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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah Das Spiel mit dem Feuer
Am Freitag wird der Anführer der Terrororganisation Hisbollah seine erste Rede nach dem Angriff auf Israel halten. Für Hassan Nasrallah könnte das zum Balanceakt werden.
Es ist sein erster Auftritt seit dem Angriff auf Israel: Hunderte Stühle stehen Reihe in Reihe auf einem Platz vor der Bühne, auf der die Rede des Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallahs an diesem Freitag live übertragen werden soll. Das zeigen Videos, die für seinen lang erwarteten Auftritt in Beirut werben.
Seit 1992 steht Nasrallah an der Spitze der libanesischen Partei und deren Terrororganisation im Libanon, lebt an einem unbekannten Ort im Verborgenen und zeigt sich nur selten bei öffentlichen Auftritten. Fast wöchentlich hielt er in der Vergangenheit jedoch Fernsehansprachen für seine Anhänger. Seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel aber hüllt er sich in Schweigen, auch zu den militärischen Gefechten seiner Hisbollah mit der israelischen Armee äußerte er sich bislang nicht.
Umso mehr wird die Ausstrahlung seiner Rede um 15 Uhr Ortszeit (14 Uhr deutscher Zeit) erwartet. In einigen Cafés wird eine Liveübertragung angeboten, Schulen planen, die Schülerinnen und Schüler vor dem Beginn der Rede nach Hause zu schicken und Profi-Fußballvereine in Beirut haben ihre Trainingseinheiten verschoben.
Denn sie alle wissen: Hassan Nasrallah könnte heute über ihre Zukunft und die ihres Landes entscheiden.
Das Geld kommt aus Teheran
Geboren als ältester Sohn eines Gemüsehändlers aus dem Süden des Landes, wurde er mit nur 32 Jahren zum Generalsekretär der Hisbollah. In wenigen Jahren machte er aus der Terrormiliz die stärkste militärische und politische Kraft Libanons. Mit dieser hat Nasrallah das Land fest im Griff. Unterstützung erhält Nasrallah dabei, wie andere Terrororganisationen in der Region, aus Teheran. Das islamische Regime im Iran hat die Terrororganisation 1982 mitgegründet und finanziert sie bis heute.
- Hamas, Huthi, Hisbollah und IS: Sie kämpfen gegen Israel
Die Hisbollah ist also nicht nur wirtschaftlich auf Teheran angewiesen, sondern stimmt auch in ihrer Ideologie mit dem islamischen Regime überein. Mit ihren knapp 50.000 Kämpfern gehört sie zu Irans sogenannter "Achse des Widerstands" gegen die USA und Israel. Schon seit der Gründung der Islamischen Republik 1979 wurden diese Länder vom Regime im Iran zum Erzfeind erklärt. Entsprechend viel Macht erlangte Nasrallah, als es ihm nach dem libanesischen Bürgerkrieg gelang, die israelischen Truppen im Jahr 2000 zum Abzug aus dem Südlibanon zu zwingen.
Auch aus einem Einmarsch Israels im Jahr 2006, nachdem die Hisbollah zwei israelische Soldaten als Geiseln genommen hatte, ging er erfolgreich hervor: Trotz massiver Angriffe konnte sich die Hisbollah halten und bis zum letzten Tag des Krieges Raketen auf israelisches Territorium abfeuern. Nach 34 Tagen endete der Krieg in einem Waffenstillstand – für Nasrallah kam das einem Sieg gleich. Laut Umfragen war er der beliebteste Führer der arabischen Welt.
"Wir können keinen weiteren Krieg ertragen"
Doch seine für Freitag angekündigte Rede wird in der Bevölkerung des Libanon kritisch gesehen. Zum ersten Mal seit Beginn des Krieges gegen Israel will er sich an die Öffentlichkeit wenden. Offiziell ist eine Gedenkzeremonie für die getöteten Hisbollah-Kämpfer angekündigt. Doch befürchtet wird, dass Nasrallah auch einen Wendepunkt im aktuellen Nahostkonflikt einleiten und einen offiziellen Einstieg der Hisbollah in den Krieg gegen Israel ankündigen könnte.
Das Jahr 2006 gilt in diesen Tagen hinter vorgehaltener Hand als Schlüsselwort für die mahnende Erinnerung an die mehr als 1.500 Zivilistinnen und Zivilisten, die bei dem letzten Konflikt mit Israel getötet wurden. "Ich möchte wirklich nicht vertrieben werden und alles verlieren, so wie 2006", sagt etwa Fatima, die ihren Nachnamen lieber nicht veröffentlicht sehen will. "Wir können keinen weiteren Krieg ertragen." Auch Mohammed sagt: "Nasrallah kann für sich und seine Anhänger sprechen und nicht für alle Libanesen." Er wirft Nasrallah vor, die Libanesen im aktuellen Konflikt mit Israel als "Schutzschilde" zu missbrauchen.
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Fast täglich schießen seine Hisbollah-Terroristen Raketen auf Israel ab und liefern sich mit der israelischen Armee erbitterte Gefechte. Auf beiden Seiten kam es dabei schon zu Toten. Beinahe 30.000 Zivilistinnen und Zivilisten haben sich darum bereits aus den grenznahen Ortschaften ins sichere Hinterland zurückgezogen. Die Pufferzone ist so gut wie entvölkert, nur ein paar hundert Familien sind noch geblieben, weil sie Land und Tiere nicht zurücklassen wollen. Viele von ihnen wollen keinen Krieg, ihre Lebensumstände sind schlecht.
Im Land fehlt es an Stabilität und Wohlstand, es mangelt an nahezu allem: einem Staatsoberhaupt, einer Regierung, einer stabilen Währung. Seit Ende 2019 steckt der Mittelmeerstaat in der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Diese wird auch auf jahrzehntelange Korruption in Politik und Wirtschaft zurückgeführt. Hinzu kommt der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien. Laut UNHCR leben mehr als 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge im Libanon. Geschätzt wird, dass rund ein Viertel der Bevölkerung – mehr als fünf Millionen Menschen – syrische Geflüchtete sind.
Nasrallahs Balanceakt
Beobachter glauben, dass sich Nasrallah auch darum in den vergangenen Tagen zurückgehalten hat. Denn mit einer möglichen offiziellen Kriegserklärung gegen Israel würde er zwar seine Anhänger begeistern, doch unter der Bevölkerung würde er seine ohnehin schon angeknackste Zustimmung riskieren. Bei dieser hatte er in den vergangenen Jahren an Beliebtheit eingebüßt, denn während die meisten in Armut leben, schwelgt die Machtelite des Landes im Luxus.
"Ein weiterer Krieg wäre für den Libanon in der jetzigen Situation katastrophal. Er könnte das Land in eine existentielle Krise stürzen, die den wirtschaftlichen und politischen Kollaps beschleunigt", sagte Ali Fathollah-Nejad, Politikwissenschaftler für den Nahen und Mittleren Osten und Direktor des Center for Middle East and Global Order (CMEG), im Interview mit t-online. Für die Hisbollah würde das einen weiteren Verlust an Zustimmung im Land bedeuten, glaubt Fathollah-Nejad.
Zudem könnte die Machtelite bei einem Kriegseintritt als "Irans Marionette" wahrgenommen werden und nicht als Interessenvertretung der Libanesinnen und Libanesen des Landes, so der Experte. Nasrallah könnte auch das seinen letzten Rückhalt in der Bevölkerung rauben.
Das würde sein Ende bedeuten
Hinzu kommt: "Die Hisbollah müsste bei einem wahrhaftigen Kriegseintritt Vergeltungsschläge der Amerikaner fürchten", so Fathollah Nejad. Die USA hatten bereits kurz nach dem Angriff auf Israel Militärschiffe ins Mittelmeer verlegt – als Warnung an das Regime im Iran und seine Komplizen wie die libanesische Hisbollah. Für diese, das dürfte auch Nasrallah wissen, würde eine Konfrontation mit den USA das sichere Ende bedeuten.
Bei seiner Rede dürfte Nasrallah Israel also durchaus den Tod wünschen, Vernichtungswünsche gen Tel Aviv schicken und so die antisemitische und anti-israelische Einstellung seiner Hisbollah-Anhänger bedienen. Auch, glauben Experten, könnte die Hisbollah ihre Raketenangriffe weiter verschärfen. Ob Nasrallah mit seiner Rede jedoch tatsächlich eine zweite Front eröffnen und seine Hisbollah offiziell in den Krieg schicken wird, ist angesichts der hohen Risiken, die das für ihn birgt, fraglich.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen reuters und dpa
- swp-berlin.org: "Die "Achse des Widerstands""
- sueddeutsche.de: "An diesem Freitag soll er sprechen"
- kas.de: "Die libanesische Hisbollah"
- munzinger.de: "Hassan Nasrallah"
- deutschlandfunk.de: "Aufstieg der Hisbollah im Libanon"
- tagesschau.de: "'Wir haben den Feind vor der Haustür'"