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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Heile Welt in Scharm el-Scheich Die Schokoladenseite der Diktatur
Kaum ein Schnorchel in Sicht, die Pools wie ausgestorben: So stellt die Klimakonferenz ein ägyptisches Resort auf den Kopf und das Regime in Frage.
"Wenn der Präsident ruft, dann kommen wir", sagt Ahmed*. Es ist vier Uhr morgens und seine 12-Stunden-Schicht noch lange nicht vorbei. Doch der Maschinenbauer strahlt: schwarzer Anzug, weißes Hemd, ein schwarz-weiß-roter Flaggen-Pin mit goldenem Adler am Revers. Zwei Wochen lang ist der Flughafenparkplatz von Scharm el-Scheich sein Reich, tags wie nachts, Bezahlung gibt es keine.
Wo sonst TUI-Mitarbeiter mit Klemmbrett stehen, lotst er die Teilnehmer des Weltklimagipfels in ihre Hotelshuttles. Sein Land habe ihm eine gute Ausbildung ermöglicht, jetzt wolle er etwas zurückgeben – hier, in Ägyptens zweitgrößtem Urlaubsresort am Roten Meer, dem in den vergangenen Monaten ein komplettes Face-Lifting verpasst wurde.
Die schönste Seite der Militärdiktatur
Im Jahr 2021 fanden im Scharm schon einmal UN-Verhandlungen statt. Damals ging es aber um Korruptionsbekämpfung; für die A-Prominenz der Politik weniger interessant als die Rettung des Planeten. Mit Gästen wie US-Präsident Biden, Bundeskanzler Scholz, Frankreichs Premier Macron und der Aufmerksamkeit der ganzen Welt, bietet der Klimagipfel für die ägyptische Militärdiktatur hingegen eine Chance, sich in ein besseres Licht zu rücken.
"So etwas habe ich noch nie gesehen. Das als Renovierung zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung", staunt der Moderator in einem Image-Film über die Stadt. Er hat nicht unrecht. Der Schweiß, den Bauarbeiter im Sommer bei bis zu 50 Grad vergossen haben, ist zu Gehwegen aus Marmor, Springbrunnen, Gartenanlagen, Ladenflächen, Lichtinstallationen und frisch geteerten Fahrbahnen geworden.
Nach zwei Jahren Corona-bedingter Flaute hofft man darauf, dass die neuen Reize sich auch nach der Klimakonferenz weiter auszahlen werden. Für die Kosten dieses generalüberholten Urlaubsparadieses kommen – wie bei den meisten multinationalen Großveranstaltungen – letztlich die Steuerzahler des Gastlandes auf.
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Von den Urlaubermassen, die 2022 erstmals wieder aus Ägypten, Russland und Großbritannien in die sandigen Buchten eingefallen sind, ist derzeit allerdings nichts zu sehen. Weder am Flughafen, noch in den Hotels. "Ich glaube, es ist kein einziger Tourist übrig", sagt Masha*.
Seit knapp einem halben Jahr arbeitet die junge Russin als Animateurin in einem 4-Sterne-Resort von Shark’s Bay. Auf ihrem blauen Poloshirt mit gelber Paspelierung steht "Five Star Fun", doch weder ihre Yogastunden, Stretching-Sessions noch Aquajogging-Kurse sind momentan gefragt.
Kaum eine Strandliege ist belegt, drei Viertel des Frühstücksrestaurants bleiben morgens leer. Trotz Kartoffelgratin-Miniaturen und Pancake-Station. Nicht nur hier ist es der Zimmerpreis, der wuselige Hotels in exklusive Zonen für Delegierte, UN-Mitarbeiter, Lobbyisten und Konzernvertreter, Wissenschaftler und NGOs verwandelt hat. An jedem Pool döst ein Rettungsschwimmer im Schatten eines Sonnenschirms.
Ein durchschnittliches Doppelzimmer kostet aktuell rund 650 Euro pro Nacht. Fast zehnmal so viel wie regulär. Hinter vorgehaltener Hand vermuten viele, das habe die Regierung so vorgegeben, um die Badegäste fernzuhalten.
Besseres Essen, mehr Polizei
"Die ganze Atmosphäre ist anders, die machen alles für die Konferenz. Die Zimmer wurden renoviert und das Essen ist so viel besser als vorher. Im Zentrum ist alles neu und schön dekoriert", sagt Masha. Sie verbringt ihre Zeit jetzt damit, sich mit den wenigen Partnerinnen und Partnern von Konferenzteilnehmern zu unterhalten, die Lust hatten mitzureisen. Viel mehr Optionen haben auch sie nicht: Tauchen, Bootsausflüge, Wasserski – alles verboten. "Aus Sicherheitsgründen", heißt es.
Mit derselben Begründung dümpelt ein Polizeiboot in der Bucht. Um Lunchpakete abzuholen und zur Toilette zu gehen, fahren die Beamten mit einem Beiboot das nächstgelegene Hotel an. Mehrere hundert Meter weiter draußen ankert ein Schiff des Militärs. Hellgrau und riesig, wirkt es im Panorama von Sand, Palmen und Sonnenschirmen fehl am Platz. Zumindest aus Strandperspektive. Doch für Ägyptens Regierung geht es hier nicht nur um Optik.
Im Norden der Sinai-Halbinsel ist noch immer ein Ableger der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) unterwegs. Im Mai ermordeten die IS-Anhänger elf Soldaten und sprengten eine Erdgasleitung in die Luft, ein Jahr zuvor richteten sie einen Mann hin, der in seinem Dorf eine Kirche gebaut hatte. Auch Scharm el-Scheich selbst ist radikal-islamistischer Gewalt schon begegnet.
Bewachung oder Überwachung?
88 Menschen starben hier 2005, als Terroristen in einem Hotel und im Basar des Zentrums Bomben zündeten. Noch immer ist der Islamische Staat auf der Sinai-Halbinsel unterwegs. Doch erst seit wenigen Tagen herrscht in der Stadt ein fast beunruhigendes Level an Sicherheitsvorkehrungen.
Überwachungskameras in den Hotels, in Taxis und an fast jeder Straßenecke. Polizisten, die in der sengenden Sonne die Auf- und Zufahrten zur Ringstraße bewachen. Immer wieder Männer mit schwarzen Anzügen und schwärzeren Minen, deren Zugehörigkeit zum Geheimdienst man nur erraten kann. Und doch: Als Journalistin oder Aktivist muss man sich fragen, ob man bewacht oder überwacht wird.
Laut Angaben lokaler Menschenrechtsgruppen, hält das Regime rund 60.000 politische Gefangene inhaftiert. Kurz vor Beginn der Klimakonferenz wurden 70 Umwelt- und Klimaaktivisten festgenommen, die zu Protesten aufgerufen hatten. Demonstrationen sind verboten, seitdem Präsident Abdel Fattah al-Sisi sich 2013 mithilfe des Militärs an die Macht putschte.
Sein Umgang mit Kritikern ist in jüngsten Jahren zunehmend gewaltsamer geworden. Doch auch für die Aktivisten des Landes ist die Klimakonferenz eine nahezu einmalige Chance: Die ganze Welt blickt nach Ägypten und zwingt die Regierung zur Zurückhaltung. Wann also laut sein, wenn nicht jetzt? Dieses Gefühl schleicht sich auch in die Tischgespräche im Resort, in denen es sonst eher um den Kinderclub oder den morgigen Tagesausflug gehen dürfte.
Revolution beim Abendessen
"Am Freitag könnte die Revolution kommen", sagt ein US-Amerikaner zwischen Pommes und Garnelen. Seine Eltern stammen aus Kairo, er begleitet seine Frau, die auf der Klimakonferenz spricht, und vertreibt sich die Tage mit der zweijährigen Tochter am Strand. Auf Twitter verfolgt er die Lage in der Hauptstadt.
"Dieser Moment wird so schnell nicht wiederkommen. Wenn die Leute auf die Straße gehen, können Polizei und Militär sie wohl weder erschießen noch totprügeln", nimmt er an. Allerdings würden bei Aufständen wohl die Grenzen geschlossen – und er und seine Familie wollten doch am Freitag abreisen.
Den Rückweg ins Hotel erhellen solarbetriebene Straßenlaternen, das Taxi kostet für die Strecke deutlich zu viel. Davor hatte ein Mitarbeiter des Resorts gewarnt, jedoch gemahnt, sich besser nicht bei den Konferenzveranstaltern über einen bestimmten Fahrer zu beschweren: "Dann verschwindet der. Also für immer. Jeder, der gerade Scharm el-Scheich besucht, ist ein VIP."
* Die Namen wurden von der Redaktion aus Sicherheitsgründen geändert, sind dort aber bekannt.
- Eigene Recherche