Lage im Überblick Verhandler in Gaza-Gesprächen zeigen vorsichtigen Optimismus
Seit Monaten ringen die Verhandler im Gaza-Konflikt um ein Abkommen. Die jüngste Zuversicht harmoniert nicht unbedingt mit dem Starrsinn der Entscheidungsträger.
Während im Gaza-Krieg die indirekten Verhandlungen in Kairo über eine Freilassung israelischer Geiseln weitergehen, lässt das Blutvergießen in dem abgeriegelten Küstenstreifen nicht nach. Der palästinensische Katastrophenschutz zog eigenen Angaben zufolge im Viertel Schedschaija im Osten der Stadt Gaza die Leichen von 60 getöteten Palästinensern aus den Trümmern. Israels Armee hatte dort am Mittwoch einen zweiwöchigen Einsatz beendet und nach eigener Darstellung Dutzende Kämpfer der islamistischen Hamas getötet und acht Tunnel zerstört.
Die Angaben der verschiedenen Seiten ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Nach Darstellung des von der Hamas kontrollierten Katastrophenschutzes habe das israelische Militär 85 Prozent der Wohngebäude in Schedschaija zerstört. "Das Stadtviertel ist jetzt ein Katastrophengebiet, das nicht mehr bewohnbar ist", hieß es in einer Mitteilung der Organisation. Israels Militär setzte indes seine Einsätze gegen die Islamisten-Miliz an mehreren Stellen des Gazastreifens fort.
Die seit Monaten laufenden indirekten Verhandlungen über ein Geisel-Abkommen sollen in Kairo weitergehen. Eine Delegation des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet und der israelischen Armee reise in die ägyptische Hauptstadt, teilte das Ministerpräsidentenamt in Jerusalem mit. Israel verhandelt nicht direkt mit der Hamas, als Vermittler fungieren Ägypten, Katar und die USA.
Bei den schleppend verlaufenden Gesprächen geht es um den Austausch der verbleibenden Geiseln gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen und um Wege zu einer dauerhaften Waffenruhe im Gaza-Krieg. Die Hamas fordert, dass Israel den Krieg schnell beendet. Israel wiederum möchte sich die Option auf ein militärisches Eingreifen in Gaza auch nach einer Freilassung der Geiseln offenhalten.
Vorsichtiger Optimismus
Wegen der gegensätzlichen Ansichten kam der Verhandlungsprozess zuletzt zum Erliegen und setzte erst kürzlich wieder ein, nachdem die Hamas Medienberichten zufolge bei einigen ihrer Positionen Flexibilität gezeigt hatte. Nach einer letzten Runde am Mittwoch in der katarischen Hauptstadt Doha zeigten einige Teilnehmer vorsichtigen Optimismus. "Wir sehen Fortschritte. Wir sehen die Möglichkeit, dass ein Abkommen erzielt wird", sagte der US-amerikanische Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan in Washington. "Garantieren können wir das nicht", fügte er hinzu. "Da müssen noch eine Menge Details festgeklopft werden." Ähnlich hatten sich zuvor israelische Regierungsbeamte geäußert. "Wir sind einer Übereinkunft über die Prinzipien eines Deals nahe", zitierte der israelische TV-Sender Channel 13 einen von ihnen.
Bei seiner Abschlusspressekonferenz im Rahmen des Nato-Gipfels in Washington äußerte sich auch US-Präsident Joe Biden optimistisch. "Der Trend ist positiv", sagte er. Beide Seiten hätten einem von ihm vorgestellten Plan zugestimmt. Nun gehe es darum, die Einzelheiten auszuarbeiten.
Netanjahu und Hamas weiter auf Kollisionskurs
Die Entscheidungsträger beider Seiten halten hingegen zumindest nach außen hin an ihren unversöhnlichen Positionen fest. "Die Mörder von der Hamas klammern sich immer noch an Forderungen, die den Grundzügen (eines Geisel-Abkommens) widersprechen und die Sicherheit Israels gefährden", sagte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei einer Feier zum Abschluss eines Ausbildungsjahrgangs für Offiziere.
Netanjahu bekräftigte seine Forderungen, dass Israel auch nach der Freilassung der Geiseln den Krieg fortsetzen und strategische Stellen im Gazastreifen militärisch besetzt halten werde. Die Hamas-Führung wiederum warf ihm vor, die laufenden Verhandlungen zu "verzögern" und zu "sabotieren". Weiter behaupteten die Islamisten in einer Erklärung, dass sie von den Vermittlern keine Informationen über die Ergebnisse der Gespräche mit der israelischen Seite erhalten hätten.
Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1.200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober 2023 in Israel verübt hatten. Dabei hatten sie auch 250 Menschen als Geiseln nach Gaza verschleppt.
Nach mehr als neun Monaten Krieg steht Israel wegen der vielen Opfer unter der palästinensischen Bevölkerung und der immensen Schäden an Bausubstanz und Infrastruktur im abgeriegelten Küstenstreifen international in der Kritik.
Nach einer aktuellen Mitteilung der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden bislang 38.345 Palästinenser getötet und weitere 88.295 verletzt. Die Zahlen machen keinen Unterschied zwischen Zivilisten und bewaffneten Kämpfern und lassen sich unabhängig nicht überprüfen.
Selbstkritik der Armee
Eine interne Untersuchung der israelischen Armee über ihre Rolle bei dem Massaker palästinensischer Terroristen am 7. Oktober in einem Kibbuz räumt indes das Scheitern des Militärs ein. "Die Untersuchungskommission stellt fest, dass die israelischen Streitkräfte bei ihrem Auftrag, die Bewohner des Kibbuz Beeri zu schützen, versagt haben", heißt es in dem veröffentlichten Bericht.
Allein im Kibbuz Beeri nahe der Gaza-Grenze töteten die Terroristen 101 Zivilisten. Weitere 30 verschleppten sie in den Gazastreifen, 11 von ihnen befinden sich immer noch in der Gewalt der Hamas. 31 Angehörige von Sicherheitskräften fielen in den Kämpfen mit den mörderischen Eindringlingen.
Überlebende des Massakers von Beeri hatten beklagt, dass die Armee erst Stunden nach Beginn des Überfalls am Schauplatz eintraf. Die Bewohner und ein kleines Kontingent des Kibbuz-eigenen bewaffneten Sicherheitsdienstes seien stundenlang auf sich allein gestellt gewesen.
Der interne Armee-Bericht lobt den Mut der Kibbuz-Bewohner und ihres Sicherheitsdienstes. Ihr Einsatz sei entscheidend gewesen, um "die Situation in den ersten Stunden des Kampfes zu stabilisieren und die Ausweitung des Angriffs auf weitere Teile des Kibbuz abzuwenden".
Überlebende des Kibbuz Beeri begrüßten den Bericht, kritisierten aber zugleich dessen Einengung auf die Rolle der Armee. Vielmehr gehe es auch darum, die Verantwortung von Ministerpräsident Netanjahu zu klären. Dieser weigerte sich bisher beharrlich, Rechenschaft über mögliche eigene Versäumnisse abzulegen.
Weitere US-Sanktionen gegen rabiate Siedler
Die US-Regierung verhängt unterdessen weitere Sanktionen gegen Personen und Einrichtungen, die mit der israelischen Besetzung im Westjordanland in Verbindung stehen. Nach Angaben des US-Außenministeriums waren die Betroffenen unter anderem an Gewalt gegen palästinensische Zivilisten beteiligt, haben deren Land unrechtmäßig "beschlagnahmt" und bedrohen "den Frieden, die Stabilität und die Sicherheit im Westjordanland".
Die Maßnahmen richten sich gegen drei Einzelpersonen, vier von extremistischen Siedlern errichtete Außenposten im Westjordanland sowie die rechtsradikale jüdische Gruppe Lehava.
Israel hatte während des Sechs-Tage-Krieges 1967 unter anderem das Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem erobert. Die Zahl der Siedler im Westjordanland, das zwischen dem israelischen Kernland und Jordanien liegt, ist inzwischen auf etwa eine halbe Million gestiegen. Einschließlich Ost-Jerusalems sind es sogar 700.000. Israels rechts-religiöse Führung treibt den Siedlungsausbau voran, obwohl dies gegen das Völkerrecht verstößt.
- Nachrichtenagentur dpa