Nach Massaker in Butscha Diese Konsequenzen drohen Russland jetzt
Die Gräueltaten in der ukrainischen Kleinstadt Butscha bei Kiew haben weltweit für Entsetzen und Empörung gesorgt. Nach den Worten sollen Taten folgen, fordert die Ukraine. Was aber passiert tatsächlich?
Als erste Reaktion erklärte Außenministerin Annalena Baerbock 40 Mitarbeiter der russischen Botschaft zu "unerwünschten Personen" und wies sie damit faktisch aus. "Die Bilder aus Butscha zeugen von einer unglaublichen Brutalität der russischen Führung", hieß es in ihrer Begründung. "Ähnliche Bilder müssen wir noch aus vielen anderen Orten befürchten, die russische Truppen in der Ukraine besetzt haben."
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Bei dieser Maßnahme wird es aber nicht bleiben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat bereits weitere Waffenlieferungen angekündigt – und eine Verschärfung der Sanktionen.
Kommt jetzt der Energie-Lieferstopp für Russland?
Das sieht nicht so aus. Zwar werden die Forderungen nach einem Importstopp bei jeder neuen Eskalation des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine lauter, die Bundesregierung fürchtet jedoch massive wirtschaftliche Schäden und Arbeitsplatzverluste bei einem plötzlichen Stopp. Vor allem dann, wenn dieser auch Gaslieferungen umfassen sollte. Gerade erst haben SPD-Chef Lars Klingbeil und Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) entsprechenden Forderungen erneut eine Absage erteilt.
Auch Außenministerin Baerbock warnt vor überzogenen Erwartungen an ein sofortiges komplettes Energieembargo gegen Russland. "Wenn man morgen komplett ein Embargo hätte, wenn das diesen Krieg stoppen würde, dann würden wir das unverzüglich tun", sagte die Grünen-Politikerin in den ARD-"Tagesthemen". Ein solcher Ausstieg würde den Preis für diesen Krieg immer weiter nach oben treiben. "Er würde aber nicht dazu führen, dass morgen dieses Morden zu Ende ist."
Man werde einen Komplettausstieg aus fossiler Energie aus Russland nicht nur vorbereiten, sondern "massiv in die Wege leiten", versicherte sie. Darüber werde man in den nächsten Tagen in Brüssel sprechen.
Mit Blick auf die Gräueltaten an ukrainischen Zivilisten in Butscha sagte Baerbock, dies mache auf furchtbare Art und Weise deutlich, "mit welcher Brutalität und Unmenschlichkeit der russische Präsident diesen Krieg führt". Das unterstreiche, dass dieser Krieg unverzüglich aufhören müsse. Dass die russische Seite von einer Inszenierung spreche, zeige, in wie vielen Dimensionen er geführt werde. "Das ist auch ein Krieg der Bilder, der Narrative, der falschen Erzählungen, der Lügen." Er werde nicht nur im russischen Fernsehen, sondern weltweit geführt.
Wie stehen andere EU-Staaten dazu?
Auf EU-Ebene sind neben Deutschland auch Staaten wie Ungarn, die Slowakei und Österreich strikt gegen eine Ausweitung der Russland-Sanktionen auf den Energiebereich. Grundsätzlich heißt es von ihnen, Sanktionen seien kontraproduktiv, wenn sie beim Initiator größeren Schaden anrichteten als beim anvisierten Ziel. Noch am ehesten denkbar ist, dass sich die EU-Staaten darauf einigen, keine Kohle mehr aus Russland zu importieren. Deutschland will ohnehin ab Ende des Sommers kein "schwarzes Gold" mehr aus dem Land kaufen. Gegen sofortige Energiesanktionen spricht nach Ansicht von Kritikern zudem, dass die EU dann kaum noch Sanktionsoptionen hätte, wenn Russland in der Ukraine Massenvernichtungswaffen wie chemische Kampfstoffe einsetzen sollte.
Welche Stellschrauben gibt es sonst noch bei den Sanktionen?
Als sehr wahrscheinlich gilt, dass weitere russische Geschäftsleute mit Verbindungen zu Putin auf die EU-Sanktionsliste kommen. Dies würde es ermöglichen, ihre in der EU vorhandenen Vermögenswerte einzufrieren. Außerdem könnte es neue Sanktionen im Finanzsektor sowie zusätzliche Handelsbeschränkungen geben. Schon jetzt ist die Liste der Strafmaßnahmen lang. So wurde etwa der Zugang von bestimmten russischen Unternehmen und Banken zu den europäischen Märkten komplett unterbunden und der EU-Luftraum für Flugzeuge gesperrt.
Wie sieht es mit weiteren deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine aus?
Die Bundesregierung hat einiges an Waffen bereits geliefert: Panzerfäuste, Luftabwehrraketen, Maschinengewehre und mehrere Millionen Schuss Munition. Die Bereitschaft zur militärischen Aufrüstung der ukrainischen Armee hatte bisher allerdings auch Grenzen: Die Lieferung von schweren Waffen wie Panzern, Kampfflugzeugen oder Kriegsschiffen kam nicht infrage. Jetzt könnten die selbst auferlegten Beschränkungen fallen. "Die Lieferung von militärischem Gerät und Waffen sollte meiner Auffassung nach uneingeschränkt und in großem Umfang fortgesetzt werden", sagt der für Rüstungsexporte zuständige Habeck.
Liefert Deutschland nun auch Panzer in die Ukraine?
Das Rüstungsunternehmen Rheinmetall hat gebrauchte Schützenpanzer Marder auf dem Hof, die für Kriegstauglichkeit erst überholt werden müssen. Der Vorschlag: Die Bundeswehr – allerdings ohnehin von Mangelwirtschaft geplagt – könne eigene Panzer in die Ukraine abgeben und dann binnen eines Jahres die anderen bekommen. 100 dieser Panzer will die Ukraine laut "Welt". Aus dem Verteidigungsministerium wurde abgewunken, denn die Panzer sind für Nato-Verpflichtungen verplant und damit Teil der Landes- und Bündnisverteidigung. Bleibt also, die Rheinmetall-Panzer abzugeben. Wegen der erforderlichen Überholung könnte es dann aber Monate dauern, bis sie im Kriegsgebiet ankommen.
Gibt es noch andere Panzer?
Möglich wäre zudem die Lieferung von 50 Flugabwehrkanonenpanzern Gepard, die aus früheren Bundeswehrbeständen beim Panzerbauer KMW stehen. Der Gepard hat auf einem Leopard-1-Fahrgestell einen Turm mit zwei 35mm-Maschinenkanonen montiert und kann auch gepanzerte Ziele am Boden bekämpfen. Die Ausbildung dafür ist weniger kompliziert als der Kampf gegen Luftziele im Verbund mit anderen Waffensystemen.
Was kommt gar nicht infrage?
Das direkte Eingreifen in den Krieg. Mit seinen Bündnispartnern ist sich Deutschland weiter einig, dass kein Nato-Soldat die Ukraine betreten soll, weil dann eine Konfrontation mit Russland und damit ein Dritter Weltkrieg drohen könnte.
Sieht die Bundesregierung die Gräueltaten von Butscha als Kriegsverbrechen?
Scholz sprach am Sonntag schon in einer ersten Stellungnahme von einem "Verbrechen des russischen Militärs". Später fügte er hinzu: "Die Ermordung von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen." Zudem forderte er eine Bestrafung der Verantwortlichen: "Die Täter und ihre Auftraggeber müssen zur Rechenschaft gezogen werden." Den russischen Präsidenten Wladimir Putin erwähnte der Kanzler in diesem Zusammenhang nicht. Das erledigte Außenministerin Annalena Baerbock: "Putins hemmungslose Gewalt löscht unschuldige Familien aus und kennt keine Grenzen", sagte die Grünen-Politikerin.
Wie können die Täter bestraft werden?
Dafür ist der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zuständig. Er verfolgt individuelle Verdächtige wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermords und hat für das Gebiet der Ukraine ein Mandat. Chefankläger Karim Khan leitete bereits Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine ein und schickte ein Team ins Kriegsgebiet. Unklar ist, ob die Ermittler auch schon nach Butscha reisten. Die Ankläger müssen zunächst nachweisen, dass solche Verbrechen begangen wurden. Das heißt zum Beispiel, dass die Opfer von Butscha tatsächlich wehrlose Bürger waren. Darauf deuten die Fotos hin und das bestätigen Augenzeugen.
Kann auch Putin angeklagt werden?
Waren tatsächlich russische Soldaten die Täter, dann unterliegen sie der offiziellen Kommandostruktur. In dem Fall können auch ihre Kommandanten angeklagt werden. Zu klären wäre dann aber, ob die militärisch und politisch Verantwortlichen wie Putin von den Kriegsverbrechen der Soldaten wussten. Auch Staats- und Regierungschefs können sich nicht auf ihre Immunität berufen. Doch es ist schwierig, deren Verantwortung nachzuweisen. Erst wenn der Verdacht ausreichend begründet und mit Beweisen belegt ist, könnte ein internationaler Haftbefehl beantragt werden. Es scheint aber ausgeschlossen, dass Russland den Präsidenten an Den Haag ausliefern würde. Voraussetzung dafür wäre wohl ein Regimewechsel in Moskau.
- Nachrichtenagentur dpa