Deal or No Deal? Boris Johnsons gefährlicher Brexit-Poker
Boris Johnson wird nächste Woche wohl der nächste britische Premierminister. Er gibt sich hart beim Brexit und verlangt von der EU Zugeständnisse, doch seine Forderungen scheinen unerfüllbar.
"Verschwenden Sie diese Zeit nicht". Mit diesen Worten warnte EU-Ratspräsident Donald Tusk die Briten, als der Brexit im April zum zweiten Mal verschoben wurde. In der neuen Frist bis 31. Oktober sollte das britische Parlament eine Mehrheit für das Brexit-Abkommen finden – so stellte sich die Europäische Union das vor. Doch in den drei Monaten seither sind die Briten keinen Schritt weiter gekommen.
In wenigen Tagen geht Premierministerin Theresa May, die den Brexit-Vertrag ausgehandelt hatte und drei Mal im Unterhaus damit gescheitert war. Für sie kommt wahrscheinlich der Brexit-Hardliner Boris Johnson, der in Umfragen bei der Parteientscheidung weit vor dem zweiten Nachfolgekandidaten Jeremy Hunt liegt. Johnson macht vollmundige Versprechen für Änderungen am Abkommen – die die EU jedoch kategorisch ausschließt. Ein Brexit ohne Vertrag am 31. Oktober mit verheerenden Folgen für die Wirtschaft ist daher immer wahrscheinlicher. Johnson und auch Hunt wollen das in Kauf nehmen.
Was fordern die Kandidaten von Brüssel?
Als Hauptproblem beim Brexit-Deal haben die beiden den sogenannten Backstop ausgemacht. Das ist eine Garantieklausel, die verhindern soll, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland wieder Grenzkontrollen eingeführt werden müssen. Denn das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren.
Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange Teil einer Zollunion mit der EU bleibt, bis das Problem anderweitig gelöst ist. Für Nordirland sollen zudem teilweise Regeln des Europäischen Binnenmarkts gelten.
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Die Klausel sei ein "Instrument der Einkerkerung" Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt, polterte Johnson bei einem Radioduell Anfang der Woche. Er verlangt, den Backstop zu streichen und die irische Grenzfrage erst nach dem Austritt in einem künftigen Freihandelsabkommen mit der EU zu lösen. "Der Backstop ist tot", versicherte auch Hunt.
Was sagt die Europäische Union?
Die EU versteift sich auf die Gegenposition. "Das Austrittsabkommen lebt", sagt der deutsche Europastaatsminister Michael Roth. Und auch die EU-Kommission wiederholt stets das Mantra: Es wird nicht nachverhandelt.
Vage Hoffnung hat man in Brüssel, dass die britischen Kandidaten im Wahlkampf nur Schaum schlagen. "Das hat sich zu einem politischen Schmierentheater entwickelt", meint zum Beispiel die Grünen-Europaabgeordnete Terry Reintke. "Da wird viel geblufft."
Die Rhetorik wird auch in Brüssel härter. Die Rede ist von einer "Fantasiewelt" der Kandidaten. "In der echten Welt bedeuten (die Ideen der Kandidaten) einen No-Deal mit verheerenden Konsequenzen", sagt ein EU-Diplomat. "Wenn Großbritannien das will, wird es das bekommen. Wenn nicht, muss es der Realität ins Auge blicken und sich entsprechend verhalten."
Was geschieht als Nächstes?
Der Kandidat, der sich durchsetzt, wird von Königin Elizabeth II. am Mittwoch mit der Regierungsbildung beauftragt. Höchstwahrscheinlich wird es Johnson. Er übernimmt eine Regierung, die mit gerade einmal drei Stimmen nur über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament verfügt.
Wie groß das Misstrauen gegen Johnson ist, zeigte eine Abstimmung am Donnerstag. Die Abgeordneten votierten überraschend deutlich für einen Gesetzeszusatz, der es Johnson sehr schwer machen würde, das Parlament für eine No-Deal-Lösung vorübergehend auszuschalten.
Hat Johnson einen Plan?
Der frühere Londoner Bürgermeister und Ex-Außenminister setzt wohl darauf, dass die EU einknicken wird, wenn klar wird, wie ernst er es mit einem No Deal meint. Vor allem das EU-Mitglied Irland, das für die Grenzkontrollen zum britischen Nordirland sorgen müsste, werde nachgeben, hoffen die Johnson-Anhänger.
Bisher deutet nichts darauf hin. Die EU beharrt auf der Linie, dass bestenfalls die Politische Erklärung über die künftigen Beziehungen beider Seiten noch zur Debatte steht. Es wird erwartet, dass Johnson im Sommer durch europäische Hauptstädte touren wird, um die bisher felsenfeste Front der EU aufzumeißeln. Weit oben auf der Liste stehen neben der irischen Kapitale dabei Berlin und Paris.
Wird das Parlament in London einen No-Deal verhindern?
Die Möglichkeiten des Parlaments sind beschränkt. Nur einen Tag nach Johnsons Amtsantritt beginnt die Sommerpause. Zum Showdown dürfte es erst im September oder sogar im Oktober kommen. Die Abgeordneten müssten die Kontrolle über den Parlamentskalender an sich reißen und die Regierung per Gesetz zu einer weiteren Verschiebung des EU-Austritts zwingen.
Gelänge das nicht, bliebe den proeuropäischen Rebellen in der Tory-Fraktion nur noch, ihre eigene Regierung zu stürzen. Doch es ist unklar, wer tatsächlich zu diesem außergewöhnlichen Schritt bereit wäre. Die Hemmschwelle ist hoch.
Gibt es bald eine Neuwahl in Großbritannien?
Angesichts der verfahrenen Situation im Parlament gilt eine baldige Neuwahl inzwischen als wahrscheinlich. Die Frage ist, ob sie vor oder nach dem EU-Austritt stattfindet. Aus Teilen der EU gab es bereits Signale, dass der Brexit-Termin am 31. Oktober für eine Wahl noch einmal verschoben werden könnte.
"Ich bin bereit zu einer weiteren Verschiebung des Austrittsdatums, wenn aus einem guten Grund mehr Zeit nötig ist", sagt die künftige EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Die Aussicht ist ja auch nicht verlockend, zum Amtsantritt 1. November als Krisenmanagerin von Spannungen auf der irischen Insel, Lastwagenstaus am Ärmelkanal und Produktionsausfällen in der Industrie beginnen zu müssen.
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Allerdings hat Johnson eine Verschiebung des Brexit-Datums ausgeschlossen. Wie sein Konkurrent Hunt will er auch keine Wahl vor dem Austritt, aus Furcht vor dem Verlust von Wählerstimmen an die Brexit-Partei von Nigel Farage. Andererseits könnte Johnson den von ihm angedrohten No-Deal kaum ohne klare Mehrheit im Parlament durchziehen. Nur ein neues Mandat der Wähler könnte wohl einen solch drastischen Schritt absichern.
- Nachrichtenagentur dpa