Humanitäre Krise an der EU-Grenze Überforderte Griechen gegen verzweifelte Flüchtlinge
Wasserwerfer, Tränengas, aufgebrachte Einwohner: Immer mehr Flüchtlinge stranden im Niemandsland zwischen Griechenland und der Türkei. Die EU-Außenminister wollen in dieser Woche beraten.
Nach der Öffnung der türkischen Grenzen für Flüchtlinge eskaliert die Lage an der EU-Außengrenze in Griechenland. Die griechische Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein, um tausende Flüchtlinge von einer Überquerung der Grenze abzuhalten. Auf Lesbos attackierten Bewohner Bootsflüchtlinge, die an Land gehen wollten. Pro Asyl forderte eine Aufnahme der Menschen statt militärischer Abwehr. Die EU-Außenminister wollen diese Woche über die Lage beraten.
Laut türkischem Innenminister Süleyman Soylu brachen bis Sonntagmorgen 78.358 Flüchtlinge in der Türkei Richtung Edirne auf. Die Provinz im Nordwesten der Türkei grenzt an die EU-Staaten Griechenland und an Bulgarien. Die UNO hatte am Samstagabend von 13.000 Flüchtlingen an der 212 Kilometer langen türkisch-griechischen Grenze gesprochen. Aus der griechischen Regierung hieß es, binnen 24 Stunden seien fast 10.000 Migranten an einem "illegalen" Grenzübertritt gehindert worden. Zudem wurden rund 140 Flüchtlinge festgenommen.
Wütende Einwohner lassen Flüchtlinge nicht an Land
Die griechische Polizei drängte die Flüchtlinge am Grenzübergang Pazarkule am Samstag mit Tränengas zurück, daraufhin warfen einige der Migranten – zumeist aus Afghanistan, Syrien und dem Irak – mit Steinen. Trotzdem harrten Tausende Flüchtlinge in der Nacht an der Grenze aus. Am Sonntag trafen tausende weitere aus Istanbul ein, darunter Frauen und Kinder.
Auf der griechischen Insel Lesbos ließen wütende Inselbewohner am Sonntag rund 50 Migranten in einem Schlauchboot im Hafen von Thermi nicht an Land, wie AFP-Fotografen berichteten. Sie schrien "Geht zurück in die Türkei", beschimpften einen Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), einige griffen Journalisten und Fotografen an. Unter den Flüchtlingen waren auch Kinder.
UN-Begrüßungszentrum für Flüchtlinge in Brand gesetzt
Nahe des Strands von Skala Sykamineas beobachtete ein AFP-Fotograf, wie Griechen ein nicht mehr genutztes UN-Begrüßungszentrum für Flüchtlinge in Brand setzten. Eine weitere Gruppe Griechen versuchte unterdessen, einem Polizeibus mit Migranten mit Ketten und Steinen den Weg in das völlig überfüllte Lager Moria zu versperren, wie die griechische Nachrichtenagentur ANA berichtete.
Am Sonntag teilte eine Frontex-Sprecherin AFP mit, dass die EU-Grenzschutzbehörde auf Bitten Athens die Entsendung von zusätzlichen Beamten sowie von Ausrüstung dorthin veranlasst habe. Die Frontex-Alarmstufe für alle EU-Grenzen zur Türkei sei auf "hoch" angehoben worden.
Sondersitzung der EU-Außenminister
Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, forderte "eine an den Grundsätzen von Solidarität und Humanität orientierte europäische Lösung". Die Menschen müssten von Deutschland und anderen EU-Staaten aufgenommen werden. "Wasserwerfer und Gewalt gegenüber Schutzsuchenden sind inakzeptabel", erklärte er.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell teilte mit, auf Bitten Griechenlands gebe es diese Woche eine Sondersitzung der EU-Außenminister. EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas forderte eine Sondersitzung der Innenminister.
Assad-Offensive zwingt Hunderttausende zur Flucht
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan begründet die Grenzöffnung damit, dass die EU sich nicht an den im März 2016 geschlossenen Flüchtlingspakt halte. Ankara verpflichtete sich darin, alle auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen. Die EU versprach der Türkei im Gegenzug Milliardenhilfen, eine beschleunigte Visa-Erleichterung und die Modernisierung der Zollunion.
Die Zahl der Vertriebenen in Syrien war zuletzt infolge der Offensive des syrischen Machthabers Baschar al-Assad in Idlib gestiegen. Dort kämpfen vor allem islamistische Milizen, die teils von der Türkei unterstützt werden. Am Donnerstag waren auch 33 türkische Soldaten getötet worden, ein weiterer starb am Freitag.
Türkische Armee schießt angeblich syrische Kampfjets ab
Die Türkei machte am Sonntag öffentlich, dass sie deshalb eine Militäroffensive gegen die syrische Armee in Idlib führe. Ziel der Operation "Frühlingsschild" sei es, "die Massaker des Regimes zu beenden und eine Flüchtlingswelle zu verhindern", sagte Verteidigungsminister Hulüsi Akar.
Die türkische Armee schoss nach eigenen Angaben am Sonntag zwei Kampfjets der syrischen Regierungstruppen ab und zerstörte ein Luftabwehrsystem.
- Nachrichtenagentur AFP