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"Pandemie ist vorbei": Ist das Joe Bidens Bush-Moment?


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Bidens Corona-Schlusspunkt
Seine Worte könnten sich noch rächen


Aktualisiert am 19.09.2022Lesedauer: 4 Min.
Joe Biden: Der US-Präsident hat die Corona-Pandemie in den USA für beendet erklärt.Vergrößern des Bildes
Joe Biden: Der US-Präsident hat die Corona-Pandemie in den Vereinigten Staaten für beendet erklärt. (Quelle: Andrew Harrer /imago-images-bilder)

Ein schwerer Corona-Winter droht den USA nicht, glaubt der Präsident. Die Pandemie sei für ihn vorbei. Was hinter seiner Aussage steckt.

Joe Biden setzt ein Lächeln auf, während er durch die Hallen der Detroit Auto Show schreitet. Zweimal wurde die größte Automesse der USA wegen des Coronavirus in der Vergangenheit abgesagt. "Die Pandemie ist vorbei", erklärt der US-Präsident fast beiläufig einem CBS-Journalisten auf der Messe, auch wenn er hinterherschiebt, dass Corona weiter ein Problem sei. Seine Regierung arbeite weiter gegen das Virus, aber die Messe sei das beste Beispiel dafür, dass die Pandemie nun hinter den USA liege.

Am selben Tag, dem vergangenen Mittwoch, meldet die Johns Hopkins Universität für das Land mehr als 100.000 Neuinfektionen und mehr als 900 Todesfälle. Die Zahlen wirken hoch, sind aber weit entfernt von den US-Spitzenwerten: Noch im Januar wurden an nur einem Tag mehr als 1,2 Millionen Fälle gemeldet, mehrfach lag im vergangenen Winter auch die tägliche Todeszahl in der Spitze bei etwa 4.000.

"Entwickelt eine Erzählung"

Die US-Gesundheitsbehörde CDC hat bereits im August ihre Corona-Leitlinien angepasst und die bisherige Abstandsregelung von 1,80 Meter gestrichen. Doch aus dem Weißen Haus kommen auch andere Signale: Gerade erst hat der Präsident eine Covid-Strategie für die kommenden Monate veröffentlicht und Milliarden vom Kongress im Kampf gegen die Pandemie gefordert. Wie passt all das zusammen?

"Joe Biden möchte das Momentum der letzten Wochen aufrechterhalten und entwickelt eine Erzählung darüber, was ihm als Präsident alles gelungen ist", glaubt der Strategie- und Kampagnenberater Julius van de Laar im Gespräch mit t-online. Van de Laar, der 2008 und 2012 an der Wahlkampagne von Barack Obama mitgearbeitet hat, sieht durchaus einige Erfolge, die Biden für sich verbuchen kann: Als Beispiele nennt er etwa das große Infrastrukturprogramm, die geeinte westliche Reaktion auf den Ukraine-Krieg oder dass der US-Präsident die Produktion von Halbleitern in den USA angekurbelt hat. Das Problem sei nur, dass seine Zustimmungswerte trotzdem unter 40 Prozent liegen. Mit seinem verkündeten Ende der Pandemie versuche der Präsident, dem nun entgegenzuwirken.

Lebenserwartung verkürzt

Trotz Bidens Erzählung hat die Pandemie ein Loch in der amerikanischen Gesellschaft hinterlassen. 95 Millionen Mal sind die US-Bürger bisher an dem Virus erkrankt, mehr als eine Million Menschen starben. Die Verluste durch das Virus sind so hoch, dass sie sich auf die Lebenserwartung der Amerikaner auswirken. Das zeigt ein Bericht der Gesundheitsbehörde CDC aus dem August: Während ein Amerikaner 2019 statistisch betrachtet noch mit einer Lebensdauer von knapp 79 Jahren rechnen konnte, sind es 2021 nur noch 76 gewesen.

Dennoch sieht es aktuell so aus, als habe das Land die schlimmsten Pandemiezeiten vorerst hinter sich: Momentan fallen dem Virus im Sieben-Tages-Mittel rund 390 Menschen pro Tag zum Opfer. Das mag viel klingen, doch im vergangenen Winter starben in den USA zeitweise mehr als 2.700 Menschen täglich, im Winter 2020/2021 sogar mehr als 3.000. Die CDC geht in aktuellen Prognosen davon aus, dass in den kommenden Wochen die Todeszahlen weiter zurückgehen, während die Zahl der Hospitalisierungen stagnieren soll.

International stehen die USA damit nicht alleine: In vielen Staaten der Welt deuten Zahlen auf Entspannung hin. Auch WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus ließ vergangene Woche Hoffnung auf ein Ende durchblicken.

"Pandemie nicht mehr das beherrschende Thema"

In den USA wurden dementsprechend auch die Corona-Regeln weitestgehend abgeschafft: Die Quarantänezeit wurde von zehn auf fünf Tage verkürzt. Die Maskenpflicht gilt in öffentlichen Verkehrsmitteln schon seit April nicht mehr – sie wurde durch ein Gericht in Florida gekippt. Seitdem handelt es sich bei den Äußerungen der Gesundheitsbehörde CDC in puncto Maske nur noch um Empfehlungen. Zudem sind auch dort, wie in der Europäischen Union, schon zwei an die Omikron-Variante angepasste Impfstoffe zugelassen.

"Die meisten Amerikaner spüren, dass die Pandemie nicht mehr das beherrschende Thema ist. Deshalb kann die Aussage Biden zumindest kurzfristig helfen", ist sich Van de Laar sicher. Das könne sich allerdings jederzeit durch eine neue Virusvariante ändern.

Dabei ist es wahrscheinlich, dass Biden mit seiner Aussage weniger an die pandemische als vielmehr an die politische Lage gedacht hat: Am 8. November stehen Kongresswahlen an, bei der traditionell die oppositionelle Partei mehr Sitze in Senat und Repräsentantenhaus einfährt als die Präsidentenpartei.

Erinnerungen an George W. Bush

Van de Laar vermutet bei Biden eine Doppelstrategie: Auf der einen Seite habe der Präsident mit seinen Worten seine eigenen Leistungen untermauert. Gleichzeitig habe er dadurch aber auch versucht, die Position der Demokraten im Kongress zu stärken. Denn: Eine Androhung von neuen Corona-Maßnahmen im Herbst wäre für die Opposition ein gefundenes Fressen gewesen. "Die Republikaner hätten ansonsten gesagt: 'Passt auf: Sobald der Herbst kommt, schickt euch Biden wie damals zurück in die Keller und ruiniert die Wirtschaft'", glaubt Van de Laar.

Allerdings könnten sich die Worte des Präsidenten auch rächen: Erst Anfang des Monats hatte das Weiße Haus ein Strategiepapier für den Kampf gegen Corona in den kommenden Monaten veröffentlicht: Testen und Impfen sollen weiter kostenlos bleiben. Dafür fordert Biden allerdings weitere 22,4 Milliarden Dollar vom Kongress. Das Geld werde für "unmittelbaren, kurzfristigen Bedarf im Inland" benötigt.

Wahrscheinlich ist, dass Bidens jüngste Worte die Gesprächsbereitschaft bei den Republikanern nicht gesteigert haben. Warum sollte Geld gegen ein Virus genehmigt werden, das nach Aussage des Präsidenten immer ungefährlicher wird?

Für den Moment dürfte der US-Präsident aber eher Aufwind erhalten – auf längere Sicht könnte sich das aber noch ändern: Julius Van de Laar zieht einen Vergleich zu der Präsidentschaft von George W. Bush: Der hatte 2003 auch Stärke demonstrieren wollen, als er auf einem Flugzeugträger nach wenigen Monaten den Irakkrieg für beendet erklärt hatte. Tatsächlich beendete Joe Biden den Kampfeinsatz erst Ende des vergangenen Jahres – während sich in dem Land bis heute noch immer 2.500 US-Soldaten aufhalten sollen.

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