Haushoher Sieg in der Stichwahl Ein Komiker wird neuer Präsident der Ukraine
Die Ukrainer bekommen einen neuen Präsidenten. Herausforderer Selenskyj setzte sich in der Stichwahl klar gegen Amtsinhaber Poroschenko durch. Beide hatten sich einen schmutzigen Wahlkampf geliefert.
Der Schauspieler und Komiker Wolodymyr Selenskyj wird neuer Präsident der Ukraine. Der Polit-Newcomer setzte sich in der Stichwahl am Sonntag offenbar haushoch gegen Amtsinhaber Petro Poroschenko durch. Prognosen nach Schließung der Wahllokale sahen den 41-jährigen Selenskij mit über 40 Prozentpunkten vor dem 12 Jahre älteren Poroschenko.
Selenskyj wertete seinen Sieg als wegweisend für viele Länder. "Alle Bürger in den postsowjetischen Ländern, schaut auf uns! Es ist möglich", sagte der prowestliche Komiker nach Bekanntgabe der Prognosen in Kiew. Seinen Wählern versprach er, sie niemals hinters Licht zu führen. Zugleich kündigte er an, den Minsker Friedensplan für den umkämpften Osten wiederzubeleben. "Wir werden die Verhandlungen fortsetzen und bis zum Ende gehen, damit das Feuer eingestellt wird."
Der abgewählte Poroschenko räumte am Abend seine Niederlage ein und gratulierte seinem Herausforderer zum Sieg. "So gehört es sich. So ist es in demokratischen Ländern üblich", sagte Poroschenko vor seinen Anhängern. Zugleich versprach er seinem Nachfolger einen harten politischen Kampf. "Der neue Präsident wird eine starke Opposition haben, eine sehr starke", sagte Poroschenko, der ankündigte, weiter in der Politik zu bleiben.
Höchster Wahlsieg in Geschichte der unabhängigen Ukraine
Die Wahl ist in mehrfacher Hinsicht historisch: Mit Selenskyj kommt in dem Land zwischen der EU und Russland erstmals ein Staatsoberhaupt ohne jedwede Regierungserfahrung ins Amt. Es wäre auch das höchste Ergebnis, das je ein Präsident der unabhängigen Ukraine erzielt hat. Selenskyj, der jüngste Präsident der ukrainischen Geschichte, strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen umstrittenen Nato-Beitritt der Ukraine soll eine Volksabstimmung entscheiden.
Dagegen musste der zuletzt noch in Berlin von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) empfangene Poroschenko nach fünf Jahren im Amt eine Niederlage hinnehmen. Er hatte einen antirussischen Wahlkampf geführt. Poroschenko warnte davor, dass der russische Präsident Wladimir Putin sich das Land unterwerfen wolle. Selenskyj wies dabei Vorwürfe zurück, eine russische Marionette zu sein.
Der Oligarch Poroschenko war nach den proeuropäischen Protesten auf dem Maidan – dem Unabhängigkeitsplatz – in Kiew vor fünf Jahren der große Hoffnungsträger der EU und der USA. Er hatte bereits vor der sich abzeichnenden Wahlschlappe gesagt, jedes Wahlergebnis zu akzeptieren. "Ich verlasse mich auf die Weisheit des ukrainischen Volkes", meinte er am Wahltag.
Selenskij ist bereit zum Dialog mit Russland
Der in seiner Heimat gefeierte Showstar Selenskyj spielt seit Jahren einen Präsidenten in der Comedy-Serie "Sluha Narodu" – zu Deutsch: Diener des Volkes. Wie in der Serie des Fernsehsenders 1+1, in der ein Geschichtslehrer überraschend Staatschef wird, will er nun als "einfacher Mensch", wie er sagt, das von Korruption geprägte System in seiner Heimat zerstören. Er hat zudem erklärt, alles für ein Ende des Krieges im Osten der Ukraine zu tun. Er zeigte sich auch bereit zum Dialog mit Russland.
Kritiker werfen dem Komiker vor, ein Populist ohne echtes Programm für die Zukunft des Landes zu sein. Immer wieder Thema ist auch Selenskyjs Nähe zu dem Oligarchen Igor Kolomoiski, der mit seinem TV-Kanal 1+1 Stimmung gegen Poroschenko machte.
Das zwischen ukrainischen Nationalisten und russlandfreundlichen Bevölkerungsteilen hin und her gerissene Land zu einen, dürfte zu den schwierigsten Aufgaben für den neuen ukrainischen Präsidenten gehören. Viele Menschen hoffen besonders auf mehr Wohlstand – vor allem auf steigende Löhne und Renten sowie sinkende Lebenshaltungskosten.
Schmuddel-Wahlkampf mit Drogentests
Selenskij und Poroschenko hatten sich seit dem ersten Wahlgang vor drei Wochen einen hitzigen Wahlkampf geliefert, der teilweise in eine Schlammschlacht ausartete. Dabei war es unter anderem zu Drogentests und einem turbulenten Rede-Duell im Kiewer Olympia-Stadion gekommen.
Viele Wähler bewerteten das Niveau der Auseinandersetzung negativ. "Ich bin froh, dass der Wahlkampf endlich beendet ist", sagte der 37 Jahre alte Sergej in einem Kiewer Wahllokal. Das TV-Duell im Stadion sei jedoch ein Beweis für die Demokratie in dem Land gewesen, sagte der Mann der Deutschen Presse-Agentur. Gleichzeitig beklagte ein anderer Wähler die vielen Falschnachrichten und Schmutzkampagnen, die den Wahlkampf dominierten. "Das war die schlechteste Wahl, die wir je in der Ukraine hatten", sagte Wladislaw, nachdem er abgestimmt hatte.
Konflikt in Ostukraine dauert nun schon fünf Jahre
Der blutige Konflikt im Osten der Ukraine war eines der wichtigsten Themen. Poroschenko war vor fünf Jahren mit dem Versprechen gewählt worden, den Konflikt schnell zu beenden. Nach UN-Angaben sind bei Kämpfen zwischen Regierungssoldaten und prorussischen Separatisten rund 13.000 Menschen getötet worden. Die Gefechte halten an. Die Umsetzung des 2015 unter anderem durch deutsche und französische Vermittlung vereinbarten Minsker Friedensplans liegt auf Eis.
Rund 30 Millionen Wähler waren in der krisengebeutelten Ex-Sowjetrepublik zur Stimmabgabe aufgerufen. Bis Mittag registrierte die Wahlkommission in Kiew eine leicht höhere Wahlbeteiligung als im ersten Durchgang. Rund 18 Prozent der Wähler gaben bereits am Vormittag ihre Stimme ab. In den Separatistengebieten Donezk und Luhansk im Osten wurde nicht gewählt.
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Zehntausende Polizisten sicherten die rund 30.000 Wahllokale. Vor der Stimmabgabe von Selenskyj entblößte sich eine Aktivistin der ukrainischen Frauenrechtsgruppe Femen. Mit nacktem Oberkörper protestierte die hochschwangere Frau gegen den Favoriten und sagte: "Selenskyj ist eine Katze im Sack." Niemand wisse, in welche Richtung die Ukraine unter ihm steuere.
Sowohl in der Europäischen Union als auch im benachbarten Russland wurde die Abstimmung mit großem Interesse verfolgt. Der prominente russische Außenpolitiker Konstantin Kossatschow sprach von einer "krachenden Niederlage" für Amtsinhaber Poroschenko. Er ergänzte, noch sei es zu früh, mit dem Sieg von Selenskyj Hoffnungen zu verbinden. Aber Russland wünsche ihm, dass er ein eigenständiger Präsident eines unabhängigen Landes werden könne.
- Nachrichtenagentur dpa