erschreckend faszinierend ist.
Was genau meinen Sie damit?
Ich glaube, dass niemand im diplomatischen, im politischen Raum so nackt und direkt formuliert hat, wie Trump das derzeit macht. Das ist absolut verrückt. Und Putin mag diese Art der Kommunikation offenbar.
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Damit Putin überhaupt zu möglichen Friedensverhandlungen bereit ist, fordert der russische Präsident, dass die Nato eine Mitgliedschaft der Ukraine ausschließt. Glauben Sie, dass Trump die Macht hat, diese Forderung im Militärbündnis durchzusetzen?
Diese Frage kann ich derzeit nicht beantworten. Die Antwort darauf ist allerdings von höchster strategischer Bedeutung, denn sie entscheidet über den Stellenwert Europas innerhalb der Nato und über die Rolle der USA. Persönlich hoffe ich, dass Europa weiterhin relevant bleibt und ein Wort beim Schicksal der Welt mitreden kann.
Glauben Sie, dass Europa so wichtig bleibt, wie es derzeit ist?
Ich fürchte, dass Trump nicht nur die Zölle erhöhen wird, sondern Europa auch ein bisschen irrelevanter werden lassen wird.
Kommt es zu einer ökonomischen Eskalation, einem Handelskrieg zwischen den USA und Europa?
Wir wissen noch nicht genau, in welche Richtung sich die Lage entwickelt. Aber falls es zu einem Handelskrieg kommt, heißt das nichts Gutes für die Rolle Europas in einer sich verschiebenden Weltlage zwischen China, den USA und Russland. Ich habe die größte Sorge, dass Europa perspektivisch zu einer Werkbank verkommt, die Aufträge allerdings in andere Teile der Welt verteilt werden. Hier kann ich nur für mich sprechen: Ich habe bereits drei Falten auf der Stirn. Wenn es so weitergeht, kommt eine vierte hinzu.
Können Sie einschätzen, wie die Beziehung zwischen Trump und Putin ist?
Das sind zwei Männer, die miteinander Deals machen.
Also quasi wie gute Geschäftspartner?
Na ja, Putin ist ein Mann, der 15 Jahre lang innerhalb eines sowjetischen Nachrichtendienstes im Operationsgebiet DDR sozialisiert worden ist. Er denkt sehr strategisch. Trump tut das nicht. Bei den beiden treffen quasi zwei unterschiedliche Essgewohnheiten aufeinander.
Welchen Einfluss hat Putin denn überhaupt auf die aktuelle US-Politik?
Er kann zum Beispiel mit Trump direkt klären, welche Gebiete in der Ukraine er im Zuge möglicher Friedensverhandlungen abgreift. Er befindet sich derzeit in einem Krieg. International stärkt Putin Stimmen, die genauso klingen wie Donald Trump. Er macht das, weil Trump für ihn nicht gefährlich ist.
In seinem Buch "American Kompromat" kommt der Journalist Craig Unger zum Schluss, dass der sowjetische Geheimdienst KGB und sein russischer Nachfolger FSB seit mindestens 1987 eine enge Verbindung zwischen Trump und Russland fördern. Was halten Sie von dieser Theorie?
Gar nichts, das ist Quatsch.
Warum?
Da zieht jemand mit dem heutigen Kenntnisstand Rückschlüsse auf eine mögliche Vergangenheit. Ich halte diese Theorie für Spekulation, auch wenn ich Herrn Unger nicht zu nahe treten möchte.
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Was denken Sie?
Ich führe da die chinesische Theorie der drei Welten ins Feld. Entwickelt wurde sie von Mao Tsetung. Sie besagt, dass sich die Welt in drei Machtblöcke aufteilt: die USA und Russland als Staaten der ersten Welt. Europa, Japan oder Kanada gehören als entwickelte, aber weniger mächtige Staaten zur zweiten Welt. China, große Teile Asiens, Afrika und Südamerika gehören für Mao zur Dritten Welt.
Aber China befindet sich derzeit auf dem Weg zur Weltmacht.
Genau. Deshalb steht die Frage im Raum, ob sich zwei Großmächte gegen die dritte verbünden. Trump erkennt diese Lage. Ich habe allerdings das Gefühl, dass er China in der letzten Zeit nicht sonderlich positiv gegenübersteht. Trump versucht also, eine strategische Partnerschaft mit Putin und Russland auf die Beine zu stellen, um sich gegen China in Stellung zu bringen.
Also glauben Sie, dass eine mögliche Partnerschaft mit Russland weniger ideologische Gründe hat, sondern dass Trump versucht, den bestmöglichen Deal für sich herauszuschlagen?
Ja! Ich habe den Eindruck, dass er ein politischer Narziss ist, der immer auf den eigenen Vorteil bedacht ist.
Und dennoch hat Putin laut Recherchen des Journalisten Bob Woodward nach Ende der ersten Trump-Präsidentschaft mindestens siebenmal mit Trump telefoniert. Hat Russland ihrer Meinung nach versucht, ihn erneut ins Amt zu hieven?
Wenn wir über Putins Beweggründe spekulieren wollen, dann wollte er unbedingt, dass Trump erneut Präsident wird. Denn er war hinsichtlich einer möglichen zweiten Präsidentschaft von Biden höchst besorgt, weil der so stark pro-ukrainisch eingestellt war und der Ukraine viele Waffen lieferte. Trump ist da anders.
Die Situation mit Trump, Putin und der gesamten geopolitischen Gemengelange scheint aktuell extrem komplex zu sein. Warum ist das so?
Wir sehen gerade zwei Phänomene, die zusammenkommen. Einmal sind das Territorialverschiebungen: in Gaza, in Grönland und der Ukraine. Und dann verschieben sich die ökonomischen Machtpositionen. Stahl, Aluminium und weiß der Teufel was könnten in Zukunft deutlich teurer werden.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass in wirtschaftlich schweren Zeiten das humanitäre Völkerrecht an Relevanz verliert. Es wird zu einer kleinen Streichholzschachtel, die Ökonomie aber wird zum Tischler. Die Angst vor einer schwachen Wirtschaft formt also eine neue Zeit.
Professor Müller-Enbergs, vielen Dank für das Gespräch.