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Massenproteste in Tel Aviv: Die Stimmung in Israel kippt


Massenproteste in Israel
Die Stimmung kippt

Von dpa
Aktualisiert am 02.09.2024Lesedauer: 4 Min.
280.000 Menschen demonstrieren in Tel Aviv nach Fund sechs toter israelischer Geiseln.
Videos zeigen die Ausschreitungen in Tel Aviv. (Quelle: Glomex)

Israels Regierungschef Netanjahu gerät im eigenen Land immer mächtiger unter Druck. Mit einem Generalstreik soll er dazu gebracht werden, ein Abkommen mit der Hamas einzugehen.

Bei den größten Massenprotesten seit Beginn des Gaza-Kriegs haben in Israel Medienberichten zufolge Hunderttausende ein sofortiges Abkommen mit der islamistischen Hamas gefordert. Nach dem Fund der Leichen von sechs Geiseln im Gazastreifen will Israels Gewerkschafts-Dachverband heute mit einem beispiellosen Generalstreik einen Tag lang das Land zum Stillstand bringen. Er soll den Druck auf Regierungschef Benjamin Netanjahu erhöhen, damit er einem Deal zur Freilassung der verbliebenen Geisel zustimmt.

Bei Protesten in Tel Aviv und anderen Städten kam es teils zu Zusammenstößen mit der Polizei. Laut örtlichen Medien gab es Dutzende von Festnahmen. Allein in der Küstenmetropole Tel Aviv versammelten sich nach Schätzung der Organisatoren rund 300.000 Menschen, wie die "Times of Israel" am Abend berichtete. Offizielle Zahlen gab es nicht.

"Wir können nicht weiter zuschauen. Dass Juden in den Tunneln von Gaza ermordet werden, ist inakzeptabel", wurde Gewerkschaftschef Arnon Bar David von der Nachrichtenseite "ynet" zitiert. "Wir müssen einen Deal (mit der Hamas) abschließen, ein Deal ist wichtiger als alles andere." Der Proteststreik soll um 06.00 Uhr Ortszeit (05.00 Uhr MESZ) beginnen, wie israelische Medien berichteten. Auch der internationale Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv solle bestreikt und der Flugbetrieb lahmgelegt werden.

Demonstranten fordern Freilassung der restlichen Geiseln

Israels rechtsradikaler Finanzminister Bezalel Smotrich forderte der "Times of Israel" zufolge den Generalstaatsanwalt auf, den Generalstreik per einstweiliger Verfügung zu verhindern. Smotrich lehnt ebenso wie der rechtsradikale Polizeiminister Itamar Ben Gvir Zugeständnisse an die Hamas ab und drohte Ministerpräsident Netanjahu mehrfach mit dem Platzen der Regierung.

Die israelische Armee hatte am Sonntagmorgen bekannt gegeben, dass kurz zuvor sechs Geisel-Leichen in einem unterirdischen Tunnel im Süden des Gazastreifens entdeckt worden waren. Das Nachrichtenportal "Axios" zitierte das Nationale Forensische Institut, wonach die Geiseln etwa 48 bis 72 Stunden vor der Autopsie der Leichen aus nächster Nähe erschossen worden seien. Demnach wurden sie zwischen Donnerstag und Freitagmorgen ermordet. Ein Sprecher der Terrororganisation Hamas sagte dagegen, die Geiseln seien durch israelisches Bombardement ums Leben gekommen.

"Wir werden sie nicht im Stich lassen", skandierten Demonstranten in Tel Aviv mit Blick auf das Schicksal der nun noch verbliebenen 101 Geiseln in der Gewalt der Islamisten. Sie marschierten mit blau-weißen Nationalflaggen auf zentralen Straßen der Stadt. Auf einer Bühne waren symbolisch die Särge der sechs getöteten Geiseln aufgebahrt.

Bericht: Vermittler planen letzten Verhandlungsvorstoß

Teilnehmer der Protestkundgebung blockierten am Abend eine zentrale Schnellstraße. Medienberichten zufolge warfen sie Steine, Zäune, Nägel und Metallgegenstände auf die Fahrbahn, entzündeten ein Feuer und schossen Feuerwerkskörper in die Luft. Die Polizei habe die Straße schließlich geräumt und dabei Blendgranaten eingesetzt.

Auch in anderen Städten Israels kam es zu Protesten. Die Demonstranten forderten von der Regierung einen raschen Deal, der eine Waffenruhe im Gaza-Krieg sowie die Freilassung der Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen ermöglichen soll. Die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, bei denen neben den USA auch Katar und Ägypten als Vermittler fungieren, kommen seit Monaten nicht von der Stelle.

Nach Informationen der "Washington Post" wollen die Vermittler den Konfliktparteien in den kommenden Wochen ein letztes Mal einen Vorschlag für ein Abkommen vorlegen. Sollten beide Seiten auch diesen wieder nicht akzeptieren, könnte es das Ende der Verhandlungen bedeuten, wurde ein ranghoher Beamter der Regierung von US-Präsident Joe Biden zitiert. Der Fund von sechs toten Geiseln in Gaza habe die Dringlichkeit eines Abkommens gezeigt.

Verteidigungsminister: Wir müssen die Geiseln nach Hause bringen

Jüngste Umfragen des in Jerusalem ansässigen Forschungszentrums Israel Democracy Institute (IDI) hätten ergeben, dass 82 Prozent der Israelis eine Vereinbarung über die Freilassung der Geiseln im Gazastreifen in irgendeiner Form befürworten, berichtete das "Wall Street Journal". Über die Bedingungen für ein Abkommen seien die Befürworter jedoch weiterhin tief gespalten. "Es gibt Leute, die sagen, wir müssen die Geiseln zurückbekommen; andere sagen, wir müssen den Krieg fortsetzen, um den Süden zu sichern", zitierte die US-Zeitung Michael Oren, einen ehemaligen israelischen Botschafter in den USA. "Es ist seit dem ersten Tag des Krieges das Gleiche, nichts hat sich geändert", sagte er der Zeitung.

Hauptstreitpunkt bei den Verhandlungen ist derzeit die Frage, wie lange israelische Truppen am Philadelphi-Korridor im Süden Gazas an der Grenze zu Ägypten stationiert bleiben dürfen. Israels Sicherheitskabinett entschied kürzlich, an der Kontrolle des Korridors festzuhalten. In einer Erklärung der Angehörigen der Entführten hieß es, Netanjahu und seine Koalitionspartner hätten beschlossen, das Abkommen über eine Waffenruhe für den Korridor "zu torpedieren, und verurteilen die Geiseln damit wissentlich zum Tod".

Verteidigungsminister Joav Galant forderte, die Entscheidung des Sicherheitskabinetts rückgängig zu machen. "Für die Geiseln, die kaltblütig ermordet wurden, kommt es zu spät", schrieb Galant auf der Plattform X. "Wir müssen die Geiseln, die noch in der Hamas-Gefangenschaft sind, nach Hause bringen." Galant hatte sich in der Kabinettssitzung nach übereinstimmenden Medienberichten ein heftiges Wortgefecht mit Netanjahu geliefert.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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