Konflikte Anführer der Terrormiliz IS getötet
Washington/Damaskus (dpa) - Im Schutz der Nacht haben Hubschrauber US-Spezialkräfte in den Nordwesten Syriens gebracht, um mit einem "unglaublich komplexen und hochriskanten Einsatz" den Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zur Strecke zu bringen.
So schilderte ein ranghoher Vertreter der US-Regierung den Einsatz, bei dem Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi zu Tode kam. US-Präsident Joe Biden und seine Stellvertreterin Kamala Harris verfolgten den Einsatz demnach live im Weißen Haus mit.
"Große terroristische Bedrohung"
Das Vorgehen des US-Militärs auf seinen Befehl hin habe eine "große terroristische Bedrohung" eliminiert und damit "die Welt zu einem sichereren Ort gemacht", erklärte Biden. "Dank der Tapferkeit unserer Soldaten gibt es diesen Terrorführer nicht mehr", sagte er. Al-Kuraschi habe sich und seine Familie angesichts der vorrückenden Soldaten in "einem finalen Akt von verzweifelter Feigheit" in die Luft gesprengt, um nicht für seine Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden, sagte Biden weiter. Der Einsatz in Syrien sende ein Signal an andere Terroristen auf der Welt, wo auch immer sie sich versteckten: "Wir sind hinter euch her und werden euch finden", sagte Biden.
Über den nun getöteten IS-Anführer Al-Kuraschi war in der Öffentlichkeit nur wenig Privates bekannt. Der Mann soll ursprünglich aus der syrischen Stadt Aleppo stammen. Der US-Regierung zufolge war Al-Kuraschi 2014 einer der Hauptverantwortlichen für den Völkermord an der religiösen Minderheit der Jesiden im Nordwesten des Iraks und für die Versklavung Tausender jesidischer Mädchen als Kriegswaffe.
"Er kontrollierte das weltweite Netzwerk der IS-Ableger von Afrika bis Afghanistan", sagte ein ranghoher Beamter der US-Regierung. Er sei direkt für die Einsätze im Irak und in Syrien zuständig gewesen, wo er den Wiederaufbau des IS vorangetrieben habe.
Biden erklärte, der IS-Anführer sei auch für den jüngsten brutalen Angriff auf ein Gefängnis im Nordosten Syriens verantwortlich gewesen. Dabei wurden Ende Januar mehr als 300 Menschen getötet. Die Gefechte mit den von Kurden geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) dauerten länger als eine Woche.
13 Menschen bei Einsatz getötet
Bei dem Einsatz gegen Al-Kuraschi in der Region Idlib kamen Biden zufolge keine US-Soldaten zu Schaden. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei der mehrstündigen Luftlandeoperation insgesamt 13 Menschen getötet, unter ihnen auch vier Kinder. Ersten US-Angaben zufolge waren alle Opfer auf die Explosion und den Widerstand eines IS-Kämpfers und dessen Frau zurückzuführen. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin erklärte, wegen der "Komplexität dieses Einsatzes" werde zudem geprüft, ob Zivilisten auch wegen des Handelns der US-Kräfte zu Schaden gekommen seien.
Biden betonte, er habe das Verteidigungsministerium "angewiesen, alle denkbaren Vorkehrungen zu treffen, um die Zahl der zivilen Opfer zu minimieren". Er fügte hinzu: "Da wir wussten, dass sich dieser Terrorist bewusst mit Familien, darunter auch Kindern, umgeben hatte, haben wir uns für den Einsatz von Spezialkräften entschieden, was ein viel größeres Risiko für unsere eigenen Leute bedeutete, als ihn mit einem Luftschlag zu treffen."
Das Verteidigungsministerium erklärte, Al-Kuraschis Leiche sei vor Ort mit Fingerabdrücken und später noch mit Hilfe von DNA-Proben eindeutig identifiziert worden. Dem US-Beamten zufolge warnten die Einsatzkräfte vor dem Zugriff auf Al-Kuraschi die Anwohner zudem mehrfach mit Hilfe von Lautsprechern. Einige hätten sich schnell in Sicherheit gebracht, etwa eine Familie aus dem ersten Stock des Wohnhauses und mehrere Kinder. Dann soll Al-Kuraschi schnell einen Sprengsatz gezündet haben, der auch seine Frau und zwei Kinder tötete. "In diesem Fall war die Explosion so heftig, dass Leichen aus dem Haus in das umliegende Gebiet geschleudert wurden", sagte er. Das US-Militär habe mit einer Explosion gerechnet, deshalb hätten sich die Spezialkräfte noch in sicherer Entfernung befunden.
Bei einem der Hubschrauber habe es ein technisches Problem gegeben, deshalb sei er im Einsatzgebiet zurückgelassen und anschließend zerstört worden, erklärte der US-Beamte weiter. Der Einsatz sei seit Monaten vorbereitet worden. Der IS-Anführer soll seine Wohnung nie verlassen haben und Einsätze nur über Kuriere befehligt haben.
Der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett gratulierte den USA zu dem "gewagten Einsatz". Er fügte hinzu: "Wir müssen den weltweiten Kampf gegen Terror mit Stärke und Entschlossenheit fortsetzen." Der Sprecher des US-Verteidigungsministerium, John Kirby, betonte, der IS habe einen bedeutenden Rückschlag erlitten und sei nun "führungslos". Die US-Regierung veröffentlichte bei Twitter ein Foto, das Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris den Angaben zufolge dabei zeigte, wie sie den "Anti-Terror-Einsatz" mitverfolgten.
Anwohner berichteten einem dpa-Fotografen in Syrien, die Gefechte rund um das Haus hätten rund drei lang Stunden gedauert. Das Ziel des US-Militäreinsatzes befand sich nur wenige Kilometer vom Ort entfernt, wo US-Spezialkräfte im Herbst 2019 den damaligen IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi bei einem Einsatz getötet hatten. Die Rebellenhochburg Idlib wird von Islamisten kontrolliert, die gegen die Regierung des Machthabers Baschar al-Assad kämpfen.
Es sei interessant, dass hochrangige Dschihadistenführer, die untergetaucht sind - Bin Laden, Baghdadi und jetzt Abu Ibrahim - fast nie in Höhlen, Tunneln oder ähnlichem gefunden werden, twitterte die Direktorin der auf Propaganda von Extremisten spezialisierten Site Intelligence Group, Rita Katz. "Sie scheinen es immer bequem zu haben." Sei es auf einem Anwesen in Abbottabad, Pakistan oder Idlib.
Im Bürgerkriegsland Syrien kämpft eine Militärkoalition unter Führung der USA gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Der IS hatte im Sommer 2014 große Gebiete im Norden des Irak in seine Gewalt gebracht. Kurz darauf riefen die Dschihadisten ein Kalifat aus, zu dem auch Regionen im Nachbarland Syrien gehörten. Militärisch wurde die Terrormiliz im März 2019 besiegt. Sie ist jedoch weiter in beiden Ländern aktiv und verübt immer wieder Anschläge.