Historische Demo in Warschau "Mir ist diese Regierung, dieser ganze Staat nur noch peinlich"
Massenweise Menschen gehen am Sonntag in der polnischen Hauptstadt auf die Straße. Schon bald stehen in Polen Parlamentswahlen an.
Zwei Wochen vor der Parlamentswahl in Polen haben am Sonntag Hunderttausende Menschen gegen die Politik der nationalkonservativen Regierungspartei PiS demonstriert. Dichtgedrängt zogen die Teilnehmer durch das Zentrum von Warschau. Demonstranten trugen Plakate mit der Aufschrift "Wir haben genug und wollen Veränderung" und "Gemeinsam haben wir Kraft".
Zu dem "Marsch der Millionen Herzen" hatte die liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) aufgerufen, die aus der früheren Regierungspartei Bürgerplattform von Donald Tusk hervorgegangen ist. Die Demonstration wird auch vom Linksbündnis Lewica unterstützt.
Mit der Demonstration will die Opposition vor der Parlamentswahl am 15. Oktober ihre Anhänger mobilisieren. Die liberale Bürgerplattform von Oppositionsführer Donald Tusk hofft, die rechtsnationalistische Regierungspartei PiS abzulösen.
"Mir ist diese Regierung, dieser ganze Staat nur noch peinlich"
"Ich will ein offenes, europäisches Polen. Wir möchten in die Zukunft schauen, anstatt ständig in der Vergangenheit zu wühlen und irgendwelche Feindseligkeiten mit Nachbarn wie Deutschland zu suchen", sagte Iwona (59), die mit ihrem Mann Andrzej aus Bialystok im Osten des Landes angereist ist, der Nachrichtenagentur dpa.
Tomasz Szulc trug zur Demo eine rothaarige Perücke – genau wie seine beiden Freunde Marek und Franciszek. Die Perücke sei eine Anspielung auf Hetze im von der PiS gleichgeschalteten öffentlich-rechtlichen Sender TVP, dessen Moderator Tusk als "rothaarig und gemein" bezeichnet hatte, erklärt der 60-jährige Fliesenleger aus Torun. "Mir ist diese Regierung, dieser ganze Staat nur noch peinlich."
Rund eine Million Menschen sollen es nach Angaben der Stadtverwaltung sein, die an diesem Sonntag ihrem Unmut über die Politik der nationalkonservativen PiS-Regierung Luft machen. "Dies ist die größte Demonstration in der Geschichte Warschaus", sagte die Rathaussprecherin. Das Portal Onet.pl kommt in eigenen Berechnungen auf 800.000 Teilnehmer. "Diese Kraft kann durch nichts mehr aufgehalten werden", schwärmte Oppositionsführer Tusk.
Regierungsbildung mit ultrarechtem Koalitionspartner?
Ob es tatsächlich so kommt, wird sich am 15. Oktober entscheiden. Dann wählt Polen ein neues Parlament. In allen Umfragen führt bislang die seit 2015 regierende nationalkonservative PiS mit deutlichem Abstand. Sie könnte allerdings zur Regierungsbildung einen Koalitionspartner benötigen – und diesen in der ultrarechten Konfederacja finden.
Während die Opposition durch die Straßen von Warschau zieht, hält die PiS eine Wahlkampfveranstaltung im schlesischen Kattowitz (Katowice) ab. Regierungschef Mateusz Morawiecki spielt einmal mehr die antideutsche Karte. "Donald Tusk hörte auf Angela Merkel, die ihm ins Ohr flüsterte, dass er das Renteneintrittsalter erhöhen soll", sagte er zum Publikum. Die PiS versucht seit Jahren, Tusk als Handlager Deutschlands zu diskreditieren.
Zuletzt hatten Regierungsäußerungen zu einem möglichen Stopp von Militärhilfen für die Ukraine für Irritationen in Polen gesorgt. Zudem brachte ein Skandal um illegale Visavergaben an Migranten die für einen harten Kurs in der Migrationspolitik stehende rechtskonservative Regierung in Bedrängnis (hier lesen Sie mehr dazu).
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa