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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schicksalswahl in Osteuropa Das ist erst der Anfang
Die Republik Moldau liegt eingepfercht zwischen der EU und dem Kriegsgebiet Ukraine. Für Moskau ist das Land nicht nur deshalb besonders interessant: Einfluss in Chișinău lässt sich der Kreml schon mal Hunderte Millionen kosten.
Kurz vor dem Stichtag griffen die Sicherheitsbehörden noch einmal durch. Anfang Oktober gab es in der Republik Moldau 25 Hausdurchsuchungen an nur einem Tag. Das Ziel: die Aushebung eines pro-russischen Netzwerks, das die Präsidentschaftswahlen manipulieren wollte. Das Ergebnis: die Beschlagnahmung von Geldern in Höhe von knapp einer Million Euro. Und das ist wohl nur die Spitze des Eisbergs.
Insgesamt seien vermutlich gut 130.000 Wählerinnen und Wähler involviert, teilte die moldauische Polizei im Anschluss mit. Allein im vergangenen September sollen dafür mehr als 13 Millionen Euro aus Russland an Bürger in Moldau geflossen sein, laut der moldauischen Denkfabrik Watch Dog sogar seit Januar knapp 100 Millionen Euro. Damit sollen Stimmen für russlandnahe Kandidaten oder Parteien gekauft werden. Moskau lässt es sich offenbar einiges kosten, die Stimmung in dem kleinen Land zu seinen Gunsten zu beeinflussen.
Schicksalstag in Moldau: Präsidentschaftswahl und EU-Referendum
Und das kommt nicht von ungefähr: Die Republik Moldau steht dieser Tage vor einer Schicksalswahl. Denn wie in vielen Ex-Sowjetrepubliken ringen auch dort pro-russische und pro-europäische Kräfte um die Macht.
Darüber hinaus aber bekommt die Abstimmung an diesem Sonntag zusätzliche Brisanz: Denn die Bürger sollen zusätzlich in einem Referendum entscheiden, ob die Annäherung an die EU in die Verfassung des Landes aufgenommen werden soll. Russland ist besonders dieses Referendum ein Dorn im Auge. Und so ist die aktuelle russische Manipulationskampagne wohl nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen könnte.
Der Ukraine-Krieg distanzierte Moldau von Russland
Der Beitritt zur EU ist das große Ziel der amtierenden Präsidentin Maia Sandu. Moldau liegt zwischen dem EU-Mitglied Rumänien und der Ukraine. Lange war die kleine Republik hin- und hergerissen zwischen einer Annäherung an den Westen und der Beibehaltung der engen Verbindungen zu Moskau aus der Sowjetzeit.
- Tagesanbruch: Putins nächstes Opfer
Als Präsidentin Sandu 2020 ihr Amt antrat, versprach sie zunächst ausgewogene Beziehungen sowohl zum Westen als auch zu Russland. Doch nach Moskaus groß angelegter Invasion des Nachbarlands Ukraine verschlechterte sich das Verhältnis zum Kreml deutlich. Kurz nach Russlands Überfall auf die Ukraine beantragte Moldau den Beitritt zur EU.
Im vergangenen Juni starteten offiziell die Beitrittsgespräche mit Brüssel. Umfragen im Vorfeld des Referendums stellen zudem eine Zustimmung zur EU-Annäherung von mehr als 60 Prozent in Aussicht. Doch der Weg zum Mitgliedsstatus ist noch immer weit.
Maia Sandus Kampf gegen die Korruption
Die Korruption ist dabei eines der größten Probleme, und der Kampf gegen sie eines der Kernthemen von Sandu. Insbesondere der Justizsektor ist davon betroffen. Bis zu Sandus Machtübernahme 2020 galt Moldau als sogenannter "captured state", also als ein Staat, der durch und durch korrumpiert ist und von äußeren Mächten gesteuert wird. Richter und Staatsanwälte standen auf Gehaltslisten von Oligarchen, die mit dem Kreml in Verbindung stehen. Sandu wollte dann durchgreifen – und stieß dabei auf massiven Widerstand.
Bisher zumindest hat die Justizreform kaum gefruchtet. Richter und Staatsanwälte wurden überprüft, einige entlassen, andere sind selbst gegangen. Doch die Neuaufstellung des Justizsektors mit nicht korrumpiertem Personal gestaltet sich schwierig, da es schlicht an geeigneten Kandidaten fehlt.
Das zeigt auch der Fall von Alexandr Stoianoglo. Einst war er Generalstaatsanwalt, dann aber entließ ihn Maia Sandu wegen Korruptionsvorwürfen. Bei den Präsidentschaftswahlen tritt er nun als Kandidat für die Sozialisten an. In Umfragen liegt er derzeit abgeschlagen mit zwischen zehn und zwölf Prozent auf Platz zwei hinter Amtsinhaberin Sandu (rund 36 Prozent).
Der Konflikt in Gagausien
Stoianoglo stammt aus dem autonomen Gebiet Gagausien im Süden Moldaus. Hier droht ein neuer Konflikt auszubrechen, denn Russland hat die Region als neues Einfallstor in die Republik Moldau auserkoren. Aktuell regiert dort eine Gouverneurin, die dem pro-russischen Oligarchen Ilan Șor nahesteht. Șor wurde 2017 wegen seiner Verwicklung in den Raub von rund 700 Millionen Euro aus dem moldauischen Bankensystem zu einer Haftstrafe verurteilt. 2019 aber gelang ihm zunächst die Flucht nach Israel und später nach Russland, deren beide Staatsbürgerschaften er hält.
Aus dem Ausland heraus beeinflusst der Oligarch weiterhin die moldauische Politik. Im Winter 2022/23 organisierte seine mittlerweile verbotene Șor-Partei Massenproteste gegen Sandus Regierung, die sich vor allem an der schwierigen wirtschaftlichen Lage und gestiegenen Energiepreisen im Zuge des Ukraine-Kriegs entzündeten. In Moldau, einem der ärmsten Länder Europas, verfangen solche Themen leicht. 2021 verdienten die rund 2,5 Millionen Moldauer pro Kopf nur rund 5.000 Euro jährlich.
Mit diesen Themen versuchen Ilan Șor und Moskau auch in Gagausien zu punkten. Anders als in der zweiten Konfliktregion des Landes, Transnistrien, hat es Russland in Gagausien jedoch bisher deutlich schwerer. Während der Kreml in Transnistrien mit rund 1.500 Soldaten präsent ist, gibt es eine solche Stationierung in Gagausien nicht. So ist es komplizierter, Separatistenbewegungen zu unterstützen. Dennoch bleibt der russische Einfluss ein Risiko für die Regierung in Chișinău.
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Moskaus Narrative in Moldau
Im Vorfeld der Wahlen hat es Russland nicht geschafft, einen Kandidaten zu installieren, der Amtsinhaberin Sandu ernsthaft gefährlich werden könnte. Moskau konzentriert sich deshalb auf das EU-Referendum. Dabei verfolgen die pro-russischen Kräfte in Moldau zwei Strategien. Einerseits versuchen sie, die Moldauer dazu zu bewegen, gar nicht erst abzustimmen. Für ein erfolgreiches Referendum muss mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten abstimmen. Selbst eine schwache Wahlbeteiligung wäre zudem ein Rückschlag für Sandus Pro-EU-Kurs.
Andererseits versuchen pro-russische Kräfte, möglichst viele Menschen dazu zu bewegen, gegen die EU-Annäherung zu stimmen. Dabei versuchen sie einerseits, den Pro-EU-Kurs zu diskreditieren: Moldau sei nicht bereit, Europa ohnehin kein starker Partner und ein EU-Beitritt deshalb gar nicht empfehlenswert, lauten die Narrative. Andererseits wird mit der Kriegsangst gespielt: Ein EU-Beitritt sei eine Kriegserklärung an Russland, heißt es dann etwa.
Russlands hybrider Krieg ist längst nicht am Ende
Dieses Beispiel sowie die Massenproteste im vorvergangenen Winter machen deutlich, dass Russland neben dem Kauf von Stimmen oder gleich ganzer Parteien in Moldau vor allem auf Desinformationskampagnen setzt. Experten gehen davon aus, dass Moskau derzeit mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen und das EU-Referendum seinen Instrumentenkasten lediglich antestet. Das eigentliche Ziel liegt wohl im kommenden Jahr: die Parlamentswahlen.
Russland wird es voraussichtlich weder gelingen, Sandus Wiederwahl noch die Zustimmung zur EU-Annäherung zu verhindern. Deshalb geht es nun darum, die Ergebnisse für Sandu bei beiden Abstimmungen so niedrig wie möglich zu halten. Sobald die Präsidentschaftswahlen abgeschlossen sind, wird sich die Präsidentin erneut im Wahlkampf befinden. Bis zu den Parlamentswahlen im Juli sind dann wohl keine größeren Reformen mehr zu erwarten.
Bis dahin gewinnt Russland Zeit, um seinen Keil tiefer in die moldauische Gesellschaft zu treiben. Gewinnen dann pro-russische Kräfte eine Mehrheit im Parlament in Chișinău, so wären Sandu weitestgehend die Hände gebunden, um ihren Pro-EU-Kurs mit ganzer Kraft fortzusetzen. Moskaus hybrider Krieg im Osten Europas ist längst nicht am Ende.
- Eigene Recherche
- kas.de: "Die Republik Moldau vor der Präsidentschaftswahl und dem EU-Referendum. Wählt Moldau Optimismus?"
- sceeus.de: "Russia’s Hybrid War Against Moldova" (englisch)
- swp-berlin.de: "Justice Reform as the Battleground for Genuine Democratic Transformation in Moldova" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters