Gipfel zum Wiederaufbaufonds Macron: "Moment der Wahrheit für Europa"
Die Corona-Krise hat die EU wirtschaftlich getroffen. Die Staaten verhandeln jetzt über einen ehrgeizigen Finanzplan. Dabei gibt es viele Streitpunkte – und ein paar Bremser. Macron gibt sich dennoch vorsichtig optimistisch.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat den EU-Sondergipfel über den nächsten EU-Haushaltsplan und das Programm zur Bewältigung der Corona-Wirtschaftskrise als einen "Moment der Wahrheit" für Europa bezeichnet. "Wir erleben gerade eine einzigartige Krise im Gesundheitsbereich, aber auch wirtschaftlich und sozial", sagte der französische Präsident Emmanuel Macron am Freitag kurz vor Beginn der Gespräche zum EU-Wiederaufbaufonds. Es brauche deswegen nun deutlich mehr Solidarität und Engagement. "Die nächsten Stunden werden absolut entscheidend sein", sagte Macron.
Viele Punkte des Finanzplans sind noch ungeklärt, die Staaten haben oftmals unterschiedliche Ansprüche und stellen Bedingungen. Einigkeit ist daher nur schwerlich zu erreichen. Dazu sagte Macron: "Ich bin zuversichtlich, aber vorsichtig." Er werde zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ratspräsident Charles Michel alles dafür tun, um eine Einigung zu erzielen. Ein Kompromiss könne es ermöglichen, den Wiederaufbau zu starten und technologisch, industriell und ökologisch eine neue Souveränität aufzubauen.
"Das wird ein hartes Stück Arbeit"
Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer fordert von den EU-Staaten ein rasches Zeichen von Einigkeit und Entschlusskraft in der Corona-Krise. "Wir brauchen ein wirklich schnelles Signal einer geschlossenen Handlungsfähigkeit in Europa", sagte sie vor Beginn des EU-Sondergipfels in Brüssel zum geplanten Wiederaufbaufonds an diesem Freitag. Die Positionen lägen teils noch sehr weit auseinander, etwa zwischen den Niederlanden und Italien.
Die Ausgangslage der Verhandlungen sei schwierig. Niemand könne vorhersagen, ob ein Kompromiss schon bis Samstag zustande komme. "Es wäre schön, wenn es gelingen würde", sagte Kramp-Karrenbauer. "Das wird ein hartes Stück Arbeit."
Mit dem Wiederaufbaufonds sollten die von der Krise am meisten betroffenen Länder in die Lage versetzt werden, weiter in die Zukunft investieren zu können, sagte Kramp-Karrenbauer. Bei der Frage, inwieweit die Regierungsführung hier eine Rolle spiele, gingen die Vorstellungen "sehr weit auseinander zwischen einer sehr harten Haltung der Niederländer und einer doch deutlich liberaleren Haltung von Italien. Dazwischen einen guten und klugen Kompromiss zu finden, wird nicht ganz einfach sein."
Großes Vertrauen in Merkels Verhandlungsgeschick
Sie vertraue dem Geschick von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als derzeitiger Ratspräsidentin, sagte Kramp-Karrenbauer: "Da ist die Kanzlerin erfahrene Verhandlerin genug, um eine gute Linie zu finden, die in der Sache Sinn ergibt."
An diesem Freitag und Samstag kommen die Staats- und Regierungschefs erstmals seit Beginn der Hochphase der Corona-Pandemie wieder miteinander in Brüssel zusammen. Von den 750 Milliarden Euro des schuldenfinanzierten Wiederaufbauplans sollen nach Vorstellung der EU-Kommission 500 Milliarden als Zuschüsse und 250 Milliarden als Kredite vergeben werden.
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"Sparsame Vier" gegen nicht zurückzahlende Hilfen
Widerstand gibt es vor allem von den Niederlanden, Schweden, Dänemark und Österreich. Diese sogenannten "Sparsamen Vier" lehnen diese nicht zurückzuzahlenden Hilfen ab. Sie wollen die Finanzhilfen auch an Reformen des Arbeitsmarktes und Rentensystems koppeln. Finnland verlangt Diplomaten zufolge eine Kürzung der Zuschüsse auf 400 Milliarden Euro.
Kramp-Karrenbauer äußerte sich zuversichtlich, dass auch der Bundestag seine Zustimmung geben werde – obwohl das Hilfspaket auch Deutschland viel Geld kosten wird. "In der Unionsfraktion war die Stimmung ganz klar: Das ist eine große Krise, sie braucht große Antworten. Und die Union unterstützt diese großen Antworten."
Die Unionsfraktion habe bereits bei dem von Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vorgelegten Plans von Zuschüssen in Höhe von 500 Milliarden Euro sehr deutlich gemacht, dass sie diese Linie unterstütze. "Deswegen rechne ich da auch mit einer großen Zustimmung", sagte Kramp-Karrenbauer.
Darum geht es im Verteilungskampf der Corona-Hilfen
Diese Zustimmung zu erreichen ist aber gar nicht so einfach, denn alle 27 Staaten müssen sich einig sein. Die Verhandlung über das Finanzpaket ist bisher beispiellos: Rund 1,8 Billionen Euro schwer sind die Vorschläge für den nächsten Sieben-Jahres-Haushalt der EU und den Aufbaufonds gegen den Wirtschaftsabschwung wegen der Corona-Krise. Viele Punkte sind noch umstritten.
Die Reformbedingungen der "Sparsamen Vier"
Nördliche Länder wie die "sparsamen Vier" verlangen klare Reformzusagen als Bedingung für die Corona-Gelder. Das lehnen südliche EU-Staaten wie Spanien und Italien ab. EU-Ratspräsident und Gipfelorganisator Charles Michel schlägt vor, dass die Länder eine "Reform- und Investitionsagenda" festlegen. Die Pläne müssen dann mit qualifizierter Mehrheit im Rat der Mitgliedstaaten genehmigt werden, bevor Geld fließt. Die Niederlande fordern hier sogar einen einstimmigen Beschluss.
Kompromiss bei Vergabekriterien für Corona-Gelder
Viel Kritik gab es an den Vergabekriterien der EU-Kommission für die Corona-Hilfen. Die Behörde will ihre Höhe für die jeweiligen Mitgliedstaaten vor allem auf Grundlage der Arbeitslosenzahlen vor der Krise festlegen. Das wird von einigen Regierungen als Belohnung für schlechtes Wirtschaften gesehen. Michel änderte deshalb den Schlüssel etwas: Bei 70 Prozent der Mittel bleibt es bei dem Kommissionsvorschlag, 30 Prozent sollen aber auf Basis der tatsächlichen Wirtschaftseinbrüche infolge der Corona-Krise vergeben werden.
Diskussionen um Rabatte für einzelne Länder
Michel hält an Rabatten für Länder fest, die deutlich mehr in den EU-Haushalt einzahlen als sie zurückbekommen. Deutschland als größter Nettozahler soll jährlich einen Nachlass von 3,67 Milliarden Euro bekommen. Rabatte sind auch für die "sparsamen Vier" vorgesehen. Mehrere Mitgliedstaaten wollen dagegen die Rabatte abschaffen oder zumindest zeitlich befristen.
Uneinigkeit über Start der Schulden-Rückzahlung
Die Corona-Hilfsgelder sollen aus gemeinsamen EU-Schulden kommen, die von der Kommission an den Finanzmärkten aufgenommen werden. Michel will schon 2026 mit der Tilgung beginnen und nicht erst wie die Kommission 2028. Damit kommt er insbesondere Deutschland entgegen, das einen früheren Start fordert.
Umstritten: Digitalsteuer, Plastikmüll, Umweltauflagen
Michel will die Schuldentilgung über neue EU-Einnahmen finanzieren: eine Abgabe auf Plastikmüll ab 2021 sowie eine Digitalsteuer und eine Gebühr auf Produkte aus Drittstaaten mit geringeren Umweltauflagen ab 2023.
Hinzu kommt eine Ausweitung des Emissionshandels etwa auf Luft- und Schifffahrt. Länder wie Deutschland kritisieren allerdings, dass diese Gelder teils schon in ihren nationalen Haushalten verplant sind.
- Nachrichtenagentur dpa und AFP