Umstrittenes Sicherheitsgesetz Schwerer Schlag gegen Opposition: 50 Festnahmen in Hongkong
Hongkong (dpa) - In dem größten Schlag gegen die Opposition seit Einführung des umstrittenen Sicherheitsgesetzes hat die Polizei in Hongkong mehr als 50 demokratische Aktivisten festgenommen.
Die Festnahmen stehen im Zusammenhang mit inoffiziellen Vorwahlen, die die Oppositionskräfte im vergangenen Juli vor der später wegen der Pandemie abgesagten Parlamentswahl abgehalten hatten. Den Festgenommenen werden Staatsgefährdung und Verstoß gegen das am 1. Juli in Kraft getretene nationale Sicherheitsgesetz vorgeworfen.
Die Massenfestnahmen stießen in Deutschland und international auf Empörung. Der designierte neue Außenminister der USA, Antony Blinken, sprach auf Twitter von einem "Angriff auf jene, die mutig für universelle Rechte eintreten". Die neue Regierung des gewählten US-Präsidenten Joe Biden werde an der Seite der Hongkonger stehen und sich gegen Pekings Unterdrückung von Demokratie wenden.
Die Bundesregierung zeigte sich bestürzt über die Festnahmen. Es sei "ein nächster Baustein in einer Reihe von sehr besorgniserregenden Entwicklungen in den letzten Monaten, die wir sehen", sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts in Berlin. Besorgnis äußerten Politiker verschiedener Parteien mit Blick auf das kürzlich zwischen der Europäischen Union und China vereinbarte Investitionsabkommen.
Der Kandidat für den CDU-Vorsitz, Norbert Röttgen, warf Peking vor, das Sicherheitsgesetz als "Waffe gegen die Demokratie" zu benutzen. Unter Hinweis auf den mit dem chinesischen Staat geschlossenen Deal twitterte Röttgen, die EU dürfe "dessen Methoden, inklusive Vertragsbruch und Unterdrückung, nicht ignorieren". Die Grünen-Politiker Margarete Bause und Jürgen Trittin sprachen von einem "Warnschuss für alle in der EU, die glauben, sich auf vage Zusagen der chinesischen Führung hinsichtlich der Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen verlassen zu können".
Das Investitionsabkommen sei in dieser komplexen Angelegenheit nicht das geeignete Mittel, um Einfluss zu nehmen, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Unabhängig davon liefen Gespräche mit China, in denen auch demokratische Werte diskutiert würden.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Gyde Jensen (FDP), sah in der Attacke auf die Demokratiebewegung "eine vollkommen neue Dimension". Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping wolle die letzten Reste der Demokratie in Hongkong beseitigen. Auch sie übte Kritik am Investitionsabkommen.
Menschenrechtler in Hongkong zeigten sich "geschockt". Amnesty International hob hervor, die Festnahmen zeigten, wie weitreichend das Sicherheitsgesetz angewandt werden könne, auch wenn keine echte Bedrohung der nationalen Sicherheit vorliege. Aktivisten und Abgeordnete wegen "Staatsgefährdung" anzuklagen, weil sie eine informelle Vorwahl abhielten, "ist ein offener Angriff auf ihre Rechte auf Meinungsäußerung und Versammlung".
Die Polizei sprach von 45 festgenommenen Männern und 8 Frauen zwischen 23 und 79 Jahren. Unter ihnen waren nach Medienberichten ehemalige Abgeordnete wie Lam Cheuk-ting, Andrew Wan, Alvin Yeung sowie der bekannte Aktivist Benny Tai. Zudem wurde die Wohnung des prominenten Aktivisten Joshua Wong durchsucht, der bereits wegen der illegalen Organisation eines Protests im Gefängnis sitzt.
Das demokratische Lager hatte die Vorwahlen im Juli mit dem Ziel organisiert, Kandidaten auszuwählen, die einen möglichst großen Rückhalt in der Bevölkerung genießen. Rund 600 000 Hongkonger hatten sich beteiligt. Damals gab es in der Opposition Pläne, mit einer starken Fraktion im Hongkonger Parlament wichtige Entscheidungen der Regierung systematisch zu blockieren.
Diese Idee sowie die Auswahl der Kandidaten war damals auf scharfe Kritik der Regierung gestoßen, die jetzt anlässlich der Festnahmen von "bösartigen Umsturzplänen" sprach, wie auch Außenamtssprecherin Hua Chunying in Peking hervorhob. Seit Monaten geht die Regierung schon mit harter Hand gegen die Demokratiebewegung vor. Gleich mehrere bekannte Aktivisten waren wegen verhältnismäßig geringer Vergehen zu Gefängnisstrafen verurteilt worden.
Viele Oppositionsmitglieder haben sich aus Angst vor Strafverfolgung auch ins Ausland abgesetzt. Der Erlass des Sicherheitsgesetzes als Reaktion auf die seit einem Jahr anhaltenden Demonstrationen in Hongkong war international scharf kritisiert worden. Es richtet sich gegen Aktivitäten, die Peking als umstürzlerisch, separatistisch, terroristisch oder verschwörerisch ansieht.
Seit dem 1. Juli 1997 gehört Hongkong wieder zu China und wird nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" als eigenes Territorium regiert. Diese Vereinbarung sieht eigentlich vor, dass die sieben Millionen Hongkonger bis 2047 "ein hohes Maß an Autonomie" und viele Freiheiten genießen. Seit der Verabschiedung des Sicherheitsgesetzes sagen viele jedoch nur noch: "Ein Land, ein System".