Brite in Mariupol Er kämpfte für die Ukraine, nun bangen seine Freunde um ihn
Haben sich mehr als 1.000 Soldaten in Mariupol ergeben? Das behauptet Russland, die Ukraine dementiert. Nun ist ein Brite aus der ukrainischen Brigade als Gefangener im russischen Staatsfernsehen aufgetaucht.
Ein Brite ist in Mariupol offenbar von russischen Truppen gefangen genommen worden. Aiden Aslin habe in der Hafenstadt für die ukrainische Armee gekämpft, berichten die britischen Zeitungen "Guardian" und "The Telegraph". Aslins Freunde werfen russischen Soldaten vor, den Briten in Gefangeschaft misshandelt zu haben. Der 28-Jährige hat sich den Berichten zufolge bereits 2018 der ukrainischen Armee angeschlossen und kämpfte für die 36. Brigade der Marineinfanterie in der eingekesselten Stadt.
Über die Situation in der belagerten Stadt Mariupol herrscht derzeit viel Unklarheit. Russland und die prorussischen Separatisten vermelden immer wieder Erfolge, die ukrainische Seite bezeichnet sie als Falschnachrichten. Bereits in den vergangenen Tagen gab es Berichte, nach denen sich zumindest ein Teil der 36. Brigade ergeben wollte.
Aslin im russischen Staatsfernsehen
Auch Aslin hatte über einen Twitteraccount, den ein Freund von ihm betreibt, am vergangenen Dienstag die Nachricht verbreitet, dass sich seine Brigade ergeben müsse. "Seit 48 Tagen versuchen wir unser Bestes, um Mariupol zu verteidigen, aber wir haben keine Wahl als uns den russischen Truppen zu ergeben. Wir haben kein Essen und keine Munition."
Bilder von Aslin tauchten Donnerstagnacht im russischen Staatsfernsehen auf: Er trägt darauf Handschellen, hat eine große rote Wunde auf der Stirn und ein Auge ist angeschwollen. Unklar ist, woher die Verletzungen stammen. Britische Medien und Aslins Freunde vermuten, er sei in Gefangenschaft geschlagen worden.
Zweifel an der Echtheit der Bilder im russischen Staatsfernsehen gibt es kaum. Aslins Mutter sagte dem "Telegraph", sie habe gehofft, dass es sich um eine Fotomontage handele. Als sie aber die Bilder gesehen habe, war sie sich sicher, dass es sich tatsächlich um ihren Sohn handle. Sie erkenne ihn deutlich an seinen Tattoos.
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Bürgermeister spricht von Falschnachrichten
Russland hatte am Mittwoch gemeldet, dass mehr als 1.000 ukrainische Soldaten der Marineinfanterie ihre Waffen niedergelegt und sich in Gefangenschaft begeben haben. Demnach ergaben sich die Kämpferinnen und Kämpfer bei Gefechten um einen großen metallverarbeitenden Betrieb, Azovstal, in der ukrainischen Stadt der russischen Armee sowie den moskautreuen Separatisten aus dem Gebiet Donezk, zu dem Mariupol gehört. Zuvor hatten bereits die Separatisten die Gefangennahme gemeldet.
Die ukrainische Seite bestätigt diese Informationen nicht, tut sie als Falschnachrichten ab. Dem ukrainischen Präsidentenberater Olexij Arestowytsch zufolge gelang einem Teil der in dem metallverarbeitenden Werk eingeschlossenen Marineinfanteristen die Flucht. Sie hätten sich dem Asow-Regiment in Mariupol angeschlossen. Die Kräfte seien vereint, sagte er. Die Ukraine wolle gegen den Fall von Mariupol weiter ankämpfen. "Die Armee weiß, was sie tut."
Kämpfe auf Werksgelände gehen weiter
Die Kämpfe auf dem Werksgelände von Azovstal gingen auch am Freitag weiter. Laut der Nachrichtenagentur Reuters waren Explosionen zu hören und Rauch war auf dem Gelände zu sehen. Wie lange die ukrainischen Truppen allerdings noch durchhalten, ist fraglich. Sie sind seit sieben Wochen von den russischen Truppen eingeschlossen und zahlenmäßig weit unterlegen.
Allerdings fällt es den russischen Truppen schwer, Azovstal zu erobern. "Die Azovstal-Fabrik ist ein riesiges Gelände mit so vielen Gebäuden, dass die Russen (die ukrainischen Streitkräfte) einfach nicht finden können", sagte Oleh Zhdanov, ein Militäranalyst mit Sitz in Kiew, der Nachrichtenagentur Reuters. "Deshalb haben sie (die Russen) angefangen, über einen chemischen Angriff zu sprechen, denn das ist die einzige Möglichkeit, sie auszuräuchern".
Familie hofft auf Gefangenenaustausch
Der Bürgermeister der schwer umkämpften Stadt zeigt sich noch immer siegessicher: "Mariupol war, ist und bleibt eine ukrainische Stadt", sagte Wadym Bojtschenko am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin". Mit Blick auf russische Berichte über die Eroberung des Hafens sowie über die angebliche Kapitulation von mehr als 1.000 ukrainischen Kämpfern sprach auch Bojtschenko von "Falschnachrichten". Der Politiker ist selbst nicht in der Stadt, soll aber noch in der Ukraine sein.
Die Familie des britischen Soldaten Aslins hofft nun auf einen Gefangenenaustausch. Seine Mutter sagte der Zeitung "The Telegraph": "Ich verpflichte Wladimir Putin jetzt zur Einhaltung der Genfer Konvention. Aiden ist ein Angehöriger der ukrainischen Streitkräfte und als solcher ein Kriegsgefangener, der mit Menschlichkeit behandelt werden muss."
- Reuters: 'Fortress in a city': Ukrainians cling on at steel plant in Mariupol
- The Telegraph: Russian state TV parades captured Briton Aiden Aslin
- The Guardian: British man captured in Ukraine reportedly pictured beaten and handcuffed (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- Twitteraccount von Cossackgundi