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Zum journalistischen Leitbild von t-online.NGOs in Ungarn "Wir leiden und deutsche Steuerzahler bezahlen dafür"
Die ungarische Regierung geht schon länger gegen Nichtregierungsorganisationen vor. Vor der Wahl erzählt David Vig vom ungarischen Helsinki-Komitee, warum seiner Organisation das Aus droht.
Am Sonntag wählen die Ungarn ein neues Parlament. Umfragen zeigen, dass die Regierungspartei Fidesz von Premierminister Viktor Orban auch diesmal wieder deutlich gewinnen wird. Orban regiert seit acht Jahren und hat in dieser Zeit das Land extrem verändert.
Seit einiger Zeit geht er intensiv gegen Nichtregierungsorganisationen vor und folgt damit einer Strategie, die Russland seit Jahren anwendet, und von der auch andere Staaten wie Ägypten und Israel gelernt haben.
Das Ungarische Helsinki-Komitee beobachtet seit 1989 die Menschenrechtslage im Land. Außerdem unterstützt die NGO Häftlinge und Flüchtlinge juristisch. Gefördert wird das Helsinki-Komitee unter anderem von den Vereinten Nationen und der EU. Vergleichbare Gruppen gibt es in vielen anderen Ländern.
David Vig arbeitet für das Helsinki-Komitee. Im Interview mit t-online.de beschreibt er, warum seiner Organisation das Aus droht – und warum das auch Deutschland etwas angeht.
Herr Vig, Sie arbeiten für eine Menschenrechtsorganisation, ich interviewe Sie und gebe Ihnen damit im Ausland die Möglichkeit, die Regierung zu kritisieren. Zerstöre ich gerade die ungarische Gesellschaft?
Das müssten sie die Regierung fragen, gut möglich, dass die das so sieht. Regierungsmitarbeiter haben internationalen Journalisten schon häufiger unterstellt, sie würden unfair berichten. Posten Sie den Artikel doch einfach auf Twitter und schauen Sie, was passiert.
Was könnte denn passieren?
Als ich neulich ein Foto des deutschen Staatsministers Michael Roth mit mir geteilt habe, veröffentlichte eine Nachrichtenseite einen Artikel, in dem es hieß, George Soros greife Ungarn durch ein deutsches Regierungsmitglied an.
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Premierminister Viktor Orbans hat den amerikanisch-ungarisch-jüdischen Milliardär Soros zum Hauptfeind erklärt, weil seine Stiftung auch viele NGOs fördert. Es gibt eine Website, die "Stop Soros" heißt, Plakate mit diesem Schriftzug, ein Gesetzespaket, das bald verabschiedet werden soll, heißt so. Damit soll die Arbeit von NGOs, die Migranten helfen, erschwert werden - das würde auch Sie treffen. Wie ist das Verhältnis Ihrer Organisation zur Regierung?
Wir haben kein Problem mit Parteien oder Politikern, solange sie Menschenrechte achten. Das Helsinki-Komitee wurde 1989 gegründet und hat sich nicht verändert, wir haben immer Menschenrechtsprinzipien geschützt. Janos Lazar, Orbans rechte Hand, war vor Jahren selbst Menschenrechtsbeobachter beim Helsinki-Komitee. Aber seit ein paar Jahren schleift Orban den Rechtsstaat, die Demokratie und die Menschenrechte. Jetzt verleumdet die Regierung NGOs. Kürzlich haben wir die Regierung deshalb sogar verklagt.
Weil die in einem Fragebogen an die Bürger behauptet hatte, das Helsinki-Komitee unterstütze straffällige illegale Migranten.
Was gelogen ist. Das hat uns die Regierung in den Mund gelegt. Es handelte sich um einen Angriff auf unseren guten Namen. Dagegen mussten wir uns wehren.
Sie haben gewonnen.
In der ersten Instanz, ja. Aber ich gehe davon aus, dass die Regierung das Urteil anficht.
Normalerweise loben demokratische Regierungen die Zivilgesellschaft. In Diktaturen werden solche Organisationen oft bekämpft. Was sagt uns das über Ungarn?
Bei der Wahl vor acht Jahren hat Orbans Fidesz eine Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen. Seitdem hat sie die Macht, die Verfassung zu ändern, die Rolle der Gerichte zu verändern, Richter zu entlassen, einen neuen Generalstaatsanwalt einzusetzen. Sie hat Ungarn in Richtung Autokratie verschoben. Jetzt sind NGOs dran.
Ein Verfassungsgericht ist mächtig, aber eine NGO? Überschätzen Sie ihre eigene Bedeutung?
NGOs wie das Helsinki-Komitee dokumentieren Einschränkungen der Gewaltenteilung oder Polizeigewalt. Manchmal kritisieren wir also auch die Regierung, so ist das in einer Demokratie. NGOs sind unabhängig und sie sprechen auch im Ausland. Das schmerzt die Regierung, deshalb verleumdet sie uns als Agenten ausländischer Interessen. Wir sollen stigmatisiert werden.
Wann hat das angefangen?
Die systematischen Angriffe auf NGOs begannen 2014. Damals hat die Regierung alle Organisationen attackiert, die über EEA-Töpfe Geld vom norwegischen Staat bekommen. Sie hat Ermittlungen gegen sie eingeleitet, auch wenn nie Irregularitäten gefunden wurden. Da ging es gegen Organisationen, die sich für Frauenrechte, LGBT oder die Umwelt einsetzen. Im vergangenen Jahr wurde dann ein Gesetz verabschiedet, das NGOs, die Geld aus dem Ausland bekommen, sie stigmatisiert und die Unterstützung aus dem Ausland als Gefahr für die Interessen Ungarns darstellt. Dafür hilft die Regierungspartei unkritischen Organisationen bei der Gründung. So etwas kennt man aus Aserbaidschan oder Russland.
Russlands Politik gegen NGOs scheinen sich auch andere Staaten zum Vorbild zu nehmen. Gibt es Unterschiede?
In Ungarn müssen Menschenrechtsaktivisten noch nicht fürchten, ins Gefängnis geworfen zu werden.
Werden Sie sonst angegriffen oder bedroht?
Wir werden verbal massiv bedroht. Telefonisch, per Mail, per Post. In Budapest ist es relativ sicher, anders als auf dem Land. In Öcseny, einem kleinen Dorf, wollte eine Organisation anerkannte Flüchtlinge unterbringen, um Urlaub zu machen. Beim Protest dagegen wurde das Auto des Hotelbesitzers zerstört. Und Viktor Orban sagte, er sehe nichts Falsches an den Protesten. Natürlich nicht, Orban hat diese Wut ja geschürt.
Hat sich Ihre Arbeit durch die Gesetze überhaupt schon verändert?
Ja, sehr. Wir hatten Kooperationsabkommen mit der Polizei, der nationalen Gefängnisdienst und der Einwanderungsbehörde. Wir konnten Menschen juristisch unterstützen und Nachforschungen anstellen. Die wurden alle im Sommer 2017 gekündigt. Außerdem muss man sich registrieren und stigmatisieren lassen, wenn man Geld aus dem Ausland bekommt. Wir veröffentlichen unsere Unterstützer und sind transparent, aber das haben wir verweigert. Das hatte noch keine Konsequenzen, aber es wird wohl eine Reaktion der Regierung geben, wenn wir bald unseren Jahresbericht vorstellen.
Was könnte im schlimmsten Fall passieren?
Im schlimmsten Fall könnte unsere Organisation aufgelöst werden.
Würden Sie dann die Auflagen erfüllen?
Wir lassen das Verfassungsgericht und den EGMR das Gesetz prüfen. Sollten wir dort verlieren, müssen wir uns vielleicht fügen. Man muss bedenken, dass wir vielen tausend Menschen jedes Jahr helfen – die würden auf einen Schlag kostenlosen Rechtsbeistand verlieren.
Was könnte passieren, sollte nach der Wahl das neue „Stop Soros“-Gesetzespaket verabschiedet werden?
Das Gesetz trifft alle Organisationen, die Migranten in irgendeiner Form unterstützen. Nicht nur illegale Migranten, alle Migranten! Wer weitermachen wollte, müsste beim Innenminister eine Lizenz beantragen. Dann würde der Geheimdienst prüfen, ob die Organisation eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellt. Unabhängig vom Ergebnis könnte der Minister eine Lizenz verweigern. Machte man trotzdem weiter, drohte die Auflösung.
Und wenn man eine Lizenz bekäme?
Dann müsste man fortan 25 Prozent auf alle Spenden aus dem Ausland zahlen. Wir bekommen den Großteil ihrer Mittel von Soros‘ Open Society Foundation, den Vereinten Nationen und der EU. Das würde extrem schmerzen.
Aber auch Individuen wären betroffen.
Ja, der Innenminister hätte das Recht, jedem zu untersagen, sich der Schengengrenze weiter als bis auf acht Kilometer zu nähern – wenn eine Gefahr für Ungarn ausgeht oder Migranten geholfen würde. Das könnte eventuell auch Journalisten treffen, die über die Situation an der Grenze berichten wollen.
Unterstützen die anderen Parteien die NGO-Gesetze?
Als im Parlament über das neue Gesetzespaket gesprochen wurde, waren die Oppositionsparteien dagegen.
Was erwarten Sie von der Wahl?
Falls es eine zwei-Drittel-Mehrheit für Fidesz gibt, wird die Regierung das Anti-NGO-Paket durchsetzen. Das würde immensen Schaden anrichten. Die Fidesz-Mehrheit hätte auch die Möglichkeit, die Unabhängigkeit der Justiz weiter anzugreifen.
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Der Politikwissenschaftler Cas Mudde sagt, dies sei die letzte Chance, die Zerstörung der ungarischen Demokratie aufzuhalten. Ist das zu alarmistisch?
Die meisten unabhängigen Institutionen wurden bereits unter Kontrolle der Regierungspartei gestellt. Nur die Justiz ist noch relativ unabhängig und hat die Erosion der Demokratie immer wieder gebremst. Würde diese Unabhängigkeit weiter angegriffen, gäbe es keinen Schutz mehr für Kritiker, Journalisten oder Anti-Korruptions-Aktivisten. All das geht übrigens auch Deutsche an, weil viele EU-Gelder nach Ungarn fließen und gestohlen werden: Wir leiden und deutsche Steuerzahler bezahlen dafür.
- Eigene Recherchen
- Bericht auf "N-TV" über die Proteste in Öcseny