Barometer für Parlamentswahlen Russland-Wahlen: Heftige Verluste für Putin-Partei in Moskau
In 85 russischen Regionen wurden am Wochenende neue Volksvertreter gewählt – ein wichtiger Stimmungstest für Putin. Seine Partei konnte ihre Mehrheit verteidigen, fuhr aber auch Verluste ein.
Die Zustimmungswerte der Kreml-Partei Einiges Russland hatten in der russischen Hauptstadt schon vor der Wahl einen Tiefpunkt erreicht. Nach wochenlangen Massenprotesten der Opposition war in Moskau offiziell kein Politiker für diese Partei angetreten. Mitglieder präsentierten sich als unabhängige Kandidaten.
Medienberichten zufolge müssen die Kreml-treuen Kandidaten nun 20 der 45 Sitze im Moskauer Stadtrat abgeben: Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, können mit 13 bis 14 Sitzen rechnen, wie die Agenturen Interfax und RIA Nowosti berichteten. Die liberale Jabloko-Partei und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland, die bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten waren, können demnach jeweils mit drei Sitzen rechnen.
Bisher waren 38 der 45 Sitze im Moskauer Stadtrat mit Kreml-treuen Kandidaten besetzt gewesen, davon allein 28 von Einiges Russland. Laut Interfax wurden am Sonntag nur neun Stadträte der Kreml-Partei wiedergewählt. Der Moskauer Parteichef Andrej Metelski hat seinen Sitz demnach verloren.
Geringe Wahlbeteiligung in Moskau
Die Regionalwahlen fanden nach dem dem Ausschluss Dutzender Oppositioneller statt. Beobachter sprachen am Sonntag von zahlreichen Verstößen bei der Abstimmung in den 85 Regionen des Landes. Die Wahlen auf regionaler und kommunaler Ebene galten als wichtiger Stimmungstest für Kremlchef Wladimir Putin und die Regierungspartei Geeintes Russland.
Insgesamt waren 56 Millionen Wähler zur Stimmabgabe aufgerufen – das ist fast die Hälfte der Wahlberechtigten Russlands. Die Wahlbeteiligung war in einigen Region niedrig. In Moskau stimmten bis zum frühen Abend lediglich 17 Prozent der Wähler ab. Die Abstimmungen gelten auch als wichtiger Stimmungstest vor der Parlamentswahl 2021.
Das Innenministerium betonte, dass der Wahltag ruhig verlaufen sei. Zwar seien ihnen mehr als 300 Verstöße gemeldet worden. Dies werde jedoch keinen Einfluss auf das Wahlergebnis haben, teilte das Ministerium mit.
Pressesprecher ohne Angabe von Gründen festgenommen
Auch die Beobachter der Menschenrechtsorganisation Golos berichteten von Hunderten Manipulationsversuchen und Behinderungen ihrer Arbeit. Der Pressesprecher von Golos sei ohne Angaben von Gründen festgenommen worden, teilte die Organisation mit. Zudem wurden nach Angaben des Bürgerportals OWD-Info mindestens 16 Menschen festgenommen, darunter Journalisten, ein Kommunalpolitiker sowie Maria Aljochina, ein prominentes Mitglied der Punkband Pussy Riot.
Oppositionelle wie der Anti-Korruptions-Kämpfer Alexej Nawalny riefen zu einer Protestwahl gegen die Kremlpartei auf. Er empfahl eine "smarte" Stimmabgabe. Damit sollten gezielt andere Kandidaten als die der Kremlpartei gewählt werden. Die Bürger sollten alles wählen außer die regierende Partei, deren "Gauner und Diebe" keine Konkurrenz zugelassen hätten, sagte auch die Moskauer Politikerin Ljubow Sobol am Sonntag im Wahllokal. Sobol, die zu Nawalnys Team gehört, war wie Dutzende andere Politiker wegen angeblicher Formfehler als Kandidatin nicht zugelassen.
Auch der nach 50 Tagen aus der Haft entlassene Oppositionelle Ilja Jaschin rief zur "smarten" Abstimmung auf. Er veröffentlichte bei Twitter ein Bild mit dem Kandidaten seiner Wahl. Der populäre Kommunalpolitiker hatte ebenfalls keine Registrierung erhalten. Jaschin hatte zuletzt fünf Arreststrafen von jeweils zehn Tagen absitzen müssen. Er nannte die Haft eine Geiselnahme, um ihn im Wahlkampf aus dem Verkehr zu ziehen. Die Justiz hatte ihm vorgeworfen, zu Massenprotesten aufgerufen zu haben.
Massive Polizeigewalt bei Protesten
Vorwürfe gab es auch gegen die US-Internetriesen Google und Facebook. Sie sollen sich mit Agitation am Wahltag in Russlands innere Angelegenheiten eingemischt haben, teilte die Medienaufsicht Roskomnadsor mit. Eine Kommission im Parlament werde prüfen, ob ausländische Kräfte so versuchten, die Wahl zu beeinflussen. Auch die Videoplattform Youtube werde untersucht.
Bei den Protesten kam es in den vergangenen Wochen zu massiver Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten. Tausende Menschen waren bei den Demonstrationen für freie Wahlen vorübergehend festgenommen worden. Am Samstag kamen die bekannte Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa und weitere Mitglieder von Pussy Riot vorübergehend in Polizeigewahrsam. Sie wollten in der Stadt ein Banner mit der Aufschrift "Putin, geh von selbst!" aufhängen.
Der Kremlchef gab in Moskau seine Stimme ab. Auf die Frage, ob er sich nicht mehr Vielfalt wünsche, sagte Putin bei der Stimmabgabe, dass nicht die Zahl der Kandidaten, sondern die Qualität ihrer Arbeit wichtig sei. Wie die Agentur Interfax meldete, stimmte der Präsident für jemanden, den er selbst nicht kennt. "Aber ich hoffe, er ist ein guter und ordentlicher Mensch", sagte Putin.
Krim-Abstimmung wird international nicht anerkannt
Umfragen hatten für die Kremlpartei zuletzt massive Verluste vorhergesagt. Groß ist die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage im Land etwa wegen des Mangels an Arbeitsplätzen und wegen niedriger Löhne. Kremlkritische Medien hatten unter Berufung auf behördennahe Kreise berichtet, dass die Umfragen für die offiziellen Kandidaten des Machtapparats so schlecht gewesen seien, dass keine Konkurrenz zugelassen werden sollte.
Gewählt wurde zudem auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Die Abstimmung wird international nicht anerkannt, weil das Gebiet laut Völkerrecht zur Ukraine gehört. Die EU und die USA haben gegen Russland wegen der Annexion der Krim Sanktionen verhängt. Dort konnte die Kremlpartei Geeintes Russland mit einem triumphalen Sieg rechnen. Die Region erhält so viel Geld aus dem Staatshaushalt wie kein anderes Gebiet in Russland. Das ukrainische Außenministerium protestierte am Sonntag gegen die Wahl. Die Abstimmung auf dem von Russland vorübergehend besetzten Gebiet sei ungültig, teilte das Ministerium in Kiew mit.
- Nachrichtenagentur dpa