Ungarn wählt Orbans Wahlkampf mit Verschwörungstheorien
Viktor Orban gilt als schärfster Kritiker der Migrationspolitik der Europäischen Union. An diesem Sonntag dürften die Ungarn ihn wiederwählen. Neue Konflikte mit der EU scheinen programmiert.
Im ungarischen Parlamentswahlkampf gab es für den rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orban vor der Abstimmung an diesem Sonntag nur ein großes Thema: die Migration. Und zwar oft in Verbindung mit angeblichen Machenschaften des US-Milliardärs George Soros. Als Strippenzieher hinter der Europäischen Union steuere der aus Ungarn stammende Holocaust-Überlebende die Massenzuwanderung von Muslimen nach Europa, behauptete Orban. Soros' angebliches Ziel sei es, die Völker des alten Kontinents ihrer "christlichen und nationalen Identität" zu berauben.
Es ist eine krude antisemitische Verschwörungstheorie – Orban ließ sie aber im ganzen Land wie ein Mantra verbreiten. Denn sie eignet sich auch bestens zur Diffamierung regierungskritischer Zivilorganisationen. Etliche von ihnen werden vom 87 Jahre alten Soros unterstützt. Denn der Milliardär setzt sich weltweit für Demokratie und Menschenrechte ein.
Für Orban sind die Aktivisten der Organisationen "Soros-Söldner", eine "geldgierige Armee". 2000 von ihnen seien der Regierung "namentlich" bekannt, sagte Orban kürzlich im staatlichen Rundfunk. "Wir wissen genau, wer daran arbeitet, Ungarn zu einem Einwanderungsland zu machen, und wie er das tut." Sie würden dafür bezahlt, auf einen Sturz der Regierung hinzuarbeiten. Bluffte Orban – oder werden in Ungarn tatsächlich Menschen, die sich für Flüchtlinge, Obdachlose oder Roma engagieren, geheimdienstlich überwacht?
Opposition ist gespalten
Nicht nur die Propaganda wirkt, auch die Spaltung der Opposition steigert Orbans Chancen. Die Umfragen sprechen eine deutliche Sprache. Das Institut Republikon sieht die Orban-Partei Fidesz vor der Wahl bei 41 Prozent. Abgeschlagen folgen die rechtsradikale Jobbik mit 21 und die sozialdemokratische MSZP mit 19 Prozent.
Das ungarische Wahlrecht begünstigt zudem die relativ stärkste politische Kraft – derzeit Orbans Fidesz. 106 der 199 Parlamentsmandate werden in Einzelwahlkreisen vergeben. Eine relative Stimmenmehrheit reicht, um das jeweilige Direktmandat zu erringen. Die Orban-Partei darf deshalb auf eine absolute Mehrheit der Mandate hoffen.
Balazs Böcskei, politischer Analyst der Budapester Denkfabrik Idea Institut, glaubt: "Solange die Opposition zersplittert ist, reicht diese Migranten- und Flüchtlingskampagne aus, damit Orbans Wählerschaft geeint zusammensteht."
Journalist Paul Lendvai nennt ein weiteres Problem. "Leider gibt es für jene, die politisch rechts stehen und enttäuscht von Orban sind, keine demokratische konservative Alternative wie etwa Deutschlands CDU oder eine Macron-ähnliche Partei wie in Frankreich", sagt er. "Wer wütend auf Orban ist, kann das nur zeigen, indem er nicht zur Wahl geht."
Im Amt bestätigter Orban würde die EU wohl aufmischen
Die wahrscheinliche Wiederwahl Orbans fällt in eine für die EU kritische Zeit. Italien ist nach der Parlamentswahl durch ein politisches Patt gelähmt, während die EU-Mitglieder um Reformen der Union, um einen neuen Haushaltsrahmen und um eine Asylreform ringen. Ein vor Selbstbewusstsein strotzender, im Amt bestätigter Orban würde die Suche nach Kompromissen im EU-Rat – dem letztlich entscheidenden Gremium der Staats- und Regierungschefs – nicht leichter machen.
"Er wird sicher einer der schwierigsten Verhandlungspartner sein", sagt Stefan Lehne vom Thinktank Carnegie Europe. "Aber es ist auch nicht ausgeschlossen, dass man sich mit ihm einigt." Bundeskanzlerin Angela Merkel und die übrigen EU-Staats- und Regierungschefs wollen bis Juni eine Asylrechtsreform unter Dach und Fach bringen. Von Ungarns starkem Mann droht Ungemach. "Eine verbindliche Quote kommt nicht in Frage", sagte Orban kategorisch, als er jüngst den CSU-Europapolitiker Manfred Weber empfing. Der Ungar weiß dabei auch andere mittel- und osteuropäische Länder an seiner Seite.
Orban ist auf die EU angewiesen
Orbans Starrsinn kann eine Schwachstelle allerdings nicht verbergen: Das wirtschaftliche Wohl seines Landes hängt in hohem Maße von EU-Förderungen ab – es handelt sich um rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Transferzahlungen sind Ausdruck der Solidarität in einer wirtschaftlich ungleich entwickelten EU.
Kann man von den Empfängern im Gegenzug etwas Solidarität bei der Bewältigung der Flüchtlingsfrage erwarten? Merkel scheint die Frage zu bejahen. Jüngst brachte sie die Idee ins Spiel, die Fördermittel des nächsten Finanzrahmens von 2021 an von einer konstruktiven Haltung der Empfänger in der Asylfrage abhängig zu machen.
Zu einem abrupten Bruch mit der EU wird es der streitbare Ungar deshalb wohl nicht kommen lassen, meint man in Brüssel. "Orban ist ein extrem intelligenter Politiker, und er ist sehr gut vernetzt, auch mit der CSU in Deutschland", sagt Carnegie-Forscher Lehne. "Seine Politik ist nicht pro-europäisch, aber er weiß ziemlich genau, wie weit er gehen kann."
- dpa, AP