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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ein Jahr nach dem Wagner-Aufstand "Es ist ein Machtvakuum entstanden"
Vor einem Jahr stellte der Aufstand der Gruppe Wagner in Russland einiges auf den Kopf. Doch was ist seitdem aus den Söldnern geworden? Die Spuren weisen nach Afrika.
Vor einem Jahr ist die Situation in Russland eskaliert: Der berüchtigte Chef der Söldnergruppe Wagner blies zum Aufstand. Jewgeni Prigoschin hatte die Nase voll davon, dass das russische Verteidigungsministerium angeblich wichtige Munitionslieferungen für seine Söldner zurückhielt. Ohnehin hatte Prigoschin eine deutliche Meinung zur Führung des Ministeriums: Er hielt Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow für unfähig. Das sollte ein Ende haben.
Prigoschin zog seine Söldner am 23. Juni 2023 kurzerhand aus der Ukraine ab und ließ sie dann von Rostow am Don aus in Richtung Moskau marschieren. Große Teile der Welt schauten gespannt auf Russland. Will Prigoschin gegen die Kremlführung putschen? Kommt es zu Gefechten zwischen Söldnern und Armee mitten in Russland?
Nichts davon ist eingetroffen. Schon einen Tag nach Beginn der Revolte war sie schon wieder Geschichte. Angeblich vermittelte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko zwischen Kreml und Prigoschin.
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Der Söldnerchef kam zunächst noch mal mit einem blauen Auge davon, galt aber als angezählt. Im vergangenen August kam es dann zum erneuten Paukenschlag: Prigoschin und die gesamte Wagner-Führungsriege stürzten bei Moskau mit einem Flugzeug ab – Ursache ungeklärt. Die Söldnergruppe trat danach zurück in den Schatten, blieb zunächst unauffälliger. Ist es also vorbei mit den Machenschaften der brutalen Privatarmee? Nein, sagt Wagner-Expertin Karen Philippa Larsen im Interview mit t-online.
t-online: Frau Larsen, seit dem Tod Jewgeni Prigoschins ist es in der breiten Öffentlichkeit still um die Söldnergruppe Wagner geworden. Allenfalls sind Gerüchte über die Wagner-Aktivitäten bekannt. Existiert die Privatarmee noch?
Karen Philippa Larsen: Die Gruppe Wagner existiert noch immer, aber in einer stark veränderten Struktur, als wir es unter der Führung Jewgeni Prigoschins kannten. Manche Wagner-Söldner sind noch in der Ukraine aktiv, sie sind jedoch an die russische Nationalgarde angebunden, die dem Kreml direkt untersteht. Dann gibt es noch Wagner-Gruppen in Afrika. Aber auch diese sind deutlich enger mit staatlichen Strukturen verbunden als zuvor. Putin hat die Söldnergruppe gewissermaßen verstaatlicht.
Bitte erklären Sie das genauer.
Es ist natürlich etwas paradox. Wenn wir sagen, dass ein Unternehmen verstaatlicht wird, bedeutet das, dass es anfangs privat war. Normalerweise sind Privatarmeen genau das, doch Wagner war nie ein vollkommen privates Unternehmen.
Die Söldnergruppe arbeitete zwar vor dem Tod Prigoschins weitgehend unabhängig vom Kreml, handelte jedoch stets im staatlichen Interesse Russlands. Sie war nie eine Privatarmee im klassischen Sinne, die für jeden Auftraggeber mit ausreichend finanziellen Ressourcen Aufträge erfüllt. Wagner hat seine Dienstleistung nur für diejenigen erbracht, deren Interessen auch Interessen des Kremls waren.
Und letztlich war Wagner natürlich auch vom Kreml abhängig. Ohne die Nähe zur russischen Führung hätten sie keine Waffen bekommen. Und ohne die Unterstützung der Söldner müsste Putin auf ein für ihn wichtiges Machtinstrument verzichten.
Zur Person
Karen Philippa Larsen forscht am Dänischen Institut für Internationale Studien (DIIS) zu Privatarmeen in Russland, besonders zur Gruppe Wagner. Dabei nimmt sie die Söldnergruppen als Akteure der nationalen und internationalen Politik in den Blick.
Was hat sich nun also in der Struktur der Söldnerarmee verändert?
Vieles, was derzeit mit der Wagner-Gruppe passiert, ist noch im Fluss. Es wirkt so, als hätten die neuen Anführer der Söldner noch keine neue Struktur gefunden. Das liegt jedoch auch daran, dass bei dem Flugzeugabsturz neben Prigoschin und Dmitri Utkin, dem militärischen Führer der Organisationen, einige andere Kommandeure gestorben sind. Es ist ein Machtvakuum innerhalb der Gruppe entstanden.
Welche Akteure stoßen nun in dieses Vakuum vor?
Einerseits ist da natürlich Pawel Prigoschin, der Sohn des ehemaligen Anführers. Im Vergleich zu seinem Vater sucht er weniger die Öffentlichkeit, tritt kaum in sozialen Medien auf, wie Jewgeni Prigoschin es tat. Dennoch hat er die Überreste des Firmenkonglomerats seines Vaters übernommen. Pawel Prigoschin ist jetzt für die geschäftliche Seite der Wagner-Operationen zuständig. Und er soll wohl auch die neue Position der Gruppe nahe am Kreml und der Nationalgarde verantworten.
Wenn Prigoschins Sohn für das Geschäft zuständig ist: Wer steuert künftig die militärische Komponente der Gruppe Wagner?
Der neue Wagner-Führer trägt den Kampfnamen "Lotus". Im echten Leben heißt er Anton Elizarow. Er ist jetzt für das Militärische zuständig. Mehrfach ist er schon in Social-Media-Kanälen aufgetreten, die der Gruppe Wagner nahestehen. Es gibt einige Telegram-Kanäle unter seinem Namen und er kommuniziert zudem über Wagner-nahe Kanäle. Er scheint sehr offen mit seiner Position umzugehen und rekrutiert neue Soldaten. In einem Video aus dem Winter ist er in einem Trainingscamp zu sehen, wo eine Gruppe Soldaten für einen Einsatz mit der Nationalgarde in der Ukraine ausgebildet wird. Wir sollten "Lotus" im Blick behalten.
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Hinter der Gruppe Wagner stand stets das große Vermögen des Aufsteigers und Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin. Wie finanziert sich die Gruppe jetzt?
Das stimmt nur teilweise. Besonders in der Ukraine gab der russische Staat den Söldnern für ihre Dienste das Geld. Im Falle der Afrika-Einsätze ist das anders: Dort bekommt die Gruppe Wagner ihr Geld einerseits von den Staaten, in denen sie aktiv ist. Andererseits bereichern sich Söldner, weil sie Gold- und Diamantenminen kontrollieren.
Afrika ist weit von Russland und dem Schlachtfeld in der Ukraine entfernt. Was tut die Söldnergruppe dort?
Auf dem afrikanischen Kontinent ist die Gruppe Wagner schon lange sehr aktiv. Die Söldnerarmee tat dort das, was Russland offiziell als Staat nicht tun will: Sie unterstützte zweifelhafte Regierungen oder Warlords, wie in Libyen, Mali oder dem Sudan. Dabei gingen die Söldner in vielen Fällen extrem brutal vor. Immer wieder gab es Berichte über Massaker an Zivilisten.
Dabei boten sie den Eliten in den einzelnen Staaten ein Überlebenspaket: Neben militärischer Unterstützung bekamen sie von den Söldnern auch wirtschaftlichen und politischen Schutz. In einigen Fällen haben wir gesehen, wie die Präsenz der Wagner-Gruppe und die daraus resultierenden guten Beziehungen zwischen afrikanischen Staaten und Russland auch das Abstimmungsverhalten in der UNO beeinflusst hat, sowohl das Russlands als auch das der afrikanischen Länder. Zwar hat die Gruppe Wagner keinen Sitz in der UN, Russland jedoch schon. Und diesen wird es dann im Sinne etwa von Mali nutzen.
Und was hat Russland davon?
Putin sichert sich mit dem Engagement in Afrika einerseits ebenso politische Unterstützung. Das erkennt man etwa am Zögern vieler afrikanischer Staaten, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu verurteilen. Und dazu sind Einsätze in Afrika sehr lukrativ: Über die Söldnergruppen bekommt Russland beispielsweise Kontrolle über Minen, in denen Edelsteine und -metalle abgebaut werden. Diese Einsätze von Söldnern werden nun auch zunehmend offizieller.
Was meinen Sie damit?
Seit dem Absturz Prigoschins und der Wagner-Führungsriege im vergangenen August hat die Söldnertruppe eine Art "Umstrukturierung" durchlaufen. Die Einsätze in Afrika wurden weitgehend vom Afrikakorps übernommen.
Der Name ist höchstwahrscheinlich eine Anspielung auf die gleichnamige Wehrmachtseinheit, die die Nazis während des Zweiten Weltkriegs nach Nordafrika schickten. Der Name Wagner enthielt bereits eine Anspielung auf die Nazis. Hitler war ein großer Anhänger des Komponisten Richard Wagner. Der Söldner-Kommandeur Dmitri Utkin hatte sogar ein Hakenkreuz auf seinen Körper tätowiert. Wichtiger ist jedoch, dass die Wagner-Gruppe noch immer in einigen Ländern Afrikas tätig ist.
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Was hat die Umbenennung zu bedeuten?
Auch das ist noch nicht komplett ersichtlich. Die Kontrolle über das Afrikakorps hat ein ehemaliger Kommandeur des russischen Militärgeheimdienstes GRU, Andrei Awerjanow. Das spricht dafür, dass auch das Afrikakorps noch enger mit russischen staatlichen Strukturen zusammenarbeitet als die Gruppe Wagner zuvor. Wir beobachten jetzt zusätzlich Militäreinheiten in Afrika, die aus der russischen Reserve aufgestellt werden – das ist neu. Auch hier kann man also von einer Art Verstaatlichung sprechen. Die Marke Gruppe Wagner besteht jedoch weiterhin.
Warum ist das so?
Das resultiert aus dem langen Wagner-Engagement in Afrika. Den Söldnern eilt ein Ruf voraus. Das macht es Russland jetzt leichter, neue Soldaten zu rekrutieren – sowohl für die Einsätze in Afrika als auch in der Ukraine. Außerdem ist es für Russland noch etwas leichter, unter dem Namen Gruppe Wagner Geschäfte zu machen. Das Afrikakorps könnte diese Marke jedoch bald ablösen.
Jewgeni Prigoschin hat nach seinem Tod also ein großes Machtvakuum hinterlassen, sowohl militärisch als auch politisch und wirtschaftlich. Könnte eine neue Privatarmee in diese Lücke hineinstoßen?
Das ist schwer zu beurteilen. In den vergangenen Jahren wurden durchaus verschiedene Söldnergruppen gegründet. Dazu hat Putin höchstpersönlich seine Oligarchen aufgerufen. Ein ähnlich starker und unabhängiger Akteur wie die Gruppe Wagner zeichnet sich jedoch noch nicht ab. Das will Putin aber auch vermeiden.
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Was macht der russische Präsident heute anders?
Er beansprucht nun deutlich mehr Kontrolle über die Privatarmee als zuvor. Einen neuen Söldneraufstand will Putin unbedingt vermeiden. Deshalb gliedert er eine neue Privatarmee direkt an das Verteidigungsministerium an. Putin will all die Vorteile einer Söldnertruppe beibehalten, jedoch eine erneute Bedrohung seiner eigenen Macht ausschließen. Prigoschin und die Gruppe Wagner hatten etwa einen zu großen Einfluss auf die russische Außenpolitik in Afrika. Aus Putins Sicht darf sich das nicht wiederholen.
Frau Larsen, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Telefoninterview mit Karen Philippa Larsen