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Szenarien im Brexit-Chaos: Comeback für Mays Austrittsabkommen?


Szenarien im Brexit-Chaos
Gibt es ein Comeback für Mays Austrittsabkommen?

Von afp, dpa
Aktualisiert am 31.08.2019Lesedauer: 4 Min.
Blick aufs Parlament in London: Regierung und Opposition prüfen in diesen Tagen alle ihre Möglichkeiten.Vergrößern des Bildes
Blick aufs Parlament in London: Regierung und Opposition prüfen in diesen Tagen alle ihre Möglichkeiten. (Quelle: Henry Nicholls/Reuters-bilder)

In Großbritannien wird der Kampf um den Brexit härter, Regierung und Opposition prüfen ihre Möglichkeiten. So könnte das Parlament ein längst tot geglaubtes Dokument aus der Schublade holen.

Großbritannien stehen zwei Monate voller politischer Turbulenzen bevor: Premierminister Boris Johnson sieht sich Parlamentsabgeordneten gegenüber, die einen Brexit ohne Austrittsabkommen verhindern wollen. Was können die verschiedenen Akteure tun, um ihren Willen zu bekommen?

Die Möglichkeiten der Opposition

Dringlichkeitsdebatte: Die Abgeordneten, die gegen einen "harten Brexit" sind, haben angedeutet, die sogenannte Standing Order 24 zu nutzen, um am Dienstag eine Dringlichkeitsdebatte im Unterhaus abzuhalten. Solche Debatten führen normalerweise nicht zu verbindlichen Abstimmungen.

Die Hoffnung ist jedoch, dass Parlamentspräsident John Bercow ausnahmsweise eine solche Abstimmung zulässt. Das würde den Abgeordneten erlauben, die Tagesordnung im Unterhaus zu bestimmen und ein Gesetz zur Verschiebung des Brexit zur Abstimmung zu bringen.

Misstrauensvotum und Neuwahlen: Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat ein mögliches Misstrauensvotum gegen Johnson ins Spiel gebracht. Die Regierung verfügt über eine Mehrheit von lediglich einer Stimme im Parlament. Für ein erfolgreiches Misstrauensvotum würde eine einfache Mehrheit genügen. Die Abgeordneten hätten danach 14 Tage Zeit, um eine neue Regierung zu bilden.

Die Opposition konnte sich bisher jedoch nicht darauf einigen, wer eine solche Übergangsregierung führen könnte. Die übrigen Parteien weigern sich bisher, zu Steigbügelhaltern von Labour-Chef Corbyn zu werden. Sollte nach zwei Wochen niemand eine Mehrheit im Unterhaus sichern können, würden Neuwahlen angesetzt. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass diese vor dem derzeitigen Brexit-Datum am 31. Oktober abgehalten werden könnten.

Die Gerichte: Mehrere Klagen sind bereits gegen Johnsons Pläne für das Parlament und einen möglichen Brexit ohne Austrittsabkommen eingereicht worden. Anti-Brexit-Aktivistin Gina Miller hat eine dringende gerichtliche Überprüfung bezüglich "der Auswirkungen und der Absicht" hinter der Beurlaubung des Parlaments beantragt.

Vor Schottlands höchstem Zivilgericht gab es am Donnerstag eine Anhörung zu einem ähnlichen Antrag der Schottischen Nationalpartei (SNP). Einen Eilantrag gegen die Suspendierung des Parlaments lehnte das Gericht ab. Unterdessen wurden im nordirischen Belfast drei Klagen gegen einen möglichen EU-Austritt ohne Vertrag eingereicht.

Den bestehenden Austrittsvertrag verabschieden: Parlamentarier, die unbedingt einen "No Deal"-Brexit verhindern wollen, könnten das von Johnsons Vorgängerin Theresa May mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen aus der Schublade holen. Dies wurde zwar dreimal vom Unterhaus abgelehnt und von Parlamentspräsident Bercow für weitere Abstimmungen blockiert. Befürworter könnten jedoch argumentieren, es sei besser als gar kein Abkommen.

Die Möglichkeiten der Regierung

Das Parlament sabotieren: Die Regierung denkt angeblich über verschiedene Schritte nach, darunter auch das Vorstellen eines neuen Haushalts – ein Standardvorgang im britischen Gesetzgebungskalender, der das Parlament vor dem 31. Oktober zusätzlich beschäftigen würde.

Möglich wäre auch die Verschleppungstaktik, bei der Abgeordnete des Oberhauses immer weiter reden, um andere eben davon abzuhalten. So könnten im Unterhaus verabschiedete Gesetze zusätzlich blockiert werden. Der "Times" zufolge diskutiert man in der Downing Street auch darüber, die Zustimmung der Königin zu einem möglichen Gesetz so lange zu verzögern, bis es hinfällig ist.

Opposition ignorieren: Premierminister Johnson hat sich Berichten zufolge informiert, ob er rechtswidrig handeln würde, wenn er ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz für einen Brexit-Aufschub einfach ignorieren oder nach einem Misstrauensvotum nicht zurücktreten würde.

Das Volk befragen: Johnson könnte selbst eine Parlamentswahl ausrufen und darauf hoffen, ein Mandat für einen Brexit ohne Abkommen zu bekommen. Für Neuwahlen bräuchte er allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und müsste sich beim Urnengang darauf gefasst machen, Stimmen an die Brexit-Partei von Nigel Farage zu verlieren.

Hunderttausende wollen demonstrieren

Unterdessen werden am Samstag bei landesweiten Demonstrationen gegen die Zwangspause des Parlaments Hunderttausende Menschen erwartet. Aufgerufen zu dem Protest hat die Anti-Brexit-Initiative "Another Europe Is Possible". Dem Aufruf schlossen sich unter anderen der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, die Labour-Graswurzelorganisation Momentum und Umweltaktivisten der Initiative YouthStrike4Climate an. Die größte Demo wird vor dem Regierungssitz in der Downing Street in London erwartet. Sie soll um 13 Uhr (MESZ) starten.

"Wir sind nicht hier, um Boris freundlich zu bitten, wir wollen ihn zum Einlenken zwingen. Das bedeutet zivilen Ungehorsam und die Bereitschaft, für Behinderungen zu sorgen", hieß es auf der Website der Organisatoren. Bereits am Mittwochabend hatten Tausende Demonstranten im Regierungsviertel zeitweise den Verkehr lahmgelegt.


Premierminister Johnson hatte am Mittwoch bei Queen Elizabeth II. erfolgreich beantragt, das Parlament in London von Mitte September bis Mitte Oktober zu suspendieren, um dann in einer neuen Sitzungsphase sein Regierungsprogramm vorzulegen. Die sogenannte Prorogation ist eigentlich Routine. Doch der Schritt ist kurz vor dem EU-Austrittsdatum, dem 31. Oktober, höchst umstritten. Die Zeit, in der die Abgeordneten einen ungeregelten Brexit per Gesetzgebungsverfahren noch verhindern könnten, ist dadurch stark verkürzt.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen AFP, dpa
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