Wahl zur Kommissionspräsidentin So knapp wird es für Ursula von der Leyen
Um zur Chefin der Europäischen Kommission gewählt zu werden, ist Ursula von der Leyen auf die Stimmen der Sozialdemokraten angewiesen. Doch die zieren sich. Was passiert, wenn es nicht reicht?
Ausgerechnet Manfred Weber verbreitet Optimismus. Der Mann, der selbst Kommissionspräsident werden wollte und sich nun mit einer halben Amtszeit als Parlamentspräsident begnügen muss, ließ am Montagvormittag in München wissen: Er gehe davon aus, dass es eine Mehrheit für von der Leyen im Europaparlament geben werde – und zwar eine klare. Über einen Plan B diskutiere die EVP gar nicht erst.
Doch ein Selbstläufer ist Plan A nicht.
Vor knapp zwei Wochen hatten die europäischen Staats- und Regierungschefs Ursula von der Leyen als neue Präsidentin der Europäischen Kommission vorgeschlagen. Sie wäre die erste Frau auf dem Posten und die erste Deutsche seit mehr als 60 Jahren. Doch ihre Nominierung ist von Beginn an auf wenig Begeisterung in weiten Teilen des Parlaments gestoßen. Grund: Von der Leyen hatte im Europa-Wahlkampf keine Rolle gespielt, Spitzenkandidaten waren andere. Deren Vertreter sehen nun die Demokratie beschädigt und den Wählerwillen ausgehebelt.
So viele Stimmen braucht von der Leyen
Schafft es von der Leyen dennoch, am Dienstag eine Mehrheit des Europäischen Parlaments von sich zu überzeugen? Selbst heute, nur einen Tag vor der Abstimmung, gibt es darauf keine eindeutige Antwort.
Es könnte knapp werden. Die Konservative braucht 374 Stimmen der insgesamt 747 Abgeordneten. Abgeordnete, die nicht da sind oder sich enthalten, werden als Nein-Stimme gezählt. Stützen kann sie sich vor allem auf ihre eigene Parteienfamilie, die EVP. Sie stellt 182 Abgeordnete und will für die CDU-Politikerin stimmen – Abweichler möglich. Denn auch bei der EVP gab es Unmut darüber, dass Spitzenkandidat und Wahlgewinner Weber übergangen wurde. Für den einen Wahlkampf machen und dann eine andere wählen sollen – gut möglich, dass der ein oder andere darauf mit einem Nein bei der geheimen Wahl reagiert.
Stützen könnten die Kandidatin auch Stimmen aus der rechtskonservativen Fraktion EKR oder der rechtspopulistischen ID. Beide Fraktionen sind EU-kritisch und wollen mehr Einfluss für die Nationalstaaten. Die EKR, zu der die polnische Regierungspartei PiS gehört, sagte nach einer Anhörung von der Leyens, sie wolle in der Personalfrage konstruktiv sein. Dass sie keine Spitzenkandidatin gewesen sei, sei kein Problem.
Die rechtspopulistische Fraktion ID, der neben der AfD unter anderen die italienische Lega und der französische Rassemblement National von Marine Le Pen angehören, ist die Einzige, in der sich die Kandidatin keiner Anhörung gestellt hat. Die italienische Regierung allerdings hatte beim EU-Gipfel ihre Nominierung unterstützt. Käme von der Leyen mithilfe von EKR und ID ins Amt, bliebe offen, mit welchen Mehrheiten sie in den nächsten fünf Jahren ihre Prioritäten umsetzen will, darunter die Stärkung der EU, des Rechtsstaats und des Klimaschutzes sowie eine Asylreform.
Da Grüne und Linke im Europäischen Parlament bereits erklärt haben, gegen die CDU-Politikerin stimmen zu wollen, braucht sie für eine stabile proeuropäische Mehrheit ein Gutteil der Stimmen der 108 Liberalen und der 153 Sozialdemokraten. Verhalten zugewandt äußerten sich die Liberalen, die von der Leyen einen "positiven Eindruck" bescheinigten. Allerdings fordern sie, dass die liberale Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in der neuen Kommission einen herausgehobenen Status bekommt, und wollen sich erst am Dienstag entscheiden.
Größtes Problem: Die Sozialdemokraten
Das größte Problem von der Leyens sind die Sozialdemokraten. Die 16 SPD-Abgeordneten haben sich bereits auf ein Nein festgelegt, die deutschen Sozialdemokraten waren auch der Grund, warum sich ausgerechnet Merkel bei der Nominierung der deutschen Verteidigungsministerin im Europäischen Rat enthalten musste.
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Am Montag warb von der Leyen nun in einem achtseitigen Schreiben um die europäischen Sozialdemokraten. Sie kündigte unter anderem einen neuen Vorstoß zur Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen an, versprach, die rechtlichen Voraussetzungen für eine EU-weite Durchsetzung fairer Mindestlöhne schaffen zu wollen, und versicherte, für eine stärkere Rolle des Parlaments im EU-Gesetzgebungsprozess einzutreten.
Die Fraktionsspitze der europäischen Sozialdemokraten hatte angekündigt, erst am Dienstagnachmittag eine Abstimmungsempfehlung abzugeben. Zuvor wird von der Leyen im Parlament in Straßburg ihre politischen Leitlinien für die kommenden fünf Jahre präsentieren. Es könnte die Rede ihres Lebens werden.
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Was aber, wenn es nicht reicht? "Das wäre nicht das Ende Europas", sagte der an europäische Krisen gewöhnte luxemburgische Außenminister Jean Asselborn der "Süddeutschen Zeitung". Deutschland habe ja auch eine Weile gebraucht, bis es eine neue Regierung bekommen habe.
Weber und seine EKR müssten dann wohl doch über einen Plan B nachdenken. Und der lautet vorläufig: Alles geht von vorn los. Der Rat muss laut EU-Vertrag binnen eines Monats einen neuen Kandidaten finden, den das Europäische Parlament bestätigen müsste. Das wird so oft wiederholt, bis ein Kandidat Zustimmung bekommt. Bis 31. Oktober ist Jean-Claude Juncker noch im Amt, es bleibt also genügend Zeit – auch dafür, die Abstimmung im letzten Moment noch zu verschieben.
- mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- sueddeutsche.de: "Das wäre nicht das Ende Europas"