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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sicherheitskonferenz in München Das Wasser steht bis zum Hals
Die blutigen Kriege in der Ukraine und in Israel laufen weiter, und viele westliche Länder sind auf Kurssuche. Ausgerechnet in dieser Lage verursacht Donald Trump einen Schockmoment, der vor allem Wladimir Putin stärkt.
Patrick Diekmann berichtet aus München
Es war wie ein lauter Knall, der aus den USA quer über den Atlantik bis nach Europa hallte. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump drohte am Sonntag auf einer Wahlkampfveranstaltung, dass die USA jene Nato-Partner nicht mehr schützen würden, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen. Und er ging noch weiter: Trump würde Russland sogar ermutigen, mit Mitgliedsländern, die seiner Meinung nach nicht genug für ihre eigene Verteidigung ausgeben, "zu tun, was immer sie (Russland) wollen".
Diese politische Bombe zeigte Wirkung, der Schock innerhalb des Bündnisses sitzt tief. Trump hat kein Amt inne, ist bislang nicht einmal zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gewählt worden. Trotzdem fühlen sich viele Nato-Mitglieder in eine düstere Zeit während Trumps erster Präsidentschaft zurückversetzt, als die transatlantischen Beziehungen schwer angeschlagen waren. Eine mögliche Trump-Rückkehr ist schon jetzt wie ein Gewittersturm, der die Stimmung bei der diesjährigen Sicherheitskonferenz in München (MSC) verdunkelt.
Für die westlichen Staaten und ihre Verbündeten ist das Treffen in München daher eine Art Selbstvergewisserung. Es ist die größte Konferenz ihrer Art, ab Donnerstag findet sie bereits zum 60. Mal statt. Doch Feierlaune gibt es kaum. Denn im Angesicht zahlreicher Krisen, der Kriege in der Ukraine und in Israel und eben der drohenden Rückkehr von Donald Trump, treten immer mehr Risse auf. Fest steht: Machthaber wie Putin wittern in dieser Zeit die Schwäche der liberalen Demokratien. Der Westen muss deshalb einen gemeinsamen Kurs finden, sucht in München nach einem Silberstreif am Horizont, nach einem Funken Hoffnung in dem gegenwärtigen Chaos.
Intime Gespräche in Hotelzimmern
"Frieden durch Dialog": Das war immer das Motto der Münchener Sicherheitskonferenz. Auch Konfliktparteien kommen hier auf engem Raum im Hotel Bayerischer Hof zusammen. Zwar halten Politikerinnen und Politiker Reden, diskutieren bei verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen. Aber die essenzielle internationale Politik findet hinter verschlossenen Türen statt, im intimen Rahmen. Hier waren sie immer möglich, die Begegnungen im Hotelflur, die Gespräche in einer der Suiten, die Absprachen, die eventuell Krisen entschärfen können.
Doch gilt das auch für dieses Jahr? Botschafter Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz, sagte am Montag in Berlin: "Ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, dass wir heute, in diesem Jahr, so viele Krisen, Konflikte, Herausforderungen haben, wie wir es noch selten – wenn überhaupt – in den letzten 60 Jahren hatten."Auch der diesjährige MSC-Sicherheitsreport gibt in diesem Jahr eine düstere Prognose: "Lose-Lose?", heißt es darin. Damit ist gemeint, dass es nur Verlierer gibt, wenn sich die Welt – wie es derzeit scheint – in Blöcke ordnet. Diese Rivalität führt zu Verteilungskämpfen, denn Mächte wie Russland oder China sind der Auffassung, dass ihnen ein größeres Stück vom Kuchen des globalen Wohlstands zusteht.
Die Folge dieses Konfliktes: Staaten arbeiten nur noch mit Ländern aus dem eigenen Lager zusammen. Die schrumpfende internationale Zusammenarbeit bringt die Globalisierung ins Wanken, das wiederum verringert den Wohlstand in vielen Ländern. Der Kuchen, um den sich derzeit schon viele Länder zanken, wird also noch kleiner. Am Ende – so heißt es im Sicherheitsreport – könnten alle die Verlierer dieser Entwicklung sein.
80 Regierungsvertreter aus aller Welt
Deswegen wirbt die Sicherheitskonferenz für mehr Dialog, um Lösungen zu finden. Dafür werden 180 Regierungsvertreter aus aller Welt ab Freitag im Bayerischen Hof debattieren – darunter allein 84 Außen- und Verteidigungsminister.
t-online erfuhr aus Sicherheitskreisen, dass auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in München erwartet wird. Teilnehmen werden außerdem in diesem Jahr Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), US-Vizepräsidentin Kamala Harris, der chinesische Spitzendiplomat Wang Yi sowie UN-Generalsekretär António Guterres. Aus Israel werden Präsident Izchak Herzog und Außenminister Israel Katz erwartet. Auch der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtajjeh kommt in die bayerische Landeshauptstadt.
Insgesamt werden drei zentrale Themen im Mittelpunkt stehen:
1. Der Krieg in Gaza
Der Krieg im Nahen Osten ist ein Schwerpunkt der Konferenz. Es sei ein Ziel der Veranstalter, die Vertreter beider Seiten zusammenzubringen, erläuterte Siko-Chef Heusgen. Er hoffe "sehr darauf", dass Gespräche zustande kommen.
Es seien "alle wichtigen Player" auf der Konferenz vertreten, auch "alle die, die sich um den Geiselaustausch derzeit bemühen". So werden die Regierungschefs aus dem Libanon, Katar, dem Irak und Kuwait sowie die Außenminister aus Saudi-Arabien und dem Oman erwartet.
Doch Lösungen scheinen weit entfernt zu sein. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte an, dass die israelische Armee nun Rafah angreifen werde, um auch die letzten Nester der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen zu beseitigen. Mehr dazu erfahren Sie hier. Das Problem: In der Stadt im Süden Gazas sollen sich 1,3 Millionen Zivilisten aufhalten, ein großer Teil davon Binnengeflüchtete, die auf Anweisung der israelischen Führung in den Süden geflohen sind. Der geplante Angriff dort droht die humanitäre Katastrophe deutlich zu verschlimmern.
Für den Westen ist dieser Konflikt ein schwieriger Balanceakt. Zieht die israelische Führung ihren Plan durch, könnte der Geduldsfaden muslimisch geprägter Länder im Nahen und Mittleren Osten endgültig reißen. Ägypten hat bereits angekündigt, in diesem Fall den Friedensvertrag mit Israel auszusetzen. Es droht der Flächenbrand, den der Westen um jeden Preis verhindern wollte.
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Deswegen geht es in München darum, mit Staaten zu sprechen, die den Hamas-Terror und den Einfluss des Iran auf radikale Gruppierungen in der Region ablehnen, die aber gleichzeitig vehement für den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung eintreten. Vor allem Deutschland und die USA erhöhten bereits den Druck auf die israelische Führung, damit diese das Völkerrecht einhält. Für den Westen geht es bei der Konferenz auch darum, dem Vorwurf der Doppelmoral entgegenzuwirken.
2. Russischer Angriffskrieg in der Ukraine
Denn es sind vor allem Russland und China, die die Erzählung bedienen, dass der Westen Völkerrecht je nach Bedarf auslegt. Diese Kritik kommt auch immer wieder aus Ländern des Globalen Südens – ein Problem für die Nato und ihre Verbündeten. Denn in einigen Teilen der Welt wurde die entschlossene Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sehr wohl registriert, das anfängliche Schweigen über das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen allerdings auch.
Das wirkt sich wiederum auf den Krieg in der Ukraine aus. Zwar kommen keine russischen Vertreter nach München, das würde momentan auch keinen Erfolg erzielen. Wladimir Putin glaubt an einen Sieg in dem Krieg und erklärte am 9. Februar in dem Interview mit dem Ex-Moderator Tucker Carlson: Wenn die Vereinigten Staaten die Kämpfe wirklich beenden wollten, sollten sie als Erstes aufhören, Waffen an die Ukraine zu liefern. Dann sei es in ein paar Wochen vorbei.
In anderen Worten: Dann hätte die Ukraine relativ schnell verloren.
Deswegen geht es für den Westen zunächst darum, die eigenen Reihen zu schließen und der zunehmenden Kriegsmüdigkeit der eigenen Bevölkerungen entgegenzuwirken. Wenn die Ukraine nicht verlieren soll, müssen noch mehr Geld und Rüstungsgüter mobilisiert werden. Bei der Sicherheitskonferenz wird es aber auch um den Dialog mit den Staaten gehen, die die russische Invasion in der Ukraine eigentlich ablehnen, für die dieser Krieg aber ein europäisches Problem ist. Das gilt zum Beispiel für Indien, aber auch für viele südamerikanische und afrikanische Staaten.
Wladimir Putin hält uns für Weicheier.
Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz
Putin fühlt sich militärisch im Vorteil, er sieht die westlichen Probleme bei der Versorgung der Ukraine. Und er hofft darauf, dass er im Jahr 2024 ein Stück weiter aus der eigenen internationalen Isolation herauskommt – auch durch eine Teilnahme am G20-Gipfel in Brasilien. Um Druck auf den Kreml aufzubauen, müssen die Nato und ihre Verbündeten mit Ländern aus Südostasien, dem Mittleren Osten und Südamerika sprechen. Für Heusgen ist klar: "Wladimir Putin hält uns für Weicheier und er glaubt, dass er am längeren Hebel sitzt", sagte er der "Wirtschaftswoche". Deshalb sei es so wichtig, ihm zu zeigen, wie falsch er damit liege. "Putin wittert Schwäche. Umso mehr müssen wir Stärke beweisen." Die Sicherheitskonferenz soll also auch ein Signal der Stärke in Richtung Moskau schicken.
3. Angst vor der Trump-Rückkehr
Letztlich hofft Putin darauf, dass Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl im November gewinnt. Der ehemalige US-Präsident hatte schon angekündigt, dass er den Ukraine-Krieg in 24 Stunden beenden würde. Da er auch meinte, dass die USA zu viel Geld für die Ukraine ausgeben würden, nährt das die Hoffnung im Kreml, dass Trump Russland die Ukraine einfach überlassen könnte.
Schon jetzt verursacht Trump Unruhe bei den Partnern der USA, nicht nur in der Ukraine-Frage. Die europäischen Nato-Mitglieder werden sich auch in München über eine sicherheitspolitische Autonomie von den USA unterhalten müssen. Wie kann Russland von einem Angriff abgeschreckt werden, wenn die Vereinigten Staaten unter Trump Zweifel an den Nato-Beistandsverpflichtungen aufkommen lassen?
Diese Debatten haben schon vor Beginn der Konferenz immer mehr an Fahrt aufgenommen. So bezweifelt etwa Katarina Barley, dass Europa in Zukunft sicher durch den US-Atomschirm geschützt ist. "Angesichts der jüngsten Äußerungen von Donald Trump ist darauf kein Verlass mehr", sagte die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl am Dienstag dem "Tagesspiegel". Auf die Frage, ob die EU eigene Atombomben benötige, antwortete die SPD-Politikerin: "Auf dem Weg zu einer europäischen Armee kann auch das ein Thema werden."
Schon jetzt lähmt Trumps Einfluss die US-Unterstützung für die Ukraine, weil die Republikaner im Repräsentantenhaus Hilfspakete blockieren, um Biden beim Thema Migration im Wahlkampf unter Druck zu setzen. Aber ausgerechnet die Angst vor Trump könnte wiederum auch andere Prozesse beschleunigen: die Stärkung der Rüstungswirtschaft in Europa oder bestimmte Weichenstellungen beim internationalen Klimaschutz, die mit Biden noch möglich sind, es aber unter einer Trump-Administration nicht mehr wären.
Bei der Münchner Sicherheitskonferenz geht es also vor allem um eine Selbstvergewisserung des Westens und seiner Verbündeten, dass ihr geopolitischer Kompass noch immer in dieselbe Richtung zeigt. Es wird eine Erinnerung, dass man noch immer die gleichen Ziele verfolgt – auch wenn über den genauen Weg immer wieder gestritten wird. Denn darin sind sich die meisten einig: Nur gemeinsam kann Putin gestoppt werden.
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- Nachrichtenagenturen dpa und rtr