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Martin Sonneborn – Steuerparadiese in der EU: "Altmaier wird schwitzen


Meinung
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Steuerparadiese in der EU
Altmaier wird schwitzen

MeinungEine Polemik von Martin Sonneborn

Aktualisiert am 12.02.2021Lesedauer: 6 Min.
Peter Altmaier im Bundestag: Dem Bundeswirtschaftsminister droht kommende Woche im Rat der Europäischen Union eine peinliche Niederlage, konstatiert Martin Sonneborn.Vergrößern des Bildes
Peter Altmaier im Bundestag: Dem Bundeswirtschaftsminister droht kommende Woche im Rat der Europäischen Union eine peinliche Niederlage, konstatiert Martin Sonneborn. (Quelle: imago-images-bilder)
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Für Großkonzerne sind einige EU-Staaten Steuerparadiese, auch Deutschland verhindert Transparenz. Nun droht der Bundesregierung in Brüssel eine peinliche Niederlage.

Seit es die EU gibt, streiten die konservativen und "liberalen" Marktextremisten (Parteinamen d. Verf. bekannt), die Sie da draußen jedesmal wiederwählen, für eine absolut absurde Wirtschaftsordnung.

Sie bringen nämlich kaputte Wirtschaftsmechanismen in Stellung, von denen – absurderweise! – gar nicht die Bevölkerungsmehrheit, Wähler wie Sie, profitiert, sondern ausschließlich eine im Diskurs der höheren EU-Politik ohnehin maßlos überrepräsentierte Minderheit: die der Kapitaleigner. (Anm.: Kapitaleigner unter den Lesern? Bitte mal kurz weglesen!)

Die Absurdität der Uneinigkeit

Die EU ist bekanntlich ein Raum, in dem Waren, Dienstleistungen und alle daraus generierten Unternehmensgewinne in völlig freier Flotation alle nur denkbaren Grenzen überschreiten können, ohne dabei auf verbindliche Regularien zu ihrer Besteuerung zu stoßen. Das ist absurd.


Martin Sonneborn (55) ist Satiriker, Journalist und Politiker. Er ist Bundesvorsitzender der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die Partei) und seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments.

Und absurd ist es auch, dass die 27 EU-Staaten, die ja eigentlich das gemeinsame Interesse einer gerechten Unternehmensbesteuerung teilen müssten, sich untereinander lieber in gegenseitige Steuerkonkurrenz begeben, als gegenüber gewinnorientierten Großunternehmen gemeinsam und geschlossen aufzutreten.

Die geltende Konstruktion erlaubt es einzelnen EU-Staaten, einen "Wettbewerbsvorteil" gegenüber anderen EU-Staaten ausgerechnet dadurch herzustellen, dass sie multinationale Großunternehmen mit geringen Steuersätzen zu sich locken. Absurd? Jup.

Unternehmen verschieben Gewinne innerhalb der EU

Da gewinnorientierte Großunternehmen sich so etwas nicht zweimal anbieten lassen, verschieben sie ihre Gewinne innerhalb der EU, wie es ihnen passt. Und zwar am liebsten (Überraschung!) in EU-Staaten mit Steuersätzen, die so winzig sind, dass man sie ohne Lupe kaum noch erkennen kann. Wir wollen hier keine Namen nennen: zum Beispiel Irland, Luxemburg, die Niederlande, Malta, Deutschl… Pardon, das ginge zu weit.

Nach Berechnungen der EU-Kommission entgehen dem europäischen Steuerwesen durch diesen niedlichen von der EU selbst geschaffenen Trick jährlich 70 Milliarden Euro. Das sind 70.000.000.000,00 Euro. Oder 7.000.000.000.000 Cent. Jahr für Jahr für Jahr. (Von Schaltjahren gar nicht zu reden, dann kommt nämlich noch mal ein Tagegeld von 191.780.821,92 Euro oben drauf!)

Mit dieser Summe könnte man rund 1,2 Milliarden Schwarzfahrer laufen lassen, 350 Millionen Belüftungsanlagen für Klassenzimmer kaufen, eine sehr, sehr große Menge von Herrengedecken, Seuchen-Schnelltests; oder das Geld einfach den Pflegekräften schenken. Dafür, dass sie unser Klatschen so heldenhaft ertragen haben.

Generalstabsmäßig organisierter Raub

Wenn Medien über so etwas berichten, dann tun sie es zumeist im eingeübten Vokabular der verstohlenen Nachsichtigkeit, indem sie Ihnen das bagatellisierende Stichwort "Steuervermeidung" irgendwo in den Artikel schreiben. Hoffentlich nur, um Ihren Blutdruck zu schonen. Denn es versteht sich wohl von selbst, dass Ihnen damit nur ein wohlklingender Verschleierungsversuch für generalstabsmäßig organisierten Raub angeboten wird.

Die Mittel, die die EU sich durch einige ihrer Schurkenstaaten sehenden Auges "entgehen" lässt, lassen dieselben Staaten sich von Ihnen da draußen, der Sie wahrscheinlich nur ein einfacher EU-Bürger sind, nämlich ersetzen.

Die EU organisiert also, dass multinationale Großunternehmen jedem Einzelnen ihrer rund 450 Millionen Bürger (sogar den Einbeinigen, Babys und schlecht bezahlten Paketzustellern) jährlich 155,55 Euro unter der Matratze wegziehen, um sie in die automatisierte Reichtumsproduktion ihrer Anteilseigner einzuspeisen. Die übrigens ohnedies schon die Reichsten auf diesem untergehenden Planeten sind.

Kampf um Transparenz

Wo waren wir stehengeblieben? Ach, ja: Konservativen und Liberalen zufolge ist das völlig okay. In der EU operierende Großunternehmen sollen nicht nur das Recht haben, das Gemeinwesen um ihren gerechten Steuerbeitrag zu betrügen, sie sollen dies auch noch heimlich und unter Ausschluss der Öffentlichkeit tun dürfen.

Dagegen kämpft eine an Transparenz, Gerechtigkeit und Bürgern wie Ihnen interessierte Minderheit im Europäischen Parlament seit fünf Jahren für die Einführung des sogenannten Country-by-Country-Reporting.

Es hat – absurderweise – noch nicht einmal zum Inhalt, dass diese absurde Praxis der Niedrigststeuersätze endlich ein Ende hat.

Es soll überdimensionierte multinationale Konzerne lediglich dazu verpflichten, die in einzelnen Staaten der EU erzielten Gewinne und die darauf entrichteten Steuern endlich einmal offenzulegen.

Ein entsprechender Vorschlag ("zur länderbezogenen Berichterstattung über steuerrelevante Informationen durch Großkonzerne bla bla bla") wurde von der Europäischen Kommission im Jahr 2016 vorgelegt. Das Europäische Parlament und ich, wir haben unseren Standpunkt dazu ("Dann mal los!") Mitte 2017 festgelegt. Aber wir warten seitdem darauf, dass der dritte Mitgesetzgeber (der Rat) endlich mal in die Puschen kommt.

Die Blockade Deutschlands

Seit Jahren allerdings nutzt Deutschland sein beeindruckendes Gewicht (Altmaier) in der EU dazu, dieses Vorhaben im Rat zu blockieren. Obwohl es, (sagte ich das schon?) keinen einzigen vernünftigen Grund dafür gibt, die Einführung von Steuertransparenz für multinationale Unternehmen zu verhindern. Oder weiß jemand einen?

Aus Versehen hat Deutschland auch seine Ratspräsidentschaft vergehen lassen, uuups!, ohne das Thema aufzunehmen.

Denn damit ein Kommissionsvorschlag nach Billigung durch das Parlament das süße Licht der Wirklichkeitswerdung erblicken kann, bedarf es eines EU-Staates, der während seiner Zeit als Ratspräsident "die Eier hat", das Ding zur Abstimmung auf die Tagesordnung zu setzen.

Mit ihrem geballten Gewicht hat die deutsche "Groko Haram" natürlich dafür gesorgt, dass ihre Ratspräsidentschafts-Vorgänger das Thema aus Versehen gründlich übersehen. Nur, um dasselbe Thema – als Ratspräsident – aus Versehen selbst auch zu übersehen. Und zwar gründlich.

Druck auf die Bundesregierung

Aber… warum eigentlich? Wer steckt denn hinter all dem? Wer macht denn so was?

Ganz einfach: Der – hinreichend bekannte – Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hatte massiven Druck auf die Bundesregierung (Merkel et. al.) ausgeübt. Zusammen mit der laut Lobbycontrol extrem intransparenten "Stiftung Familienunternehmen", mit der – absurderweise – keineswegs kleine und mittelständische Unternehmen ihren Lobbyeinfluss geltend machen, sondern vor allem große und sehr große Unternehmen, die man unbedingt mit den Oligarchen Russlands vergleichen muss (Wolfgang Münchau).

Seither argumentierte Altmaier messerscharf, die Einführung einer Transparenzrichtlinie würde "deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb benachteiligen". Das könnte sie natürlich nur, wenn "deutsche Unternehmen" etwas Ähnliches praktizieren würden wie zum Beispiel die ehrenwerten Weltmarktspieler Amazon und Google. Hä? ÄPPEL AG, Gugell GmbH oder was?

Zwei abtrünnige Staaten

Der Google-Konzern hatte über eine niederländische Tochter (und mit Duldung der niederländischen Steuerbehörde) in einem einzigen Jahr 20 Milliarden Euro Gewinn (2017) am europäischen Gemeinwesen vorbei auf die Bermudas geschmuggelt.

Im Rat der Europäischen Union organisierte sich die "Groko Haram" jedenfalls eine bombensichere Sperrminorität aus 12 Dumpingsteuer-Staaten, um eine Einführung dieser fiesen Transparenzverpflichtung durch den europäischen Pöbel (oder dessen qualifizierte Mehrheit) zu verhindern: Mit dabei waren unter anderem Zypern, Malta, Österreich, Slowenien, Estland, Luxemburg, Irland, Schweden und Portugal.

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Aber dann tat sich im Rat überraschend ein kleines Fenster auf: Das sozialistische Portugal sprang ab. Und dann auch noch die schwarzbraun-grüne Koalition aus Österreich.

Der Vorschlag zur Einführung der Steuertransparenz hätte plötzlich eine sichere Mehrheit im Rat und damit eine realistische Chance auf Realisierung.

Natürlich brachten die Deutschen, deren Vorrecht das während ihrer sechsmonatigen Ratspräsidentschaft war, den Kram einfach nicht zur Abstimmung. Adieu Steuertransparenz.

Altmaier droht eine peinliche Niederlage

Es kommt nicht allzu oft vor, dass im Rat etwas gegen den dezidierten Willen Deutschlands vorkommt. Aber ein "asterixartiger" gallischer Staat wagt es nun tatsächlich, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und den Deutschen entgegenzutreten: Portugal.

Für die Deutschen völlig unerwartet konterkariert das Linksbündnis an der Spitze Portugals die ethisch absolut unterirdische Position der "Groko Haram" – und nutzt ihre gerade begonnene Ratspräsidentschaft schamlos, um das Country-by-Country-Reporting auf die Tagesordnung zu setzen. Popcoooorn!

Wenn Altmaier also am 25. Februar an der Sitzung des Ministerrats teilnimmt, dann "droht ihm eine peinliche Niederlage" (Harald Schumann).

Falls Sie also daran interessiert sein sollten, Ihren Wirtschaftsminister einmal live ins Schwitzen kommen zu sehen, dann können Sie das Popcorn schon mal warmstellen: Das Treffen wird nämlich live gestreamt.

Ach, und übrigens: Falls Sie nicht Google oder Amazon besitzen, sollten Ihnen zwei Dinge klar geworden sein:

Erstens: Wählen Sie gefälligst nicht konservativ oder liberal. Sondern so links, wie Sie es gerade noch vor sich verantworten können. Zum Beispiel die FDP. (Spaß)

Zweitens: Geben Sie den Portugiesern im nächsten Urlaub mal einen großen feuchten Schnaps aus.

Martin Sonneborn reflektiert für t-online auf satirische Art und Weise die Geschehnisse in der belgischen Hauptstadt. In seiner Kolumne blickt der 55-Jährige dabei auf das große Ganze – auf seine eigene Art.

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