Pressestimmen zu Frankreich "Der dünne Damm ist gebrochen"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Sieg des Front National bei den französischen Regionalwahlen stand schon vorher fest. 30,2 Prozent haben die Rechtsextremen am Sonntag erreicht und sind damit stärkste Partei geworden - ein Dammbruch in Richtung Europa- und Fremdenfeindlichkeit, sagen Europas politische Kommentatoren.
Der Chefredakteur von Frankreichs führender konservativer Tageszeitung "Le Monde", Jérôme Fenoglio, hatte bereits am Samstag vorab gewarnt, ein Wahltriumph der Rechtsextremen wäre "eine ernste Bedrohung für das Land". Die Positionen von Parteichefin Marine Le Pen liefen "den republikanischen Werten, dem nationalen Interesse und dem Bild Frankreichs in der Welt zuwider".
Heute fordert die linke Tageszeitung "Libération" einen Bund zwischen Sozialisten und Konservativen:
"Ein Drittel der Franzosen hat die Front National gewählt, aber zwei Drittel lehnen ihre Politik ab. Unter diesen Voraussetzungen muss sich die klassische Logik des wichtigsten Feindes durchsetzen. Jeder wirkliche Republikaner muss einsehen, dass ihm das Schlimmste noch bevorsteht. Deshalb muss er alles tun, um das zu verhindern."
"Le Figaro" hingegen drückt vor allem ihr Grauen vor einer rechts-geprägten Zukunft aus:
"Für Frankreich ist es ein Sprung ins Unbekannte. Die politischen Folgen werden weit über die Ergebnisse des zweiten Wahlgangs hinaus ihre Spuren hinterlassen. Das politische Frankreich besteht jetzt aus drei Teilen. Das wird auf Dauer die traditionellen Parteien schwächen, die jetzt schon völlig ratlos erscheinen."
Die "Badischen Neuesten Nachrichten" sehen einen Dammbruch:
"Die Kompetenzen der französischen Regionen sind im Vergleich zu den deutschen Bundesländern gering. Trotzdem ist die erste Runde der Regionalwahlen ein Ereignis, das weit über Marseille oder Lille hinausgeht. Denn es zeigt die gefährliche Dynamik, der Frankreich seit den Präsidentschaftswahlen 2012 unterliegt. Es ist eine Dynamik, die die von den anderen Parteien enttäuschten Wähler massiv nach Rechtsaußen treibt. Hin zu den vereinfachenden Lösungen der rechtspopulistischen Nationalen Front (FN). Der dünne Damm, der Rechtsbürgerliche noch davon abhielt, für die radikal europa- und einwanderungsfeindliche Partei zu stimmen, ist gebrochen."
Die "Aachener Nachrichten" stellen den Zusammenhang zwischen Terror-Angst und den simplen Parolen der Rechten heraus:
"Regionale Themen haben diese Wahl kaum bestimmt. Wie sollten sie es auch? Liegen doch die fürchterlichen Attentate von Paris nicht einmal einen Monat zurück. Seit dem 13. November hat sich in Frankreich vieles verändert. Die Franzosen stehen unter Schock. Sie haben Angst vor dem islamistischen Terror. Vor diesem Hintergrund fruchten Le Pens Parolen gegen eine Islamisierung, für einen Aufnahmestopp von Flüchtlingen und außerdem für eine Abschaffung des Schengenraums. In Zeiten der Angst funktionieren diese simplen Parolen noch besser als ohnehin schon."
Dazu erklärt die Ludwigshafener "Rheinpfalz":
"Das Familienunternehmen Le Pen (...) konnte es für die Regionalwahlen dabei belassen, die üblichen Beruhigungsmittel zu reichen - Feindbilder, bei deren Anblick Angst in Zorn umschlägt. Auch sie sind hinlänglich bekannt: Einwanderer, Muslime, Europa. Mehr hat es nicht gebraucht - und mehr hat der Front National ja auch nicht zu bieten. Das Programm der Rechtspopulisten ist nicht dazu angetan, angstbesetzte Probleme zu entschärfen, etwa dem Terror Einhalt zu gebieten oder einen Wirtschaftsaufschwung herbeizuführen."
Die "Saarbrücker Zeitung" blickt bang in die Zukunft:
"Der rechtspopulistische Front National (FN) wurde gestern landesweit stärkste Kraft - wie schon bei den Europawahlen im vorigen Jahr. (.) Die Tochter von Parteigründer Jean-Marie Le Pen hat die Themen gesetzt in diesem Wahlkampf, auch für die kommenden Jahre."
Die Lüneburger "Landeszeitung" sieht in dem Erstarken rechter Parolen eine größere Herausforderung, als in der Flüchtlingskrise:
"Marine Le Pen trieb ein perfides Spiel mit den Ängsten der Bürger. Und reiht sich damit ein in die Liste der Populisten,der Rechstextremen, der Demagogen in Europa, deren Erfolge allesamt auf der Angst vor Überfremdung der eigenen Nation und dem islamistischen Terror basieren. Diese gleichermaßen bedenkliche wie erschreckende Entwicklung scheint eine noch größere Herausforderung als die Flüchtlingskrise zu werden."
Laut der italienischen "La Stampa" sieht nichts weniger als einen Gezeitenwechsel im politischern Gefüge Europas:
"Es ist eine Wahl, die etwas viel Tieferes anzeigt, es ist die Überwindung des politischen Schemas des 20. Jahrhunderts, es platzen die Kategorien, in denen sich die Parteien der westlichen Demokratien geformt haben. 40 Prozent der Stimmen für Marine le Pen und ihre Nichte Marion in den zwei Regionen, in denen sie Kandidatinnen waren, entsprechen der Summe der Stimmen für die Rechte und die Linke, Ex-Gaullisten und Sozialisten. (...) All das kann man nicht mehr mit der alten Formel der Protestwahl erklären. Das reicht nicht mehr. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass sich die Politik verändert, die alten Formeln nicht mehr taugen. (...) Das Land ist schon woanders."
Die liberale spanische Tageszeitung "El Mundo" spricht gar von einer "Sintflut":
"In dem in Frankreich herrschenden Klima der Angst ist die extreme Rechte unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Ihr Erfolg bedeutet eine politische Sintflut im Land der Gleichheit und Brüderlichkeit. Staatspräsident François Hollande hatte nach den Terroranschlägen in Paris zwar an Ansehen gewonnen, aber dies konnte den Absturz seiner Sozialistischen Partei nicht verhindern, die für die in Frankreich herrschenden Krisen keine Lösung weiß."
Der linksliberale britische "Guardian" sieht die Schuld bei dem sozialistischen Präsidenten Frankreichs:
"Präsident François Hollande hat nach den Anschlägen vom 13. November in Paris möglicherweise neue Unterstützung gewonnen, doch seine sozialistische Regierung hat in wirtschaftlicher Hinsicht kläglich versagt. Die Politik ist so gegensätzlich geworden, dass eine Allianz zwischen den Sozialisten und den Republikanern von (Ex-Präsident) Nicolas Sarkozy bei der zweiten Runde höchst unsicher erscheint."