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Nato-Beitritt von Finnland und Schweden: Hat Putin eine Norderweiterung ausgelöst?


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Finnland in die Nato?
"Der Druck ist gerade zu groß"

  • David Schafbuch
Von David Schafbuch

Aktualisiert am 12.05.2022Lesedauer: 5 Min.
Schwedischer Soldat auf Gotland: Das Land könnte demnächst in die Nato eintreten. (Archivfoto)Vergrößern des Bildes
Schwedischer Soldat auf Gotland: Das Land könnte demnächst in die Nato eintreten. (Archivfoto) (Quelle: Björn Lindahl/imago-images-bilder)
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Der Beitritt der Ukraine zur Nato war dem Kreml immer ein Dorn im Auge. Nun könnte Wladimir Putin mit seinem Krieg indirekt eine Nato-Norderweiterung ausgelöst haben. Das hätte für das Bündnis Vorteile.

Deutlicher hätte es Sauli Niinistö nicht formulieren können: "Finnland muss unverzüglich die Nato-Mitgliedschaft beantragen", heißt es in einer Mitteilung des finnischen Präsidenten am Donnerstagmorgen. Wie klar die Position der Staatsspitze des Landes ist, wurde auch dadurch deutlich, dass es eine gemeinsame Erklärung mit Ministerpräsidentin Sanna Marin war. Ursprünglich war erwartet worden, dass sich beide getrennt voneinander zu einer möglichen Mitgliedschaft in dem Verteidigungsbündnis aussprechen würden.

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Jahrzehntelang hatte sich Finnland neutral verhalten. Die Gründe für den Kurswechsel hatte Marin allerdings vor einigen Tagen bei ihrem Besuch in Deutschland klar formuliert: "In einer Zeit, in der Russland ohne jede Berechtigung anderen seine Entscheidungen diktieren will, ist die Politik der offenen Tür der Nato wichtiger als je zuvor."

Gut möglich, dass neben Finnland bald auch Schweden durch diese Tür gehen wird: Auch in dem Nachbarland könnte schon bald eine Entscheidung fallen. Doch wie werden die Länder nun vorgehen und was können sie zu dem Bündnis beitragen? Ein Überblick:

Wie könnten die nächsten Schritte der Länder aussehen?

Seit Putin die Ukraine überfallen hat, steigt die Zustimmung in beiden Ländern für einen Nato-Beitritt immer weiter an. In Finnland sind laut einer Umfrage des Rundfunksenders Yle vom Montag 76 Prozent dafür, Ende April lag sie in Schweden laut der Zeitung "Aftonbladet" bei 57 Prozent.

In Helsinki hatte vor der Erklärung von Niinistö und Marin bereits der Verteidigungsausschuss den Beitritt empfohlen. In Schweden könnten nun ähnliche Schritte eingeleitet werden: Am Sonntag sollen die dort regierenden Sozialdemokraten ihre Haltung zu einer Nato-Mitgliedschaft verkünden. Anfang kommender Woche könnten dann beide Länder gemeinsam offiziell ihr Interesse an einem Beitritt verkünden. Passen würde dazu ein Termin am kommenden Dienstag: Dann trifft Präsident Niinistö die schwedische Königsfamilie.

"Für Finnland ist ein Beitritt sicher. Schweden würde sich alleine vielleicht etwas mehr Zeit nehmen, aber der Druck ist gerade zu groß," sagt Minna Ålander von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit t-online. Da Schweden ohnehin über das kleinere Militär verfüge und bereits jetzt dort eng mit Finnland kooperiere, sei ein Alleingang von einem der Länder unwahrscheinlich. Zudem herrsche zwischen allen nordischen Ländern eine starke Verbundenheit, und so würden sie es kaum zulassen, dass Schweden als einziges Land Skandinaviens kein Nato-Mitglied bleibt.

Wie war die Haltung von Finnland und Schweden bisher gegenüber der Nato?

Beide Länder hatten sich lange Zeit der Neutralität verpflichtet, in Schweden geht diese Tradition auf mehr als 200 Jahre zurück. Damals war das Land im Krieg mit Russland und musste daraufhin das noch nicht unabhängige Finnland abgeben. Seinen letzten Krieg führte das Land dann 1814 mit Norwegen. Seitdem verfolgte das Land eine neutrale Politik.

Die finnische Neutralität entstand nach dem Zweiten Weltkrieg. Zuvor hatte das Land noch mit der Sowjetunion gekämpft und musste später Gebiete abtreten. Daraufhin kam Finnland gewissermaßen zwangsweise zu seiner Neutralität: Mit der Sowjetunion wurde 1948 ein Freundschaftsabkommen geschlossen, das Finnland verpflichtete, dem großen Nachbarn im Falle eines deutschen Angriffs beizustehen. Gleichzeitig baute man wieder Beziehungen zum Westen auf. Diese Phase prägte den Begriff der "Finnlandisierung".

Nach dem Zerfall der Sowjetunion suchten beide Länder die Nähe zur Nato, traten ihr aber nicht bei. Seit 1994 nehmen sie unter anderem an dem "Partnership for Peace"-Programm des Bündnisses teil, das grundsätzlich Kooperationen ermöglicht. Zuletzt etwa waren finnische und schwedische Truppen Teil der Nato-Übung "Cold Response", die in Norwegen stattfand. 1995 traten Finnland und Schweden zusätzlich der Europäischen Union bei. Dadurch sind beide Staaten auch ohne Nato-Beitritt in westliche Strukturen so eingegliedert, dass sie nicht mehr als neutral, sondern als "bündnisfrei" eingestuft werden.

Wie sind beide Länder militärisch ausgestattet?

In jedem Fall so, dass sie der Nato strategische Vorteile brächten. Vor allem Finnland – flächenmäßig ähnlich groß wie Deutschland, aber mit nur 5,5 Millionen Einwohnern – verfügt über ausgesprochen hochgerüstete Streitkräfte: Dort gilt immer noch die Wehrpflicht. In einer Kriegssituation wären in dem Land 280.000 Soldaten einsatzbereit. Dazu kommen weitere 900.000 Reservisten. Zum Vergleich: Die Bundeswehr verfügt derzeit über rund 180.000 Soldaten. Gemäß offiziellen Zahlen kommt Deutschland ebenfalls auf 900.000 Reservisten, davon sollen mittelfristig laut Reservistenverband aber gerade einmal 40.000 einsatzfähig sein.

Hinzu kommen hohe Militärausgaben: Finnland hatte zuletzt etwa den Kauf von 64 F-35 Kampfjets verkündet. Den hat Deutschland ebenfalls bestellt, allerdings will die Bundeswehr nur 35 Exemplare.

Die schwedische Armee verfügt über deutlich weniger Personal: Derzeit sollen nur 16.000 Soldaten einsatzbereit sein. Minna Ålander sieht dagegen andere Stärken: Das Militär habe etwa gute Kenntnisse im Bereich Cybersicherheit. Zudem hat das Land seinen Wehretat in den vergangenen Jahren stetig erhöht. "Es gibt Länder, die in die Nato wollen, aber dem Bündnis eher zur Last fallen würden. Finnland und Schweden gehören nicht dazu", ist sich Ålander sicher.

Zudem verfügen beide Länder durch ihre langen Küstenregionen über eine starke Marine: Mit Finnland und Schweden wären auch abgesehen von Russland alle Staaten mit Zugang zur Ostsee in das Verteidigungsbündnis integriert.

Wie würde die Nato auf die Mitgliedsanträge reagieren?

Sehr wohlwollend. Das hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bereits Ende April angekündigt. Man werde beide Länder nicht nur herzlich willkommen heißen, sondern vermutlich auch schnell zu Mitgliedern machen können.

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Das ist bemerkenswert, denn grundsätzlich kann der Aufnahmeprozess langwierig sein. Das zeigte sich in der Vergangenheit nicht zuletzt an den stockenden Verfahren im Fall von Georgien oder auch der Ukraine. Das Verfahren läuft dabei in mehreren Stufen und setzt voraus, dass alle Nato-Staaten einem Beitritt zustimmen. In Deutschland entscheidet etwa der Bundestag über die Anträge für das Verteidigungsbündnis. Mehr zu den konkreten Etappen lesen Sie hier.

Schweden und Finnland kommt allerdings zugute, dass sie schon weitreichende Verbindungen in die Strukturen des Bündnisses besitzen. Dementsprechend gilt es als wahrscheinlich, dass beide Länder im Eiltempo das Verfahren durchlaufen. Wie schnell das gehen könnte, machte zuletzt ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter der Nato deutlich: Die Beitrittsverhandlungen würden vermutlich einen Tag dauern, bis zur Unterzeichnung der Protokolle könnten lediglich zwei Wochen vergehen. Dann fehle nur noch die Zustimmung aus den 30 Nato-Ländern. Zum Vergleich: Bosnien-Herzegowina, das ebenfalls die Mitgliedschaft anstrebt, bemüht sich seit mehr als zehn Jahren darum.

Wie würde Russland darauf reagieren?

Grundsätzlich wird die Nato aus Sicht des Kremls als Bedrohung wahrgenommen. Wladimir Putin argumentierte immer wieder vor Beginn des Ukraine-Krieges mit einem möglichen Beitritt der Ukraine, der als Provokation wahrgenommen werde. Nun könne mit Finnland ein hochgerüsteter Nachbarstaat Mitglied werden, der eine 1.340 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt.

Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew warnte etwa im April, dass Russland dann seine militärische Präsenz in der Ostsee verstärken würde. Auch die Sprecherin des russischen Außenministers, Maria Sacharowa, drohte im Falle eines Beitritts mit "schwerwiegenden militärischen Konsequenzen".

Das Risiko für eine militärische Eskalation schätzt Minna Ålander dagegen eher als gering ein. Russland habe aktuell überhaupt nicht die Möglichkeit, militärisch im Norden eine größere Präsenz aufzufahren. Zudem sei schon jetzt die deutliche Westbindung beider Länder erkennbar: "Für Putin ist schon längst klar, dass beide Länder zum Westen gehören." Möglich sei es stattdessen, dass es vermehrt zu Cyberattacken kommen könnte. Darauf sei Finnland aber schon länger vorbereitet. "Ein Nato-Beitritt wird keine rote Linie sein."

Sollte Russland allerdings doch einen Militärschlag planen, wäre vor allem die Übergangsphase bis zum offiziellen Beitritt kritisch. Laut Ålander haben die Regierungen beider Länder aber bereits von vielen Nato-Staaten die Zusage, dass der Prozess nicht in die Länge gezogen werden soll. Auch Militärhilfen wurden bereits zugesichert: Am Dienstag erklärte etwa der britische Premier Boris Johnson, Großbritannien würde beide Länder bei einem Angriff militärisch unterstützen. Mit dem finnischen Präsidenten unterzeichnete Johnson noch am Mittwoch eine gegenseitige militärische Beistandserklärung.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Interview mit Minna Ålander am 11.5.2022
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