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Gaza: Humanitäre Lage ist dramatisch – Heftige Kritik an Israel


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Dramatische Lage in Gaza
"Auf sie regnet die Hölle nieder"


Aktualisiert am 10.12.2023Lesedauer: 5 Min.
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So ist die Lage in Gaza. (Quelle: reuters)
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Die humanitäre Situation in Gaza verschärft sich immer weiter – und damit auch die Kritik an Israels Vorgehen. Hilfsorganisationen berichten von dramatischen Szenen.

Eines bleibt James Elder besonders in Erinnerung: der Geruch von verwesendem Fleisch. Elder ist internationaler Sprecher des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (Unicef) und ist in dieser Woche aus dem Gazastreifen zurückgekehrt. Er besuchte dort Krankenhäuser, vor allem die dort stationierten Kinder – und schlägt nun Alarm: Die Lage verschlimmert sich drastisch.

Dem Geruch begegnete er im Nasser-Krankenhaus in Chan Junis im Süden des Gazastreifens. An einem Tag sei ein Bus mit verletzten Kindern aus dem Norden angekommen. Sie waren zwei, drei Tage unterwegs gewesen, obwohl die Strecke nur 30 Kilometer lang war. "Aus dem Bus trat ein Geruch von verwesendem Fleisch, das werde ich niemals vergessen", sagt Elder t-online. Unter den Kindern war auch ein kleiner Junge, dem ein Bein durch eine Bombe abgerissen wurde. Er sei in einem kritischen Zustand gewesen, schildert Elder. Als er ihn später im Krankenhaus sah, war er tot.

"Es ist unerbitterlich"

Nicht nur Unicef, auch andere Hilfsorganisationen warnen derzeit eindringlich, dass sich die humanitäre Lage in Gaza massiv verschlechtere. Es fehlt an Medizin, Lebensmitteln, sauberem Wasser. Durchfallerkrankungen breiten sich aus, das Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps, viele Krankenhäuser können nicht mehr arbeiten. Die Mitarbeiter sind gezwungen, zu priorisieren: Welche der vielen Menschen sollen sie retten?

"In den Krankenhäusern liegen Kinder mit Kriegsverletzungen, so weit das Auge reicht", berichtet Unicef-Sprecher Elder. "Sie haben nicht nur gebrochene Knochen, sondern es sind oft Schrapnelle, die sich durch ihre Körper gebohrt haben, viele haben Verbrennungen."

Der Unicef-Sprecher berichtet von heftigen Bombardements, auch im Süden des Gazastreifens. Sichere Orte gebe es kaum noch, die Krankenhäuser seien heillos überlastet. "Das medizinische Personal tut, was es kann, aber der Stress und die Angst werden immer schlimmer", sagt Elder. "Es ist unerbitterlich". Die Unicef drängt wie andere Hilfsorganisationen auf einen Waffenstillstand. Nur das könne den Kindern wirklich helfen, meint Elder.

Hamas beschießt Israel

Ein Waffenstillstand scheint fern zu sein. Seit dem Ende der Feuerpause am 1. Dezember, in deren Zuge mehr als 100 israelische Geiseln und palästinensische Gefängnisinsassen freikamen, greift die israelische Armee intensiv Ziele in Gaza an, aus der Luft und am Boden. Die Truppen seien dabei, Tunnelschächte, Waffen und weitere Infrastruktur von Terroristen auszumachen und zu zerstören, teilt die Armee am Freitag mit. Die Hamas nutzt dabei, nicht erst seit der jüngsten Eskalation, Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Die Terrororganisation versteckt sich in Wohngegenden, erzwingt somit Kämpfe in dicht besiedelten Regionen.

Im Gazastreifen treffen in diesen Tagen sicherheitspolitische Interessen besonders brutal auf die Realität vor Ort. Seitdem die Hamas am 7. Oktober ein Massaker mit 1.200 Toten in Israel verübte, hat die israelische Regierung das Ziel definiert, die Terrororganisation auszulöschen. Auch die USA streben eine neue Ordnung für den Gazastreifen ohne die Hamas an, um Stabilität und Frieden zu schaffen. Denn noch immer beschießt die Hamas Israel aus dem Gazastreifen mit Raketen, oft direkt aus Wohnvierteln heraus.

Video | So gut sind die Tunnel der Hamas ausgestattet
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Quelle: t-online

Bleibt die Hamas weiter stark, könnte sie Israel unvermindert weiter angreifen. Außerdem wächst die Angst vor einem zukünftigen Mehrfrontenkrieg, wenn etwa zusätzlich zur Hamas noch andere Kräfte wie die radikalislamische Hisbollah aus dem Libanon verstärkt angreifen. Bereits in den vergangenen Wochen gab es immer wieder kleinere Gefechte an der israelisch-libanesischen Grenze. Und auch die Hisbollah wird, wie die Hamas und andere Terrorgruppen in der Region, unter anderem aus dem Iran finanziert. Was das Ziel Teherans ist, kommuniziert das Regime ganz offen: die Auslöschung Israels.

Immer mehr Menschen flüchten

Die Lage in der Region ist explosiv. Doch auch die Kritik am Vorgehen Israels, insbesondere an den heftigen Bombardements im Gazastreifen, wird international immer lauter. Die Bodenkämpfe sind mittlerweile auf den Süden ausgeweitet – die Region, in die viele Menschen vor den Kämpfen aus dem Norden geflohen sind.

Chan Junis gilt als eine Hamas-Hochburg, in der es aktuell heftige Häuserkämpfe gibt. Israel vermutet, dass sich in der Stadt viele Terroristen in Wohnhäusern verschanzt haben. Das israelische Militär hatte zuvor die Bewohner dazu aufgerufen, bestimmte Viertel zu verlassen. Doch für immer mehr Menschen stellt sich die Frage, wo sie überhaupt hinkönnen. Außerdem kritisieren Menschen, dass sie zu spät von israelischen Angriffen erfahren – immerhin fehlen ihnen Strom und Internet. Ein Reporter der BBC berichtete, dass in Rafah an der Grenze zu Ägypten so viele Menschen Schutz suchen, dass die Stadt inzwischen weder Lebensmittel noch Strom und auch kein ausreichendes Trinkwasser mehr für sie habe.

USA mahnen Schutz von Zivilisten an

Im Angesicht dieser humanitären Katastrophe haben auch die USA ihren Ton verschärft: So wie Deutschland steht auch die US-Regierung zum Selbstverteidigungsrecht Israels nach dem Terrorangriff der Hamas. US-Außenminister Antony Blinken rief Israel allerdings erneut dazu auf, mehr für den Schutz von Zivilisten zu tun. Israels Führung habe zwar wichtige Schritte in diese Richtung unternommen. Es gebe aber nach wie vor eine Lücke zwischen dem, was er bei seinem jüngsten Besuch in Tel Aviv angeregt habe, und was an Ergebnissen zu beobachten sei, bemängelt Blinken.

Es gehe etwa nicht nur darum, Sicherheitszonen einzurichten, sondern auch zu kommunizieren, wann und auf welchem Weg die Menschen sicher dorthin gelangen könnten. In diesen Zonen müsse es zudem Wasser, Medikamente und Essen geben, so der US-Außenminister.

Wie viele Menschen in Gaza bislang ums Leben gekommen sind, dazu gibt es nur Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde. Die Behörde beziffert die Zahl der Toten auf mehr als 17.000. An den Angaben gibt es allerdings immer wieder Zweifel, die Terrororganisation unterscheidet zudem nicht zwischen Zivilisten und ihren Kämpfern. Israels Armeesprecher Jonathan Conricus sagte am Mittwoch dem US-Sender CNN, dass etwa 5.000 Hamas-Terroristen seit Beginn des Einsatzes getötet worden seien.

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Angesprochen auf die von der Hamas genannte Zahl von zu dem Zeitpunkt 16.000 Toten sagte er: "Wenn das stimmt – und ich denke, dass unsere Zahlen das bestätigt werden –, dann kann ich sagen, dass (...) man feststellen wird, dass dieses Verhältnis enorm ist, enorm positiv und vielleicht einzigartig in der Welt." Er gab zu bedenken, dass es sich um einen "Konflikt in städtischem Gebiet zwischen einem Militär und einer terroristischen Organisation" handle, "die Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt." Auf dieser Basis müsse man den Vergleich ziehen.

Auch als Antwort auf die Kritik kündigte Israel zudem an, in den kommenden Tagen eine weitere Kontrollstelle für Hilfstransporte in Kerem Schalom zu öffnen. Israel fürchtet, dass in den Lastwagen Waffen nach Gaza geschafft werden könnten und inspiziert sie deshalb, bevor sie über Ägypten und den Grenzübergang in Rafah nach Gaza gelangen. So sollen nun mehr Hilfsgüter schneller nach Gaza gelangen.

Elder: Menschen werden wütender und frustrierter

Trotz dieser Ankündigung aus Israel fällt die Kritik der Unicef scharf aus. Dass nun mehr Hilfslieferungen nach Gaza gelangen werden, sei lediglich ein Bruchteil dessen, was es brauche, sagt Elder. Das ändere aber nichts daran, dass das Bombardement intensiv weitergehe. "Mir fällt es schwer, nachzuvollziehen, wie die Zerstörung des Gazastreifens und der Tod so vieler Kinder zu einem Frieden in Nahost beitragen können."

Er beschreibt, dass die Menschen immer wütender und frustrierter werden. "Sie haben seit 15 Jahren keine Entscheidung darüber, wer sie regiert, und seit den Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober regnet die Hölle auf sie nieder."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit James Elder
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
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