Russische Invasion Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
Kiew (dpa) - Die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland über ein Ende der Kämpfe sind nach Angaben aus Kiew unterbrochen worden und sollen am Dienstag fortgesetzt werden.
Es handle sich um eine technische Pause für zusätzliche Gespräche in Arbeitsgruppen und eine "Klärung individueller Definitionen", twitterte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak. "Die Verhandlungen dauern an."
Beide Seiten hatten sich erstmals in größerer Runde per Videoschalte getroffen. Zuvor hatten sich die Delegationen drei Mal persönlich in Belarus getroffen. Einen Durchbruch gab es bisher nicht, allerdings hatten sich beide Seite am Wochenende zurückhaltend optimistisch geäußert.
Die Ukraine fordert ein Ende des Kriegs und den Abzug russischer Truppen. Moskau verlangt, dass Kiew die Krim als russisches Territorium und die ostukrainischen Separatistengebiete als unabhängige Staaten anerkennt.
Ukraine meldet neun Tote bei Angriff auf Fernsehturm
Bei einem Angriff auf einen Fernsehturm unweit der Großstadt Riwne sind ukrainischen Angaben zufolge neun Menschen getötet worden. Durch den Raketeneinschlag seien im Ort Antopil im Nordwesten der Ukraine zudem neun weitere Menschen verletzt worden, teilte die regionale Militärverwaltung auf Facebook mit. Getroffen worden sei neben dem Fernsehturm auch ein nahe gelegenes Verwaltungsgebäude. Die Aussagen ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Angriff auf Hochhaus in Kiew
Im Norden der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist am Morgen bei einem Angriff auf ein Hochhaus ein Feuer ausgebrochen. Mindestens zwei Menschen seien getötet worden, berichtet das ukrainische Fernsehen.
Der staatliche Zivilschutz teilte zunächst mit, dass 63 Menschen evakuiert worden seien. Die Suche nach Opfern dauere an. Auf Fotos und Videos war zu sehen, wie Feuerwehrleute Bewohner mit Hilfe von Drehleitern retteten. Rauch stieg aus mehreren Etagen auf.
Das Feuer sei mittlerweile gelöscht. Das Hochhaus soll von einem Artilleriegeschoss getroffen worden sein. Das ließ sich nicht überprüfen.
Ukraine: Tote bei Angriff auf Trinkwasserstation
Nach einem Bombenangriff auf eine Pumpstation in der nordukrainischen Stadt Tschernihiw fiel nach Betreiberangaben die Trinkwasserversorgung aus. Vier Menschen seien auf dem Gelände der Anlage getötet worden, teilte der ukrainische Verband der Wasserversorgungs- und Kanalisationsunternehmen mit. Auf Fotos waren etwa Schäden an einem unterirdischen Wasserbecken zu sehen. Es werde alles unternommen, um die Stadt mit 300.000 Einwohnern wieder mit Wasser zu versorgen, hieß es.
Im Gebiet Tschernihiw wurde zudem ein Gebäude auf dem Gelände einer Gasspeicheranlage angegriffen, wie der Netzbetreiber Ukrtransgaz mitteilte. Eine Granate habe eine Methanol-Pumpstation beschädigt. Das Personal sei in Sicherheit gebracht worden. Es wurde den Angaben zufolge niemand verletzt.
UN dokumentieren Tod von 636 Zivilisten
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat seit dem Einmarsch russischer Truppen am 24. Februar den Tod von 636 Zivilpersonen in der Ukraine dokumentiert. Unter ihnen waren 46 Kinder und Jugendliche, wie das Büro in Genf mitteilte. Am Vortag waren es noch insgesamt 596 Tote. Dem Büro lagen zudem verifizierte Informationen über 1125 Verletzte vor. Am Vortag waren es 1067.
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, betont stets, dass die tatsächlichen Zahlen mit Sicherheit deutlich höher liegen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bräuchten oft Tage, um Opferzahlen zu überprüfen. Das Hochkommissariat gibt nur Todes- und Verletztenzahlen bekannt, die es selbst unabhängig überprüft hat.
Kiew erwartet Offensiven russischer Truppen
Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs bereiten russische Truppen im Land mehrere Offensiven vor. Dafür versuchten die Einheiten, sich an bisher von ihnen eingenommenen Punkten festzusetzen, Nachschub zu sichern und sich neu zu gruppieren, hieß es in einem in der Nacht zu Montag auf Facebook veröffentlichten Bericht. Sobald dies geschehen sei, erwarte man neue Angriffe etwa auf die Städte Charkiw im Osten, Sumy im Nordosten oder auch den Kiewer Vorort Browari.
Im Gebiet Luhansk im Osten des Landes konzentriere sich Russland vor allem auf den Vormarsch in Richtung Sjewjerodonetsk. Moskau hatte am Sonntag mitgeteilt, dass Kämpfer der prorussischen Separatisten den östlichen und südlichen Teil der Stadt mit 100.000 Einwohnern blockiert hätten. Die Angaben waren nicht unabhängig zu überprüfen.
Pentagon: Russisches Militär kommt nur langsam voran
Nach Einschätzung der US-Regierung macht das rusische Militär nur langsam Fortschritte beim Vorstoß auf die ukrainische Hauptstadt Kiew. Stellenweise seien die Soldaten weiter rund 15 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, sagte ein hoher US-Verteidigungsbeamter. Ein kilometerlanger, ins Stocken geratener russischer Militärkonvoi sei auch nicht wirklich vorangekommen.
Die nordukrainische Stadt Tschernihiw sei im Wesentlichen isoliert. Aber auch dort gibt es dem Pentagon zufolge kaum Fortschritte des russischen Militärs, weil der Widerstand der Ukrainer demnach sehr stark ist.
"Läuft nicht alles wie gewünscht"
Ein Gefolgsmann Putins, der Chef der russischen Nationalgarde Viktor Solotow, erläuterte: "Ich möchte sagen, dass, ja, nicht alles so schnell läuft, wie man sich das wünschen würde." Er sprach davon, dass sich "Nazisten" in der Region hinter friedlichen Bürgern, in Schulen, Kindergärten und Wohnhäusern verstecken würden.
Die Zahl der seit Kriegsbeginn zerstörten ukrainischen Militärobjekte liegt nach russischen Angaben inzwischen bei rund 4000 - darunter mehr als 1200 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge.
Russland: Einnahme ukrainischer Städte nicht ausgeschlossen
Russland schließt die Einnahme großer Städte in der Ukraine nicht aus. "Zu Beginn der Operation hat der russische Präsident das Verteidigungsministerium angewiesen, von einem sofortigen Angriff auf die großen Bevölkerungszentren, einschließlich Kiews, abzusehen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau der Agentur Interfax zufolge.
Das Verteidigungsministerium schließe nun aber "unter Wahrung der größtmöglichen Sicherheit für die Zivilbevölkerung die Möglichkeit nicht aus, die vollständige Kontrolle über große besiedelte Gebiete zu übernehmen, die jetzt praktisch umzingelt sind", sagte Peskow. Er begründete dies damit, dass "nationalistische Formationen" angeblich "militärisches Gerät" in Wohngebieten platziert hätten. Das führe zu Opfern unter Zivilisten.
Russische Truppen hatten aber bereits nach Kriegsbeginn Städte wie Charkiw ins Visier genommen. Nach Ansicht westlicher Militärbeobachter leistet die ukrainische Armee heftigeren Widerstand, als zunächst erwartet wurde.
Kiew: Großflächige Evakuierung aus Mariupol gescheitert
Geplante Evakuierungen von Zivilisten aus der belagerten Hafenstadt Mariupol sind ukrainischen Angaben zufolge auch am 19. Kriegstag weitgehend gescheitert. Zwar hätte eine Kolonne von Privatautos Mariupol am Montag in Richtung der mehr als 70 Kilometer westlich gelegenen Stadt Berdjansk verlassen können, sagte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk der Agentur Unian zufolge. "Aber unsere humanitäre Fracht ist weiter nicht in Mariupol angekommen, sie ist noch in Berdjansk." Die Situation in Mariupol sei katastrophal, betonte Wereschtschuk: "Die Menschen kämpfen um Essen und Wasser, dort spielt sich ein Alptraum ab."
Wereschtschuk widersprach ausdrücklich Angaben des russischen Verteidigungsministeriums, wonach eine Massenevakuierung von Zivilisten eingeleitet worden sei. Der russische Generalmajor Michail Misinzew hatte zudem gesagt, ein erster Hilfskonvoi habe erfolgreich 450 Tonnen Medikamente, Lebensmittel und Babynahrung geliefert.
Misinzew hatte zudem zuvor von militärischen Erfolgen im Kampf um Mariupol berichtet. Die russischen Streitkräfte hätten fast alle ukrainischen Gefechtsstellungen in den Vororten der Stadt am Asowschen Meer zerstört, sagte der Generalmajor. Er bestätigte erneut, dass die südukrainischen Großstädte Cherson und Melitopol vollständig unter russischer Kontrolle seien.
Ukrainischer Außenminister sieht internationale Erfolge
In der Auseinandersetzung mit Russland sieht der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba wichtige Erfolge seines Landes auf internationalem Gebiet. Die Ukraine gewinne den Informationskrieg, sagte Kuleba in einem Facebook-Video.
"Niemand in der Welt glaubt den russischen Narrativen." Russland hatte den Angriff unter anderem damit begründet, dass das Nachbarland von Nazis in der Führung befreit und entwaffnet werden müsse.
Die Einstellung zur Ukraine habe sich international geändert, sagte Kuleba. "Die Ukraine ist derzeit so gut angesehen in der Welt wie noch nie in ihrer Geschichte." Das Land erfahre viel Solidarität.
Selenskyj fordert erneut Flugverbotszone
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief den Westen erneut auf, den Luftraum über der Ukraine zu schließen. "Wenn Sie das nicht tun, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis russische Raketen auf Ihre Gebiete fallen", sagte er in einer Videoansprache.
Die Nato lehnt eine Flugverbotszone ab, um nicht in einen direkten Konflikt mit Russland verwickelt zu werden. Die Ukraine gehe durch die schwerste Bewährungsprobe ihrer Geschichte, sagte Selenskyj.
Separatisten: 20 Tote durch ukrainische Rakete
In der ostukrainischen Großstadt Donezk sind nach Angaben aus Moskau und der prorussischen Separatisten mindestens 20 Menschen bei einem ukrainischen Raketenangriff getötet worden.
Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, 28 weitere Zivilisten seien schwer verletzt worden. Unter den Opfern seien Kinder. Von den Separatisten hieß es, die Rakete vom Typ Totschka-U (Nato-Code: SS-21 Scarab) sei über Donezk abgefangen worden, Teile seien aber dennoch im Stadtzentrum niedergegangen.
Kiew wies die Vorwürfe am Abend zurück. Es sei "eindeutig eine russische Rakete oder eine andere Art von Munition" gewesen, sagte Leonid Matjuchin, ein Vertreter des ukrainischen Verteidigungsministeriums, der Agentur Interfax-Ukraine zufolge. Die Angaben beider Seiten konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Sowohl das Ministerium als auch Separatistenführer Denis Puschilin beschuldigten die Ukraine, es habe sich um einen Angriff mit einer verbotenen Streubombe gehandelt, die noch in der Luft über dem Ziel eine Vielzahl kleiner Sprengkörper freisetzt. Das sei ein Kriegsverbrechen, sagte Puschilin, der Chef der selbst ernannten "Volksrepublik Donezk".