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Hinrichtungen im Iran: "Sie schießen absichtlich auf die Augen"


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Hinrichtungswelle im Iran
"Sie schießen absichtlich auf die Augen"

InterviewVon Liesa Wölm

Aktualisiert am 09.07.2023Lesedauer: 6 Min.
Proteste gegen das iranische Regime: Mehr als 20.000 Menschen wurden seit September 2022 festgenommen.Vergrößern des Bildes
Proteste gegen das iranische Regime: Mehr als 20.000 Menschen wurden seit September 2022 festgenommen. (Quelle: NurPhoto)
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Mehr als 20.000 Menschen hat das iranische Regime seit Beginn der Proteste gefangen genommen – auch Rapper Toomaj Salehi. SPD-Politikerin Ye-One Rhie setzt sich für seine Freiheit ein. Doch der Kampf hat seine Grenzen.

Der iranische Rapper Toomaj Salehi sitzt seit fast 250 Tagen im Gefängnis von Isfahan. In seinen Liedern kritisierte der 32-Jährige die Unterdrückung und Korruption durch das islamische Regime im Iran und rief zum Protest auf. Für viele Iranerinnen und Iraner steht sein Gesicht seitdem für die aktuelle Revolution und das Schicksal Zehntausender Inhaftierter.

Wie so vielen könnte Salehis Widerstand ihm das Leben kosten: Insbesondere wegen seiner Bekanntheit besteht die Gefahr, dass das Regime an ihm ein Exempel statuiert und ihn hinrichten lässt. In den vergangenen Monaten gab es bereits zahlreiche Exekutionen, nachdem Gefangene in unfairen Prozessen ihr Urteil erhalten hatten. Beobachter vermuten zwar inzwischen, dass es für den Rapper auf eine Gefängnisstrafe hinausläuft – sicher wäre er damit jedoch nicht. Ihm würden Isolation und Folter durch das Regime drohen.

Die Bundestagsabgeordnete Ye-One Rhie (SPD) setzt sich als politische Patin für Selehis Leben und seine Freiheit ein. Eine solche Patenschaft kann Erfolg haben – doch zugleich viele Rückschläge mit sich bringen. Was muss passieren, damit das islamische Regime dem internationalen Druck nachgibt? Rhie stellt im Gespräch mit t-online deutliche Forderungen.

t-online: Frau Rhie, aus dem Iran dringt wenig nach außen. Wissen Sie, wie es Toomaj Salehi gerade geht?

Ye-One Rhie: Nein, zumindest nicht direkt von ihm. Er darf kaum bis gar keinen Kontakt zu anderen Menschen haben, sitzt von Anfang an in Isolationshaft. Deshalb wissen wir nichts Offizielles über seinen Gesundheitszustand.

Und inoffiziell?

Wir haben von anderen Gefangenen gehört, dass sein Zustand sehr schlecht sein soll. Zudem gibt es Aufnahmen, in denen Salehi ein erzwungenes Geständnis ablegt. Er ist gezeichnet von Spuren der Folter.

Was genau meinen Sie damit?

Seine Finger sind gebrochen, er hält seine Hand seltsam. Sein Auge ist stark angeschwollen und blau. Zudem hat er viel abgenommen. Wir haben uns sehr lange zurückgehalten, diese Aufnahmen zu teilen, weil es gerade das ist, was das Regime will: das angebliche Geständnis verbreiten.

Dann aber haben Sie die erschreckenden Bilder doch veröffentlicht.

Ja. Wir mussten erneut zeigen, dass sie ihn unter Druck setzen und unrechtmäßig zu Tode foltern. All das wäre unter westlichen Standards gar nicht möglich.

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Inzwischen haben rund 400 deutsche Politikerinnen und Politiker in Deutschland Patenschaften für inhaftierte Menschen im Iran übernommen. Was bringt das?

Das bringt vor allem eines: Aufmerksamkeit. Solche Patenschaften zeigen die Schicksale der Menschen und machen deutlich, dass die Prozesse und Inhaftierungen unfair ablaufen. Wir haben so schon Freilassungen erreicht.

Haben Sie keine Angst, selbst Ziel des iranischen Regimes zu werden?

Wir müssen bei Weitem nicht so viel Angst haben wie Aktivistinnen und Aktivisten, die etwa Familie im Iran haben. Die sind viel angreifbarer als wir Parlamentarier mit Diplomatenpass: Das Regime kann uns mit nichts bedrohen, was sich auf unsere Leben auswirkt. Deshalb sind wir in unserer Ausübung freier und das haben wir dem iranischen Botschafter bereits mehrfach geschrieben.

Hat er Ihnen denn geantwortet?

Nicht sofort. Die Staatsmedien hingegen reagieren schnell mit Beschimpfungen und Diffamierungen. Sie werfen uns immer wieder vor, dass wir lügen. Aber das bestärkt uns – dadurch wissen wir, dass sie uns sehen.

Trotz Patenschaften gab es auch schon Hinrichtungen von Gefangenen. Im Mai starb Madschid Kasemi am Galgen, dessen Patenschaft FDP-Politiker Christian Dürr übernommen hatte.

Wir können nicht jedes Menschenleben retten, wir können nicht jede Hinrichtung verhindern. Wenn das möglich wäre, hätten wir das Allheilmittel gegen das iranische Regime gefunden. Immer, wenn sie jemanden töten lassen, ist das für uns ein heftiger Schlag. Aber wir geben nicht auf.

Auch das Schicksal von Jamshid Sharmahd ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Dem Deutsch-Iraner droht der Tod, das Urteil steht bereits fest. Lässt sich sein Leben denn noch retten?

Das ist ganz schwierig zu sagen.

Warum?

Weil die Bundesregierung stets betont, dass wir nicht mit Terroristen verhandeln. Das ist auch richtig so. Dennoch ist es natürlich besonders tragisch, wenn es um Menschenleben geht. Klar ist, wir würden uns damit erpressbar machen – denn die Islamische Republik betreibt eine sogenannte Geiseldiplomatie.

Was ist das?

Die Mullahs lassen Doppelstaatler unter fadenscheinigen Vorwänden festnehmen, verhängen harte Strafen und versuchen so, politische Zugeständnisse zu erzwingen. Das ist auch für uns eine sehr komplexe Lage. Natürlich wollen wir jeden deutschen Staatsbürger retten, weil dieser Umgang unmenschlich ist. Im Falle von Jamshid Sharmahd heißt das: Es gibt Gespräche mit seiner Tochter Gazelle und dem Auswärtigen Amt. Wir müssen sehen, was möglich ist. Am Ende aber lassen wir uns nicht erpressen.

Belgien hat sich Ende Mai auf einen umstrittenen Gefangenenaustausch mit dem Iran eingelassen: ein Entwicklungshelfer gegen einen Diplomaten, der wegen Terrorplänen im Gefängnis saß. Wie beurteilen Sie das?

Diesen Kompromiss kann ich nicht nachvollziehen. Wir betonen immer wieder, dass wir Gründe dafür brauchen, die iranischen Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen. Sie sind eins der wichtigsten Instrumente der Mullahs. Und dann lassen die Belgier einen mutmaßlichen Terroristen gehen, der aus dem Iran geschickt worden ist, um hier Anschläge zu verüben. Ist doch klar, dass sich der Iran dann fragt: Wen können wir als Nächstes erpressen?

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Ich appelliere an alle EU-Partner, künftig eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, wie wir mit den Erpressungsversuchen der Iraner umgehen. Wenn ein Teil der Mitgliedsstaaten auf Forderungen eingeht und ein anderer nicht, lassen wir uns spalten. Es hat uns stark gemacht, Sanktionen auf EU-Ebene zu beschließen. Wenn wir dann aber so unterschiedlich agieren, verkompliziert das die Zusammenarbeit. Es wirkt, als sei Europa nicht geeint.

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Den Iran beeindrucken die Sanktionen offenkundig wenig. Das Regime hat zum Beispiel die Videoüberwachung ausgeweitet, was wohl darauf abzielt, die strengen Kleiderordnungen besser zu kontrollieren. Wie machtlos sind wir eigentlich?

Wir sind nicht machtlos. Aber wir sind tatsächlich zunächst einmal dazu verdammt zuzuschauen, was im Iran passiert. Wir leben nicht vor Ort, wir können nicht aktiv eingreifen – der Iran ist immer noch ein souveräner Staat. Das Regime setzt verstärkt auf Propaganda, um Missstände zu verschleiern. Das macht es sehr schwierig, die Lage von außen gut zu beurteilen.

Ye-One Rhie

ist SPD-Bundestagsabgeordnete für Aachen. Die 35-Jährige war die erste Politikerin in Deutschland, die eine Patenschaft für einen politischen Gefangenen im Iran übernommen hat. Vor ihrem Mandat war sie Referentin in Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW und Mitglied im Rat der Stadt Aachen. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.

Und was bezweckt diese Propaganda?

Das Regime will dadurch den Druck nach innen aufrechterhalten und verschärfen, damit die Menschen nicht mehr auf die Straßen gehen. Zugleich will die Regierung einen Normalzustand in der Außenpolitik herstellen.

Wie kann das gelingen, wenn alle wissen, dass mehr als 20.000 Menschen als politische Gefangene inhaftiert sind?

Eigentlich gar nicht. Erst müssen die Gefangenen befreit werden! Und wenn das Regime wirklich von den Anklagepunkten überzeugt ist, muss es diese offenlegen. Für jeden Menschen muss es die Möglichkeit eines Rechtsbeistandes geben. Dass Toomaj Salehi im aktuellen Prozess mit einem Anwalt sprechen durfte, ist im Iran mehr die Ausnahme als die Regel. Und wir brauchen die Namen aller Gefangenen – es sind immer noch nicht alle Identitäten geklärt.

Aber das allein löst die Probleme nicht.

Nein. Es geht auch allgemein darum, wie das Regime mit seinem Volk umgeht. Im Iran gehören Folter, Isolationshaft und Vergewaltigung zum Gefängnisalltag. Bei Protesten schießen Regierungsangestellte absichtlich auf Augen, um die Menschen blind zu machen – all das, um die Bürgerinnen und Bürger einzuschüchtern. Das Regime hat Angst vor den eigenen Leuten. Das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun. Das muss aufhören! Wenn das iranische Regime nichts zu verbergen hätte, müssten diese Forderungen problemlos zu erfüllen sein.

Im Internet häufen sich trotz der bedrohlichen Lage Videos von tanzenden Frauen ohne Kopftuch, von Menschen, die Bilder des Präsidenten Ebrahim Raisi verbrennen. Durch solche Aktionen nehmen sie den Tod in Kauf. Warum riskieren sie das?

Offenkundig denken viele: Genug ist genug. Das Regime hält seit 40 Jahren diesen Terror aufrecht. Den Menschen ist es wert, ihr Leben zu riskieren, weil sie Hoffnung auf einen Erfolg der Revolution haben. Sie haben die Hoffnung, das Regime zu stürzen. International schauen immer mehr Menschen auf den Iran, die Aufmerksamkeit war zwischenzeitlich so groß wie nie zuvor. Das bestärkt die Regimegegner. Gegen diese Solidarität kommen die Mullahs gar nicht mehr an – egal, wie terroristisch sie veranlagt sind.

Frau Rhie, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Ye-One Rhie am 29. Juni 2023
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