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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Impfstoffe wirken kaum Chinas Omikron-Debakel
Chinesische Impfstoffe scheinen gegen Omikron wenig zu helfen. Wenn die Variante in die Volksrepublik gelangt, stößt sie also auf 1,4 Milliarden quasi ungeimpfte Menschen. Das hätte nicht nur für China fatale Folgen.
Wenn selbst Propagandamedien Alarm schlagen, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass gerade etwas ganz gewaltig außer Kontrolle gerät. Am Montag titelte die chinesische "Global Times" ungewohnt alarmistisch: "Xi'an wird 2022 mit dem schwersten Covid-19-Ausbruch seit Wuhan konfrontiert". Das Parteiblatt hat gewöhnlich die Aufgabe, einem internationalen Publikum in beruhigendem Ton das wohlige Gefühl zu vermitteln, dass die Zeiten zwar stürmisch sind, aber die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) das Ruder fest in der Hand hält.
In seiner Schlagzeile erwähnte das Propagandablatt den jüngsten chinesischen Lockdown in Xi'an aber in einem Atemzug mit dem ersten chinesischen Corona-Lockdown in Wuhan, der aufgrund seiner bleiernen Härte international Schlagzeilen machte. Übersetzt heißt das: Hier läuft etwas richtig schief.
Unzufriedenheit mit Lockdown
Nach Angaben chinesischer Propagandamedien vom Montag sind in der zentralchinesischen Stadt Xi’an seit dem 9. Dezember insgesamt 1.663 Fälle gemeldet worden. Demnach habe die Zahl der täglich neu gemeldeten Fälle vor Montag acht Tage in Folge 100 überschritten. Überprüfen lassen sich diese Angaben nicht. Was sich hingegen überprüfen lässt, ist: Seit dem 22. Dezember ist die 13-Millionen-Einwohner-Metropole Xi'an abgeriegelt.
Wer sich durch das chinesische soziale Netzwerk Weibo klickt, merkt schnell, dass allerlei Unzufriedenheit über den Lockdown herrscht. Lebensmittelmangel scheint eines der Probleme zu sein, dass den Einwohnern Xi'ans Sorgen bereitet. Der meistverwendete Hashtag auf Weibo war zuletzt "Es ist schwierig, in Xi'an Lebensmittel zu kaufen".
Propagandamedien beschwichtigen
Aber in den Propagandamedien ist davon nicht zu lesen. Die "Global Times" beeilte sich anzumerken, dass die Versorgung mit Lebensmitteln gesichert sei. Auch meldete sie, dass bereits die ersten Parteifunktionäre für ihr Missmanagement bestraft worden seien. Worüber sie sich hingegen ausschwieg, ist, auf welche Variante der Ausbruch in Xi'an zurückzuführen ist.
Das Schweigen soll wohl verhindern, dass in der internationalen Presse die Alarmglocken anspringen. Denn wenn der Ausbruch in Xi'an auf Omikron zurückzuführen ist, haben China und der Rest der Welt ein Problem.
Chinesischer Impfstoff nicht wirksam
Kurz vor Weihnachten meldete die University of Hong Kong (HKU), dass selbst drei Dosen des chinesischen Wirkstoffs Coronavac nicht genügend Antikörper produzierten, um vor einer Infektion mit Omikron zu schützen. Demnach hat das eine Untersuchung zweier Hongkonger Universitäten ergeben. Die Studie selbst hat die HKU noch nicht veröffentlicht.
Aber schon jetzt wirkt das Ergebnis wie Sprengstoff: In China werden nämlich nur chinesische Impfstoffe verimpft, das Vakzin von Biontech ist dort gar nicht zugelassen. Zwar besteht eine Kooperation der Mainzer Firma mit dem chinesischen Pharmaunternehmen Fosun. Aber die Zulassung ist politisch heikel: Die Volksrepublik brüstet sich mit ihren eigenen Impfstoffen und versucht, die in den USA und Europa entwickelten mRNA-Impfstoffe als gefährlich darzustellen. Einen Artikel über den an einem Herzinfarkt verstorbenen "New York Times"-Journalisten Carlos Tejada versah die "Global Times" jüngst mit dem Hinweis, Tejada sei einen Tag nach Erhalt einer Moderna-Booster-Impfung gestorben.
Am Mittwoch sprang die WHO zur Hilfe: Zwar seien weniger Antikörper bei den chinesischen Impfstoffen gefunden worden, aber es gäbe ja noch T-Zellen, die zumindest vor schlimmen Verläufen schützen, sagte Abdi Mahamud, der sich bei der WHO um Notfälle kümmert, der South China Morning Post.
Peking setzt auf Abschottung
Die Volksrepublik setzt hingegen auf die im eigenen Land produzierten Impfstoffe und eine rigide Null-Covid-Strategie, die Infektionen mit Massentests erkennt, nachverfolgt und großflächig isoliert. Der Impfstatus spielt dabei keine Rolle, Regelungen wie das deutsche 2G gibt es in China nicht. Auch setzt Peking auf Abschottung: Das Land begrenzt die Einreise und zwingt jeden Einreisenden zu einer dreiwöchigen Quarantäne.
Doch die Null-Covid-Strategie bekommt immer mehr Löcher: Am Dienstag meldete die "Global Times", dass nach Xi'an auch die ostchinesische Hafenstadt Ningbo einen partiellen Lockdown verhängt habe, um einen Ausbruch einzudämmen. Nach Angaben des Propagandablatts ist der Ausbruch auf die Delta-Variante zurückzuführen.
Auswirkungen auf die ganze Welt
Dennoch ist es wahrscheinlich, dass Omikron früher oder später auch nach China kommen wird. Im Februar finden in Peking die Olympischen Winterspiele statt. Zwar behandelt das Land die Olympiastätten wie extraterritoriales Gebiet. Jede Arbeitskraft, ob Busfahrer, Ärztin, Ordner, Polizistin oder Koch, muss drei Wochen in Quarantäne, bevor sie wieder nach Hause darf. Allein: Um einer Pandemie Herr zu werden, dürfte das nicht reichen.
Wenn Omikron nach China kommt, stößt die Virusvariante auf eine Bevölkerung, die unzureichend geschützt ist. Die Auswirkungen dieses Ausbruchs werden sich nicht auf China beschränken.
"Wenn sich bestätigt, dass selbst drei Dosen Sinovac gegen Omikron unwirksam sind, gibt es in China jetzt 1,4 Milliarden nicht geimpfte Bürger", schrieb der frühere Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Olivier Blanchard, auf Twitter: "Dies hat erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen für China und die Welt."
- Eigene Recherche
- Twitter-Profil von Olivier Blanchard
- Universität Hongkong: "HKUMed-CU Medicine joint study finds that third dose of Comirnaty has better protection from COVID-19 variant Omicron" (englisch)