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Nato-Gipfel in Madrid | Sprengmeister Erdoğan: Jetzt droht der große Knall!


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Nato-Gipfel in Madrid
Sprengmeister Erdoğan – Jetzt droht der große Knall

Von Patrick Diekmann, Madrid

Aktualisiert am 28.06.2022Lesedauer: 6 Min.
Recep Tayyip Erdoğan: Der türkische Präsident blockiert die Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato.Vergrößern des Bildes
Recep Tayyip Erdoğan: Der türkische Präsident blockiert die Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato. (Quelle: Depo Photos/imago-images-bilder)
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Im Konflikt mit Wladimir Putin möchte die Nato in Spanien Geschlossenheit demonstrieren. Doch der türkische Präsident Erdoğan setzt auf Eskalation.

Sie galt schon als hirntot, obsolet, als Relikt des Kalten Krieges. Die Nato war das sicherheitspolitische Gegengewicht des Westens zum Warschauer Pakt, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war sie dann stets auf der Suche nach einer neuen Bestimmung. Wirklich fündig wurde das Militärbündnis dabei nie. Warum sollten die Nato-Staaten immer mehr Geld in Verteidigung investieren, wenn kein Feind mit einem Angriff auf das Bündnis droht? Darüber wurde im Westen immer wieder heftig gestritten, bis zum 24. Februar 2022.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind viele der Mitgliedsstaaten plötzlich wieder froh, in der Nato zu sein. Mit seinem Angriffskrieg hat Wladimir Putin die Welt ins Chaos gestürzt und dabei dem Nordatlantikpakt eine sinnstiftende Bedrohung gegeben. Der demokratische Westen sieht sich in einem Systemkonflikt mit Moskau und Peking, als sicherheitspolitischer Akteur steht dabei die Nato nun wieder im Rampenlicht. Ihr Comeback wird zur Metapher für die düstere Zeit, die die Menschheit aktuell durchlebt.

Deshalb ist der Kurs des Militärbündnisses vor dem Nato-Gipfel in Madrid, der am Dienstag beginnt, eigentlich klar gezeichnet: Im Konflikt mit Putin muss ein Signal der Geschlossenheit vom Treffen in Spanien ausgehen, ähnlich wie vom G7-Gipfel in Schloss Elmau, der am heutigen Dienstag endet. Doch das ist keineswegs klar: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan könnte zum Sprengmeister des Gipfels werden, der die Nato-Erweiterung um Schweden und Finnland blockiert. Angesichts der gegenwärtigen Krise wäre das ein fatales Signal, ein Armutszeugnis.

Erdoğan fürchtet um seine Macht

Doch worum geht es Erdoğan eigentlich? Die Türkei steckt noch immer in einer schweren Wirtschafts- und Währungskrise. Die türkische Lira stürzt immer weiter ab, die Inflation liegt mittlerweile bei 73 Prozent. Die Schuld für diese Katastrophe geben viele Türkinnen und Türken den wirtschaftspolitischen Fehlern des Präsidenten, der mit seinem Einfluss auf die Zentralbank den Aufschwung der Türkei mit Niedrigzinskrediten finanzieren ließ – auf Kosten einer hohen Inflation.

Schon im kommenden Jahr wählt die Türkei einen neuen Präsidenten, Erdoğan steht einem breiten Oppositionsbündnis gegenüber. Es könnte das passieren, was für viele Menschen im Land noch komplett unrealistisch scheint: Der 68-Jährige, der seit 19 Jahren als Ministerpräsident oder als Präsident an der Macht ist, könnte tatsächlich verlieren und muss um seine Macht fürchten.

Erdoğan ist daher schon im Wahlkampfmodus und weiß genau, dass sich in der gegenwärtigen Krise der Weltwirtschaft auch die Situation in der Türkei nicht verbessern dürfte. Deshalb ging er zuletzt gegen die Meinungsfreiheit im digitalen Raum vor – wenn er die Realität im Land nicht ändern kann, dann versucht er zumindest, dass seine Bevölkerung sie nicht erfährt. Aber damit nicht genug.

Es gehört zum politischen Werkzeugkasten des türkischen Präsidenten, sich Konflikte im Ausland und insbesondere mit dem Westen zu suchen, wenn es innenpolitisch nicht gut für ihn aussieht. In der Vergangenheit haben diese Ablenkungsmanöver oft funktioniert, denn Erdoğan kann sich damit als Staatsführer verkaufen, der die Interessen seines Landes verteidigt – gegenüber einem christlichen Westen, den viele Türkinnen und Türken als arrogant empfinden.

Forderungen, die kaum erfüllbar sind

Mit dem möglichen Nato-Beitritt von Schweden und Finnland hat die türkische Führung nun einen Trumpf ausgemacht, den man so teuer wie möglich verkaufen möchte. Schließlich müssen alle Mitglieder des transatlantischen Bündnisses einer Erweiterung zustimmen, Erdoğan allein kann diesen Prozess also blockieren und wird das wahrscheinlich auch tun, wenn es keine Zugeständnisse für die Türkei gibt.

Was fordert Erdoğan eigentlich?

  • Die türkische Regierung fordert von den Nato-Partnern allgemein, dass sie gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die syrische Kurdenmiliz YPG in Europa vorgehen. Erdoğan wirft seinen Verbündeten vor, dass sie Unterstützer der kurdischen Arbeiterpartei in ihren Ländern dulden und damit die PKK legitimieren.
  • Zum Beispiel sieht Schweden einige PKK-nahe Gruppierungen nicht als Terrororganisationen, sondern als legitime Thinktanks. Hier fordert Erdoğan ein Umdenken.
  • Die Türkei möchte Abschiebungen: Die skandinavischen Länder sollen Unterstützer der prokurdischen Gruppierungen ausliefern.
  • Als Reaktion auf die militärische Intervention der Türkei in Syrien im Jahr 2018 sanktionierten viele westliche Staaten – auch Schweden – militärische Exporte in das Land. Erdoğan möchte ein Ende der Sanktionen für Rüstungsimporte aus Europa. Das dürfte für die Türkei nicht verhandelbar sein.
  • Nach Angaben von Diplomaten könnten auch Waffengeschäfte eine Rolle spielen. So will die Regierung in Ankara in den USA F-16-Kampfjets kaufen – in Washington war ein möglicher Deal zuletzt aber politisch umstritten.
  • Die türkische Führung hat außerdem eine erneute militärische Offensive in Syrien angekündigt. Auch das könnte ein Ablenkungsmanöver vor der Wahl sein, doch Erdoğan wird erwarten, dass die Nato-Partner die Füße stillhalten.

Bislang zeigt die türkische Seite in diesen Fragen keine Kompromissbereitschaft. In der Vergangenheit hat das Land nie Beweise gegen Einzelpersonen vorgelegt, die strafrechtlich die Auslieferungen gerechtfertigt hätten. Das soll sich nun offenbar ändern. "Morgen werden wir zum Nato-Gipfel in Spanien gehen und alles Notwendige im Einklang mit den Rechten und Interessen unseres Landes tun", sagte Erdoğan nach Regierungsangaben am Montag. Den Gesprächspartnern werde man die "Scheinheiligkeit" gegenüber "Terrororganisationen" mit "Dokumenten, Informationen und Bildern" erklären.

Türkei könnte Nato-Geschlossenheit sprengen

Doch ob das passiert, ist unklar. Wenn es wirklich diese Bilder und Dokumente gibt, warum hat sie die Türkei gegenüber anderen EU-Staaten wie Deutschland nicht schon früher vorgelegt? Zwar werden die Sanktionen gegen die Türkei für eine Einigung fallen müssen, aber wenn Erdoğan im Ringen um seine Macht auf eine Eskalation setzt, wird es auch in Madrid zu keiner Einigung kommen. Denn Schweden und Finnland werden in ihren Ländern keine Kompromisse bei den Menschenrechten machen – das weiß auch der türkische Präsident.

Es geht bei der drohenden Eskalation beim Nato-Gipfel also eher um innenpolitische Probleme der türkischen Führung. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist bereits im Krisenmodus und trifft Schwedens Regierungschefin Magdalena Andersson, den finnischen Präsidenten Sauli Niinistö sowie Erdoğan am Rande des Gipfels am Dienstag. Auf Stoltenberg wartet eine Mammutaufgabe.

Letztlich könnte Ankara die oft beschworene Geschlossenheit der Nato im Ukraine-Konflikt in Madrid sprengen. Die Gefahr ist nicht neu, denn während der Rest des Militärbündnisses in dem Konflikt mit Putin eher zusammenrückt, sieht sich die Türkei eher als Vermittler, mit guten Beziehungen zu Russland und zur Ukraine. Denn auch das Land am Bosporus hat sich energiepolitisch in Abhängigkeit zum Kreml begeben und wird die harte Konfliktlinie der anderen Nato-Partner nicht teilen. Bislang stellt sich Erdoğan gegen Sanktionen gegen Russland.

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Schwierige Frage für die Nato

Dementsprechend geht es zwar beim Gipfel in der spanischen Hauptstadt natürlich um den Ukraine-Krieg. Die ukrainische Armee ist arg in Bedrängnis und das transatlantische Bündnis wird über weitere Unterstützungsmöglichkeiten diskutieren. Vor allem eine Frage ist zentral: Wie weit reicht die Unterstützung für die Ukraine, wenn ihr in dem Krieg eine Niederlage droht?

Außerdem wird die Nato ihre Ostflanke weiter verstärken und viele Mitgliedsstaaten werden künftig die Rüstungsausgaben erhöhen, um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Wenn Russland nun atomar bestückbare Mittelstreckenraketen in Belarus stationiert, wird das Militärbündnis mit eigenen Maßnahmen darauf reagieren. Bei all diesen schwierigen Fragen ist und bleibt das Minimalziel des Gipfels in Madrid aber, ein Bild der Geschlossenheit in Richtung Moskau zu schicken. Schließlich muss Putin glaubhaft gemacht werden, dass der Westen bei der Unterstützung der Ukraine Durchhaltevermögen besitzt.

Mit Blick auf den aktuellen Systemkonflikt mit Russland und China wäre ein Scheitern des Westens in dieser Sache katastrophal. Um das zu verhindern, wird sich die Nato eine Frage stellen müssen, die man in dem Bündnis lange vor sich hergeschoben hat: Wie lässt sich die Türkei – trotz der großen politischen Unterschiede – konstruktiv in das Bündnis einbinden, ohne dass es immer wieder zu derartigen Konflikten kommt?

Lange hat die Nato dieses Problem ignoriert und sich darauf ausgeruht, dass man den Streit mit Erdoğan tolerieren muss, weil sein Land geostrategisch unheimlich wichtig ist. Durch die aktuellen Herausforderungen wird der innere Frieden im transatlantischen Bündnis aber immer wichtiger. Der Nato-Gipfel in Madrid wird zeigen, ob der türkische Präsident ein Interesse an dieser Einigkeit hat oder nicht.

Verwendete Quellen
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