Europawahl Staats- und Regierungschefs beraten über EU-Spitzenpersonal
Dass Ursula von der Leyen erneut EU-Kommissionspräsidentin wird, scheint nur eine Frage der Zeit. Einige Kritiker muss sie dafür aber noch überzeugen.
Gut eine Woche nach der Europawahl zeichnet sich eine Einigung auf eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin ab. Am Rande eines informellen EU-Gipfels in Brüssel sprachen sich etliche Regierungschefs für die Deutsche aus. Sie wollten eine Verständigung über die zukünftige Besetzung von Spitzenposten erzielen. Bei einem EU-Gipfel kommende Woche stehen dann die endgültigen Entscheidungen an.
Europäischer Rat will aufs Gas drücken
Bundeskanzler Olaf Scholz stellte sich vor dem Gipfel zwar nicht öffentlich hinter von der Leyen, sagte aber: Die Europawahl habe eine "stabile Mehrheit" für das Mitte-Rechts-Bündnis EVP, die Sozialdemokraten und die Liberalen gebracht. Deshalb sei er sich ganz sicher, dass man in kürzester Zeit zwischen den politischen Familien und Länder Verständigung erzielen könne. "Das wäre auch wichtig, (...) weil wir leben in Zeiten, die schwierig sind. Und da ist es wichtig zu wissen, wie es weitergeht mit Europa", ergänzte der SPD-Politiker.
Auch andere Staats- und Regierungschefs betonten, dass es jetzt schnell gehen müsse. Er glaube nicht, dass die europäischen Bürger "dankbar sein werden, wenn die Politiker hier in Brüssel wochenlang darüber reden, wer welche Rolle übernehmen wird, wenn es so viele dringende Probleme auf europäischer und globaler Ebene gibt", sagte der irische Regierungschef Simon Harris.
Wahlsieger EVP kann Ansprüche stellen
Der luxemburgische Regierungschef Luc Frieden wies auf das klare Wahlergebnis hin und sagte, die EVP habe Anspruch auf das Amt der Kommissionspräsidentin. Bei der Europawahl vom 6. bis 9. Juni hatte das Mitte-Rechts-Bündnis EVP mit der CDU-Politikerin von der Leyen als Spitzenkandidatin das mit Abstand beste Ergebnis erzielt. Auf Platz zwei landete die europäische Parteienfamilie der Sozialdemokraten (S&D) und auf Platz drei die der Liberalen (Renew).
Mit Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen lobte auch eine Sozialdemokratin von der Leyen: "Ich möchte sagen, dass Ursula von der Leyen in den letzten Jahren wirklich gute Arbeit geleistet hat, als Chefin der EU-Kommission und damit in vielerlei Hinsicht auch als Chefin der EU", sagte sie.
Von der Leyen braucht Mehrheit
Notwendig für die Entscheidung im Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten ist eine sogenannte verstärkte qualifizierte Mehrheit. Das heißt: Es müssen neben den 13 Staats- und Regierungschefs, die wie von der Leyen der EVP-Parteienfamilie angehören, noch mindestens sieben weitere Chefs von Mitgliedstaaten für sie stimmen. Zusätzlich muss der Vorschlag von Mitgliedstaaten unterstützt werden, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.
Verhandelt wird ein ganzes Paket
Neben der Präsidentschaft der EU-Kommission müssen auch die Posten des Präsidenten des Europäischen Rates und des EU-Außenbeauftragten neu besetzt werden. Als möglicher Kandidat für den Ratschef-Posten gilt derzeit der frühere portugiesische Regierungschef António Costa. In dieser Position wäre der Sozialdemokrat dann dafür zuständig, die EU-Gipfel vorzubereiten und die Arbeitssitzungen zu leiten.
Als neue EU-Außenbeauftragte ist die liberale estnische Regierungschefin Kaja Kallas im Gespräch. Costa gehört wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der Parteienfamilie der Sozialisten und Sozialdemokraten an, Kallas ist wie der französische Präsident Emmanuel Macron bei den Liberalen.
Weitere Hürde steht noch bevor
Nach einer Einigung im Kreis der Staats- und Regierungschefs muss von der Leyen noch von einer Mehrheit im Europäischen Parlament gewählt werden. Dafür wird die Deutsche in den kommenden Wochen bei Abgeordneten für Unterstützung werben müssen. Die Abstimmung wird frühestens in der dritten Juli-Woche angesetzt und gilt als höchste Hürde auf dem Weg zu einer zweiten Amtszeit. Grund ist, dass in geheimer Abstimmung gewählt wird und von der Leyen im Parlament vergleichsweise viele Kritiker hat. So bekam sie bei ihrer Wahl 2019 nur neun Stimmen mehr als notwendig.
Von der Leyen hatte direkt nach der Europawahl angekündigt, eine Fortsetzung der bisherigen informellen Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten und Liberalen anstreben zu wollen. Dieses Dreier-Bündnis hätte im Parlament eine komfortable Mehrheit von etwa 400 der 720 Stimmen.
Um die Mehrheit für eine Wiederwahl abzusichern, hat von der Leyen aber auch Gespräche mit den Grünen und bestimmten rechten Parteien nicht ausgeschlossen. Letztere müssen ihren Angaben zufolge aber klar pro-europäisch, rechtsstaatlich und pro-Ukraine sei. Als ein mögliches Beispiel dafür gilt die Partei Fratelli d"Italia (Brüder Italiens) von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Offensichtlich unter anderem in Anspielung auf die Grünen sagte Scholz, dass neben den drei großen Parteienfamilien auch noch andere "politisch ein wenig dazu passen" würden. Im Kern seien EVP, Sozialdemokraten und Liberale aber die "Grundlage für die Unterstützung der Kommissionspräsidentschaft".
- Nachrichtenagentur dpa