Russischer Soldat berichtet "Dann ging ich zum Kommandanten und quittierte den Dienst"
Um die Moral der russischen Soldaten in der Ukraine soll es schlecht stehen, viele weigern sich offenbar, in den Kampf zu ziehen. Jetzt berichtet ein junger Zeitsoldat, wie er sich dem Wahnsinn des Krieges entzog.
"Wir waren schmutzig und müde, um uns herum starben die Menschen. Ich wollte nicht Teil davon sein, aber ich war es." Es ist ein seltener Einblick in die Welt der russischen Armee, die ein Veteran des Ukraine-Krieges dem US-Sender CNN gewährt. Namentlich genannt werden will der junge Zeitsoldat nicht – aus Furcht vor der Rache des Kreml.
Glaubt man den Schilderungen des Mannes, kam der Marschbefehl in die Ukraine für die russischen Soldaten genauso überraschend wie für den Rest der Welt. Er sei Teil des Truppenaufmarsches im Westen Russlands gewesen, hätte sich aber keine Gedanken darüber gemacht – auch nicht, als er und seine Einheit ihre Handys abgeben und ihre Fahrzeuge mit einem "Z" bemalen mussten. "Am nächsten Tag wurden wir auf die Halbinsel Krim gebracht. Ehrlich gesagt hätte ich nie gedacht, dass wir in die Ukraine gehen würden".
"Ich saß im Truppentransporter und hielt mein Gewehr fest"
Einige seiner Kameraden hätten sich gleich verweigert, einen Bericht geschrieben und seien gegangen. "Ich weiß nicht, was ihnen geworden ist. Ich blieb, warum, weiß ich auch nicht. Am nächsten Tag ging es los", zitiert CNN den Mann. In einem Truppentransporter ging es nach Nordwesten in Richtung Cherson. Die Stadt am Schwarzen Meer mit fast 300.000 Einwohnern fiel in den ersten Tagen des Überfalls an Russland. "Ich saß in dem Truppentransporter und hielt mein Gewehr fest an mich gedrückt. Eine Pistole und zwei Granaten hatte ich auch dabei."
In einem Dorf vor Cherson sei dann ein Ukrainer mit einer Peitsche vorgetreten und hätte begonnen, den russischen Konvoi auszupeitschen. "Ihr seid alle verdammt", soll der Mann den Soldaten zugerufen haben. "Er kam dann fast zu uns in die Kabine gestiegen, seine Augen voller Tränen", berichtet der russische Veteran. "Das hat mich ziemlich beeindruckt." Normalerweise würden die Russen sehr angespannt auf Einheimische reagieren: "Manche von ihnen versteckten Waffen unter der Kleidung und feuerten auf uns, wenn sie nah genug waren".
"Alles was zählt, ist einen weiteren Tag zu überleben"
Doch schon bald feuerten die Ukrainer nicht mehr nur mit Handfeuerwaffen auf die Russen, sondern auch Bomben und Granaten. "Die erste Woche war ich wie in Schockstarre. Ich ging schlafen mit dem Gedanken: Heute ist der 1. März, wenn ich aufwache, ist der 2. März. Alles was zählt, ist einen weiteren Tag zu überleben." Es sei ein Wunder, dass seine Einheit überhaupt so lange unbeschadet blieb: "Die Granaten schlugen mehrere Male ziemlich nah bei uns ein."
Nach mehreren Wochen wurde der Mann nach eigenen Angaben von der Front abgezogen und zum Schutz der Nachschublinien eingesetzt. Dann habe er zum ersten Mal Zeit und Kraft gehabt, über sein Handeln nachzudenken. "Wir hatten ein Radio und erfuhren so, dass in Russland die Geschäfte schlossen und die Wirtschaft zusammenbrach. Ich fühlte mich schuldig, aber noch schuldiger fühlte ich mich, weil wir in die Ukraine gekommen waren." Aus Scham habe er vor den Einheimischen sein Gesicht verborgen.
Russlands Armee kämpft mit schwacher Moral
Sein innerer Widerstand gegen den Krieg wurde größer: "Am Ende nahm ich meine ganze Kraft zusammen, ging zum Kommandeur und quittierte den Dienst", berichtet der Soldat. Erst weigerte sich der Offizier, die Kündigung zu akzeptieren. "Er sagte mir, das sei Verrat und dass es einen Strafprozess geben werden. Doch ich blieb standhaft und er gab mir Stift und Zettel." Noch an Ort und Stelle habe er seine Kündigung geschrieben und eingereicht. "Was als nächstes passiert, weiß ich nicht. Aber ich froh, wieder zu Hause zu sein."
Es ist nicht der erste Bericht, der darauf hindeutet, wie schlecht es um die Moral der russischen Invasionstruppen in der Ukraine steht. Nach Angaben des ukrainischen Militärgeheimdienstes würden in manchen russischen Einheiten 60 bis 70 Prozent der Soldaten den Kampf verweigern. Bestätigen lässt sich diese Zahl nicht, doch aus Russland kommen Berichte über die schwindende Moral der Truppe.
Nach Angaben der "Soldatenmütter Russlands" gibt es zurzeit viele Prozesse gegen Soldaten, die sich weigern, in der Ukraine zu kämpfen. Eine genaue Zahl will die Organisation nicht nennen. Der Menschenrechtsanwalt Aleksei Tabalow spricht CNN gegenüber von mehr als 1.000 Fällen von russischen Soldaten, die sich unerlaubt von der Truppe entfernt haben sollen – ein Vergehen, das mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden kann. "Von einem Massenphänomen wurde ich noch nicht sprechen", so Tabalow. "Aber es ist auf jeden Fall ein Phänomen".