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Syrien | Bürgerkrieg eskaliert: "Niemand will mehr für Assad sterben"


Experte zum Vormarsch syrischer Rebellen
"Russlands Zurückhaltung hat Gründe"

InterviewVon Felix Leitmeyer

07.12.2024Lesedauer: 3 Min.
Islamistische Rebellen in Syrien: Sie rücken rasant vor.Vergrößern des Bildes
Islamistische Rebellen in Syrien: Sie rücken rasant vor. (Quelle: Bilal Alhammoud/imago)
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Die Berichte über Fortschritte syrischer Aufständischer überschlagen sich. Ein Experte schätzt die Lage ein.

Der Konflikt in Syrien ist wieder aufgeflammt. In kürzester Zeit haben Rebellen viele Gebiete im ganzen Land teils kampflos eingenommen. Ihr Ziel: die Regierung in Damaskus zu stürzen.

Nun stehen die Rebellen laut eigenen Angaben bereits kurz vor Damaskus, dem Machtzentrum der Regierung von Baschar al-Assad. Ein Militärchef der Islamisten teilte mit, seine Kämpfer seien "weniger als 20 Kilometer" vom südlichen Zugang der Hauptstadt entfernt" und hätten begonnen, sie "einzukreisen". Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zogen die Regierungstruppen aus der Umgebung von Damaskus ab.

Wie konnte das so schnell gehen? Und wie geht es nun weiter? Dazu hat t-online mit dem Terrorismusexperten Hans-Jakob Schindler gesprochen.

t-online: Herr Schindler, warum können die Rebellen derart schnell neue Gebiete erobern?

Hans-Jakob Schindler: Das liegt weniger an einer brillanten Militärtaktik der Rebellen – sondern vielmehr daran, dass sie auf kaum nennenswerten Widerstand stoßen. Die schwindende Moral und massive Korruption in der syrischen Armee haben offensichtlich ein Ausmaß erreicht, bei dem sie kaum noch handlungsfähig ist. Die Regierungstruppen lassen funktionsfähige Panzer und Kampfhubschrauber einfach zurück. Es herrscht der Eindruck: Niemand will mehr für Assad sterben.

(Quelle: Uli Sapountsis)

Zur Person

Hans-Jakob Schindler war bis 2018 Chefberater des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu unterschiedlichen Terrorgruppen und der Entwicklung der globalen terroristischen Bedrohung. Heute ist er Senior Director der gemeinnützigen internationalen Organisation Counter Extremism Project (CEP), die das Ziel verfolgt, der Bedrohung durch Extremismus entgegenzuwirken.

Was machen Assads Verbündete, Russland und der Iran? Warum unterstützen sie ihn nicht stärker?

Dass Russland und der Iran Assad bisher nur zögerlich unterstützen, ist verwunderlich. Denn Syrien ist für ihre strategischen Interessen zentral. Russland unterhält einen Marinestützpunkt im Hafen der westsyrischen Stadt Tartus. Neben der Krim ist das der einzige russische Zugang zum Mittelmeer. Der Iran braucht Syrien als Landverbindung zum Libanon. Ohne diese kann er die Hisbollah nicht versorgen und nach der aktuellen Schwächung durch Israel in Zukunft auch nur schwer wieder aufbauen.

Die Zurückhaltung hat Gründe: Russland ist durch den Ukraine-Krieg ausgelastet. Und der Iran hat kaum noch effektive Luftabwehr. Ein zu starkes Eingreifen in Syrien ist für den Iran riskant und könnte israelische Luftschläge zur Folge haben.

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Sollte die Lage für Assad in Damaskus weiter eskalieren, könnten beide Länder jedoch durchaus eingreifen. Russland dürfte dann weitere Luftunterstützung leisten, während der Iran Bodentruppen und die Hisbollah mobilisieren könnte, um das Regime zu stützen.

Könnte Damaskus fallen?

Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte des Krieges, dass an den Außengrenzen von Damaskus gekämpft wird. Deshalb muss es nicht zwingend sein, dass die Stadt fällt.

Ich war jedoch überrascht, wie schnell die Rebellen Homs passiert haben. Wäre hier echter Widerstand geleistet worden, stünden wir nicht an diesem Punkt. Wenn Assad nicht genug Truppen besser mobilisieren kann und Russland und der Iran ihm nicht stärker helfen, könnte die Hauptstadt gefährdet sein.

Was steht Syrien bevor, wenn die Rebellen Damaskus einnehmen?

Ein Sturz Assads würde zunächst Chaos bedeuten. Das Land könnte in noch kleinere Bruchstücke zerfallen. Und eine Machtübernahme durch die islamistische HTS wäre problematisch: Die Gruppe hat zwar das Versprechen gemacht, offen zu sein und auch Christen zu tolerieren. Doch ihre radikale Ideologie ist durchaus gefährlich und macht auch vielen Syrern Angst.

Ein Sieg der Rebellen und das daraus resultierende Chaos könnte deshalb erneut eine große Anzahl von Syrern zur Flucht zwingen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würden dann viele Menschen in die Türkei fliehen, einige in den Libanon.

Auch wenn das Ende eines Diktators eigentlich positiv ist: Für Europa wäre all das keine gute Nachricht. HTS könnte in Syrien ein Drehkreuz für internationale Terroristen schaffen. Schon jetzt erlaubt HTS ausländische terroristische Kämpfer in seinen Reihen und in seinen Gebieten. Darunter sind auch Individuen mit Deutschlandbezug.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Hans-Jakob Schindler
  • Mit Material der Nachrichtenagentur AFP
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