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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Drogenfahnder gibt Einblicke "Es scheint eine Kokainschwemme in der Stadt zu geben"
Olaf Schremm ist Drogenfahnder. Mit seinem Team versucht er, kriminelle Machenschaften rund um Handel und Besitz aufzuklären. Doch die Dealer sind ihnen oft einen Schritt voraus, erklärt er im Gespräch mit t-online.
In Berlin sind Drogen keine Seltenheit. Oft sieht man Junkies mit Heroinspritzen, Klein-Dealer und Kunden rund um Kottbusser Tor, Görlitzer Park oder Schönleinstraße. Olaf Schremms Mission heißt: Drogenkriminalität bekämpfen und das Angebot der illegalen Substanzen verringern. Sein Beruf als Leiter des Drogendezernats Berlin macht ihn zum Experten auf diesem Gebiet. Im Interview mit t-online gibt er spannende Einblicke in seine Arbeit – und die dreisten Tricks der Dealer.
Herr Schremm, die Drogenkriminalität besonders in Bezug auf Kokain steigt. Welche Entwicklungen sehen Sie in Berlin – was ist hier los?
Es scheint eine Kokainschwemme in der Stadt zu geben. Noch vor einiger Zeit waren Heroin und Kokain auf fast gleichem Niveau – nach Cannabis. In den vergangenen Jahren hat der Kokainanteil aber signifikant zugenommen und damit leider auch die Toten in Zusammenhang mit der Droge. Selbst als am Hamburger Hafen 6,5 Tonnen des Rauschmittels sichergestellt wurden, kam es zu keinem Angebotsengpass. Nachfrage und Angebot sind höher als je zuvor – und daran sieht man auch die Gefahr: Kokain kann hochgradig süchtig machen, weswegen die Nachfrage alles andere als abreißt.
Und wieso hat Kokain das Heroin abgelöst? Heroin gilt doch eigentlich als der Süchtigmacher schlecht hin.
Das liegt am Image. Klar macht Heroin sofort abhängig. Aber die Droge ist auch verpönt. Der soziale Abstieg erfolgt damit relativ schnell. Es sind – zum Glück – wenig neue Konsumenten dazugekommen. Kokain hat aufgrund seiner Wirkweise hingegen mehrere Zielgruppen. Die Droge hat Eigenschaften, die in allen Gesellschaftsschichten Ansprechpartner findet. Als Partydroge, als Ausputschmittel, in Stresssituationen, als Anregung im Privatleben – und das spricht für den Anstieg des Konsums. Ein weiteres Indiz: Seit letztem Jahr haben wir auch mehr Drogenlieferdienste.
Ja, die Drogenlieferdienste sind problematisch. Sie fallen nicht auf, denn der Lieferant kommt im Auto und geht unbemerkt in ein Haus – wie ein Pizza-Bringdienst. Wie decken Sie diesen Rauschgifthandel dennoch auf?
Die Arbeit beruht zum Teil auf Hinweisen aus der kriminellen Szene selbst. Wenn jemand Konkurrenten ausschalten will, verpfeift er diejenigen. Dann haben uns auch dreiste Werbekampagnen auf die Lieferdienste aufmerksam gemacht. Es wurden vor einiger Zeit Visitenkarten verteilt, die einen Obstverkauf angeboten haben. Es war offensichtlich: um Früchte ging es da nicht. Wir müssen uns dann vorarbeiten, um an die wichtigen Hintermänner zu gelangen. Das verlangt intensivste Ermittlungsarbeit. Die Digitalisierung setzt uns hier oft Grenzen.
Sie meinen sicher digitale Nachrichtendienste wie Telegram. Dort tauschen sich Dealer und Konsumenten in Chaträumen – teilweise mit bis zu 7.000 Mitgliedern oder mehr – aus. Die Händler posten ihr Angebot und die Preise, der Konsument kann dann – in einem neuen, sogenannten "geheimen Chat" – seine Bestellung mitsamt Adresse aufgeben. Er bekommt seinen Einkauf direkt vor die Tür geliefert. Wieso ist es so schwer, an die Organisatoren dieser Dienste zu gelangen?
Das Phänomen der geschlossenen Nutzergruppen in diesen Nachrichtendiensten ist uns in den letzten Jahren aufgefallen. In Telegram ist der Handel mit Betäubungsmitteln hochprofessionell organisiert. Dieser Nachrichtendienst ist leider ein ausländischer Anbieter, der in keiner Weise verpflichtet ist, uns irgendwelche Informationen zukommen zu lassen. Da sind uns oft die Hände gebunden. Und das erschwert es wiederum, Informationen und Erkenntnisse zu sammeln. Selbst wenn wir dann an einen Lieferanten gelangen, ist der nur das kleinste Glied der Kette. Dahinter stehen ganze Hierarchien. Wir wollen aber an die gesamte Bande ran!
Wie funktionieren denn diese Bandenstrukturen in Berlin – ist es ähnlich wie in der beliebten Berliner Serie "4 Blocks" mit dominierenden Banden verschiedener Ethnien oder doch ganz anders?
Wenn man in dem Bereich arbeitet, kann man bei solchen Serien nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Es gibt weder eine dominierende Ethnie, noch gibt es einen großen Paten. Es sind kleine Bandenstrukturen, die sich kurzfristig oder langfristig zusammenfinden, um den Rauschgifthandel zu vollziehen. Da finden Sie querbeet sämtliche Ethnien und eine Unzahl solcher kleinen Banden. Das sind nicht nur ein oder zwei, sondern Dutzende oder mehr, die nur daran interessiert sind, so schnell es geht, Geld zu verdienen.
Je höher Sie sich in der Hierarchie robben, um an den Einfuhrschmuggler zu kommen, desto umfangreichere Ermittlungen, nötige Zeit und Personal sind erforderlich. Da haben wir auch Misserfolge, denn die Täter sind oft einen Schritt voraus.
Kommt die Polizei überhaupt noch hinterher mit der Strafverfolgung im Kampf gegen die Drogenkriminalität, wenn die Digitalisierung so ausgenutzt wird? Und ist das Drogenverbot in Deutschland dabei die richtige Lösung?
Verbote werden die Drogen nicht auf Null reduzieren können, das ist klar. Die Strafverfolgung ist dabei aber ein Teil auf dem Spielfeld der Drogenbekämpfung. Wichtiger Player ist auch die Prävention. Wir versuchen, die Angebotsseite zu bekämpfen. Aber die Nachfrageseite können wir nicht verhindern. Da sollte mehr in die Prävention investiert werden. Denn ist die Nachfrage nicht mehr da, wird auch das Angebot abnehmen.
Sollte da die Drogenpolitik in dem Punkt deutlich nachlegen?
Ja, die Prävention ist ein Teilschwerpunkt der Drogenpolitik. Und da wäre eine nachhaltige und flächendeckendere Prävention wünschenswert. Wir können ehrlich sein: Schon immer waren Menschen bestrebt, sich zu berauschen. Das ist nicht das große Problem. Zum Problem wird es, wenn es auf der Konsumseite zur Sucht wird. Wir wollen verhindern, dass eine nachwachsende Generation zu unbedarft an die Thematik rangeht.
Vor allem auch die neuen psychoaktiven Stoffe bereiten uns Sorgen. Das sind synthetisch hergestellte Cannabinoide, Kräutermischungen und Badesalze, die oft scheinbar legal erhältlich sind. Tatsächlich handelt es sich hierbei aber um illegale Substanzen, die dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) oder dem Neuen-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) unterliegen. Den Konsumenten ist gar nicht bewusst, wie hochgefährlich sie sind. Und die Dealer, die dazu im Internet Werbung machen, nutzen diese Unbedarftheit und Naivität aus. Daran muss sich etwas ändern.
Wie sehen Sie die Prävention denn am effektivsten?
Der neugierige Jugendliche möchte sich ausprobieren, das ist auch alles anerkannt. Aber dann doch bitte risikobewusst. Er soll wissen, was er nimmt, und vor allem, was es mit ihm macht.
Daher sollte man frühzeitig und zielgruppenorientiert vorgehen. Wo bekomme ich die nachfolgende Generation am besten? In der Schule. Es wäre wünschenswert, wenn es dort einen Bestandteil für nachhaltige Prävention und Aufklärung gebe.
Haben Sie oder Angehörige und Freunde ein Suchtproblem? Dann wenden Sie sich an das bundesweite Sorgentelefon für Suchtberatung des Deutschen Roten Kreuzes unter 06062-60767. Zu erreichen Freitag bis Sonntag und an gesetzlichen Feiertagen in der Zeit von acht bis 22 Uhr.
- Gespräch mit Olaf Schremm, Leiter des Drogendezernats Berlin
- Europäischer Drogenbericht 2020