Ex-Kanzler auf Friedensmission? Schröder-Besuch in Moskau – was dahintersteckt
Vom Paria zum Friedensengel? Altkanzler Gerhard Schröder reist nach Moskau, offenbar um mit seinem Freund, Kremlchef Putin, über den Ukraine-Krieg zu sprechen. Der Besuch wirft Fragen auf.
Der frühere SPD-Kanzler und heutige Gaslobbyist Gerhard Schröder hat sich in die diplomatischen Bemühungen im Ukraine-Krieg eingeschaltet. Am Donnerstag berichten mehrere Medien, dass er nach Moskau gereist sei, um Kremlchef Wladimir Putin zu treffen.
Offenbar will er in den stockenden Verhandlungen vermitteln und seinen langjährigen Freund Putin vom Kriegskurs abbringen. Die Bundesregierung ließ am Donnerstag verlauten, sie wisse nichts von dieser Mission. Heißt übersetzt: Wenn Schröder scheitert, scheitert er auf eigene Rechnung.
Noch ist nichts von dem Treffen nach außen durchgedrungen. Der Altkanzler, der in mehreren Funktionen für russische Staatskonzerne arbeitet, war in den vergangenen Wochen wegen seiner Nähe zu Putin scharf verurteilt worden. Nun liegen plötzlich Hoffnungen in ihm, eine Wende in dem blutigen Krieg zu erreichen. Zu Recht? Oder ist Schröders angebliche Friedensmission zum Scheitern verurteilt?
Die wichtigsten Fragen im Überblick.
Was ist über das Treffen bekannt?
Offenbar auf Bitten der ukrainischen Regierung war der Altkanzler zunächst am Mittwoch nach Istanbul gereist, wo ukrainische und russische Vertreter über eine mögliche Waffenruhe verhandelten.
Wie das Nachrichtenportal "Politico" berichtet, ging die Initiative von einem ukrainischen Vertreter aus, der über einen Schweizer Verlag Kontakt zu Schröders Umfeld aufnahm. Der Altkanzler willigte ein und traf in Istanbul die ukrainische Delegation. Die Gespräche scheiterten, doch der 77-Jährige wurde gebeten – offenbar auf Wunsch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj –, direkt mit Putin zu sprechen. Der SPD-Politiker fühlte in Moskau vor, ob der Kremlchef bereit für ein Treffen sei, und erhielt "zehn Minuten später" grünes Licht, so "Politico".
Eine russische Maschine soll den Altkanzler und dessen Frau Soyeon Schröder-Kim am Mittwoch von Istanbul nach Moskau geflogen haben. Am Donnerstagabend kam es zum Treffen zwischen dem ehemaligen deutschen Regierungschef und Putin. Ob weitere Treffen geplant sind, blieb zunächst unklar.
Warum wurde Gerhard Schröder gefragt?
Schröder gilt als Freund von Wladimir Putin und der Altkanzler galt als eine Art Mentor für den Kremlchef auf der internationalen Bühne, als Putin 1999 zunächst Ministerpräsident wurde. Ihre Freundschaft hielt über die Amtszeit des SPD-Politikers an und beide feierten mehrere Geburtstage zusammen. Im Jahr 2005 erklärte Putin, dass es für ihn sein größtes Geburtstagsgeschenk war, dass der Ex-Kanzler gekommen sei.
Nach seiner politischen Karriere nahm der SPD-Politiker eine Tätigkeit beim staatlichen russischen Ölkonzern Rosneft auf.
Was will Schröder erreichen?
Schröders Position zum Ukraine-Krieg scheint klar: Der Ex-Kanzler hat Putin in einem Post auf dem Netzwerk LinkedIn für den Angriff verurteilt, allerdings ohne dessen Namen zu nennen: "Der Krieg und das damit verbundene Leid für die Menschen in der Ukraine muss schnellstmöglich beendet werden. Das ist die Verantwortung der russischen Regierung."
Damit lässt er seinem Intimus immerhin noch das Hintertürchen offen, nicht alleine für den blutigen Überfall auf ukrainische Städte verantwortlich zu sein. Immerhin: Der Gaslobbyist benennt den Krieg als Krieg und fordert die Einstellung der Kampfhandlungen. Schröder will Frieden, so die Botschaft, auch wenn er betont, "beide Seiten" – also auch die Ukraine beziehungsweise der Westen – hätten Fehler gemacht.
Was kann Schröder erreichen?
Über diese Frage brüten derzeit wohl die klügsten Köpfe in Kiew, Washington, Moskau und im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Schröder als Peacemaker in Russland – es wirkt wie ein Gedanke aus der Verzweiflung geboren, und das ist er angesichts der Lage in der Ukraine wohl auch.
Denn ob der Altkanzler tatsächlich Einfluss auf Putin hat, ist fraglich. Sein bisheriges Verhalten legt eher nahe, dass die Männerfreundschaft der beiden eine umgekehrte Einbahnstraße ist: Dass der Kremlchef derjenige mit Einfluss ist, dass er jahrelang Schröder für seine Ziele instrumentalisierte, etwa um Nord Stream 2 in Deutschland voranzutreiben oder sich die Sympathie des russlandfreundlichen Flügels der SPD zu erschleichen. Dafür spricht, dass der ehemalige deutsche Regierungschef noch immer seine Geschäftsbeziehung zu Russland aufrechterhält: Der Altkanzler ist weiter Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Ölkonzern Rosneft, auch hält er weiter die Posten bei den Erdgas-Pipeline-Unternehmen Nord Stream 1 und 2. Auch beim Staatskonzern Gazprom will er einsteigen.
Einen Aufsichtsratsposten hat er immerhin abgegeben, allerdings bei einem deutschen Unternehmen: Der Maschinenbauer Herrenknecht hatte sich klar gegen Putins Angriffskrieg positioniert und für Wirtschaftssanktionen ausgesprochen. Zwei Tage später nahm Schröder seinen Hut. Ob er also tatsächlich auf Putin einwirken kann, und wie sehr er das will, ist zweifelhaft.
Was sagt die SPD?
Dennoch: Schröder lässt derzeit die Hoffnung so mancher politisch Verantwortlicher aufleben. Eine unerwartete Wende: Eben noch war er der Paria der Bundesrepublik, der peinliche Altkanzler, der stur zu seinem "Männerfreund" Putin steht, auch wenn der mal wieder Schulen und Geburtsklinken bombardiert. Schröder wurde aus sozialdemokratischen Ehrengalerien gestrichen, von Ehrenämtern verstoßen, sogar der Rauswurf aus seiner eigenen Partei drohte. Er wurde politisch radioaktiv und zur Gefahr für alte Weggefährten.
Nun liegt plötzlich die Hoffnung einer ganzen Nation in den Händen des 77-Jährigen. Offiziell wussten die SPD-Spitze und Bundesregierung nichts von der Reise – weder von dessen Visite in Istanbul zu den bilateralen Verhandlungen noch von der Moskau-Reise. Und doch kommt es der SPD sicherlich nicht ganz ungelegen, dass er gerade auf Friedens- statt auf Selbstzerstörungsmission ist.
Kurz nach Bekanntwerden der Nachricht lobten dann auch mehrere Genossen die Initiative Schröders. "Alles, was hilft, ist willkommen", so SPD-Chef Lars Klingbeil zum "Spiegel". Es wäre "großartig", wenn er seine Drähte zu Putin im Sinne einer Waffenruhe nutzen könnte, sekundiert der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner, fügt aber hinzu: "unabhängig davon, wie realistisch man selbst eine solche Möglichkeit einschätzt".
Ob der Altkanzler etwas erreicht hat, wird sich bald zeigen. Am Freitagmorgen kündigte Kremlchef Putin an, 16.000 freiwillige Kämpfer aus dem Nahen Osten in die Ukraine zu verlagern, um die russische Armee zu unterstützen. Es könnte eine weitere Eskalation in dem Krieg bedeuten. Für Schröders Friedensmission heißt das nichts Gutes.
- Nachrichtenagentur dpa