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Großbritannien: Darum muss Johnson trotz guter Prognosen um den Sieg zittern


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Trotz guter Prognosen
Warum Johnson um den Wahlsieg zittern muss


Aktualisiert am 10.12.2019Lesedauer: 4 Min.
Boris Johnson auf Wahlkampftour: Er will – und muss wohl auch – bis zum Ende um jede Stimme kämpfen, damit er am Donnerstag als Sieger aus der Wahl hervorgeht.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson auf Wahlkampftour: Er will – und muss wohl auch – bis zum Ende um jede Stimme kämpfen, damit er am Donnerstag als Sieger aus der Wahl hervorgeht. (Quelle: Ben Stansall//reuters)

Boris Johnson liegt in allen Umfragen klar vor allen anderen Konkurrenten. Er kann sich seines Sieges dennoch nicht sicher sein. Drei Faktoren machen den Wahlausgang unsicher.

Mit zehn Prozentpunkten Vorsprung geht der britische Premierminister Boris Johnson laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov in die finale Phase des Wahlkampfs in Großbritannien. Die Tories liegen demnach bei 43 Prozent, Labour bei 33, die Liberaldemokraten bei 13, die SNP (Scottish National Party) bei 4 und die Grünen sowie die Brexit-Partei bei 3 Prozent.

Viel wichtiger sind im britischen Mehrheitswahlrecht – in den 650 Wahlkreisen zieht nur der Abgeordnete ins Parlament ein, der die meisten Stimmen bekommt – die Prognosen für die Wahlkreise: Auch hier liegt Johnson klar vorn: Von 650 Parlamentssitzen würden die Konservativen 354 Sitze bekommen – das wäre eine Mehrheit von 29 Sitzen und 37 mehr als bei der letzten Wahl 2017.

Warum sind die Konservativen so nervös?

Dennoch gehen die Konservativen nicht entspannt in die letzten Tag vor der Wahl. Johnson gab am Sonntag in einem Interview zu, er sei nervös und "kämpfe um jede Stimme". Und schon Ende November warnte sein Chefstratege Dominic Cummings eindringlich: "Die Wahl ist viel enger als viele glauben."

Doch warum sind die Tories so unruhig? Warum investieren sie kurzfristig noch einmal Millionen in einen finalen Wahlaufruf in den sozialen Medien? Warum tourt Johnson in den letzten Tagen vor der Wahl noch einmal durch die Wahlkreise, in denen Labour besonders stark ist? Es sind drei Faktoren, die den Wahlausgang – trotz der extrem positiven Umfragewerte – unsicherer machen, als Johnson lieb ist.

1. Taktisches Wählen

Die größte Gefahr geht vom sogenannten "tactical voting", dem taktischen oder strategischen Wählen der Johnson-Gegner aus. Vor allem Labour, die Liberaldemokraten und die SNP motivieren ihre Anhänger schon seit Wochen dazu, in umkämpften Wahlkreisen nicht unbedingt für die Partei oder den Kandidaten zu stimmen, der ihnen am nächsten steht, sondern für den, der eine Chance hat, den jeweiligen konservativen Kandidaten zu schlagen.


Dieses taktische Wahlverhalten könnte die Konservativen 36 – entscheidende – Wahlkreise kosten, wie eine Analyse der "Times" verdeutlicht. Würden Johnsons Gegner konsequent taktisch wählen, könnte dieser also seine prognostizierte Mehrheit verpassen – oder sie könnte zumindest deutlich geringer ausfallen als vorhergesagt.

2. Wahlbeteiligung

Diese Wahl entscheidet nicht nur über den nächsten Premierminister Großbritanniens, sondern auch über die gesamte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ausrichtung des Vereinigten Königreichs. Johnson selbst hat lange einen reinen Brexit-Wahlkampf geführt. Später kamen als Schwerpunkte das britische Gesundheitssystem (National Health System – NHS) und Immigration hinzu. Auch wenn ein Großteil der Briten in erster Linie genervt von dem Brexit-Durcheinander ist: Sie haben verstanden, dass diese Wahl eine besondere ist. Das zeigen die Zahlen zur Wählerregistrierung: Drei Millionen mehr Wähler haben sich registrieren lassen als bei der letzten Wahl 2017, darunter 900.000 Wähler unter 25 Jahren – auch wenn deren Registrierung erst am Wahltag endgültig verifiziert werden kann.

Das Problem für die Konservativen: Niemand kann verlässlich vorhersagen, wie diese Neu-Wähler sich am Donnerstag verhalten werden. Überraschungen in jede Richtung sind daher möglich. In Umfragen haben sich junge Wähler deutlich EU-freundlicher präsentiert als ältere. Ob sie dann auch wirklich gegen den Brexit und damit gegen Johnson stimmen werden, muss man abwarten.

3. Entscheidung in letzter Minute

Schon zu Beginn des Wahlkampfes haben Analysten immer wieder darauf hingewiesen, dass sich ein großer Teil der Wähler erst unmittelbar vor der Wahl oder gar während des Wählens selbst entscheiden könnte. Dafür gibt es mehrere Gründe: Johnson polarisiert mit seiner oft direkten und in einigen Fällen der Wahrheit nicht sehr zugeneigten Art. So stark, dass nicht wenige konservative Stammwähler ernsthafte Schwierigkeiten haben, ihn zu wählen.


Zudem ist die Wahl in erster Linie ein zweites Brexit-Referendum. Es gibt zahlreiche Anhänger der Konservativen, die insgeheim oder auch offen lieber in der EU bleiben würden. Auf der anderen Seite sind die Labour-Wähler keineswegs durchweg überzeugte EU-Anhänger, sondern in der Brexit-Frage ähnlich gespalten wie die Johnson-Partei. Wenn sich diese Wähler am Ende nicht für "ihre" Partei, sondern für die Partei entscheiden, die ihrer Haltung zur EU am nächsten steht, könnte es ebenfalls einige Überraschungen geben.

"Brexmas" oder ein zweites Referendum?

"Derzeit sieht es so aus, als würde Johnson seine Mehrheit im Parlament bekommen", sagt der Polit-Ökonom Iain Begg von der London School of Economics. Damit käme es dann zum von Johnson herbeigesehnten "Brexmas" – einem Brexit zu Weihnachten. "Die andere Möglichkeit wäre eine Regenbogen-Koalition aus Labour, den proeuropäischen Liberaldemokraten und der Scottish National Party", führt Begg aus.

Die würde dann wohl ein zweites Brexit-Referendum ansetzen. Ausgang offen.

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